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Transportbranche

Ausländische Fahrer als Lohndrücker

In der Schweiz fehlen Tausende von Lastwagenchauffeuren. Die Branche holte in drei Jahren fast 9'600 Ausländer, viele davon als unechte Grenzgänger, die schlecht bezahlt werden.

Die EU will den Druck auf Schweizer Chauffeurlöhne noch erhöhen. Bild: Getty Images

Andreas Flütsch

Nicht nur in Deutschland fehlen 45'000 Lastwagenchauffeure. Auch in der Schweiz gebe es einen «massiven Fahrermangel», sagt der Transportunternehmer und Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner. «Die Nachfrage steigt ständig, im Inland fehlen uns Tausende von Lastwagenfahrern.» Schuld an dem Missstand sei, dass «man das Image des Lastwagens jahrelang kaputt gemacht hat».

Ganz anders sieht das David Piras: «Der Hauptgrund für den Fahrermangel ist, dass die Löhne zu tief sind», sagt der Generalsekretär des Chauffeur-Verbandes Les Routiers Suisses. «Viele junge Fahrer steigen nach ein paar Jahren aus, weil sie in anderen Branchen mehr verdienen.» Als Hauswart etwa könnten sie 5'500 bis 6'000 Franken im Monat verdienen. Die Transportbranche könne da nicht mithalten. «Eine Umfrage bei unseren Mitgliedern im Jahr 2016 ergab, dass sie im Monat im Schnitt 5'300 bis 5'400 Franken verdienen», sagt Routiers-Generalsekretär Piras. In dem Verband seien mehrheitlich Fahrer mit langer Berufserfahrung organisiert. Der Lohndurchschnitt der Branche, die 75'000 bis 80'000 Chauffeure beschäftigt, liege «200 bis 300 Franken tiefer».

 

EU-Lohndruck schlägt durch
Und das sind noch längst nicht die tiefsten Chauffeurlöhne, die in der Schweiz gezahlt werden. Die Branche holt seit Jahren weit mehr Fahrer für Lastwagen, Cars und Busse aus dem Ausland, als sie hierzulande ausbildet. Von 2015 bis 2017 haben insgesamt gut 6'300 Berufsfahrer einen Fähigkeitsausweis erworben, der wegen der Übernahme von EU-Recht seit 2009 neben dem altbekannten Lastwagenausweis zusätzlich erforderlich ist.

In diesen drei Jahren haben aber fast 9'600 ausländische Fahrer ihre Fähigkeitsausweise in schweizerische umgetauscht, damit sie hier arbeiten können. «Die Branche geht offensichtlich den Weg des geringsten Widerstandes», sagt Sven Britschgi, Geschäftsführer der Vereinigung der Strassenverkehrsämter. Was in der Schweiz fehle, werde importiert. Die Zahl ausländischer Fahrer sei «massiv angestiegen und dürfte weiter zunehmen».

Die Importflut führe dazu, dass der «Lohndruck aus der EU im Inland immer stärker durchschlägt», sagt Routiers-Generalsekretär Piras: «Ein Problem sind die vielen unechten Grenzgänger. Sie sind für die Transportbranche der Hebel, um das Lohngefüge tief zu halten.»

Da in Deutschland ebenfalls Fahrer fehlen, werden diese weiter entfernt in der Slowakei, in Polen und Ungarn rekrutiert. Anders als der klassische Grenzgänger von früher, der abends ins nahe Ausland heimkehrte, übernachte der unechte unter der Woche meist in der Schweiz in Billigunterkünften. Mindestens einmal pro Woche sollte er in die Heimat ausreisen, was aber niemand kontrolliere.

Ganz legal dürften laut Piras unechte Grenzgänger, dank Schweizer Arbeitsvertrag, «auch innerhalb der Schweiz Transporte durchführen, erhielten aber als Einstiegslohn meist nur 3'000 bis 3'500 Franken im Monat, was Druck auf das Lohngefüge ausübt». Dies vorab in Kantonen wie Freiburg, Aargau, Genf, Zürich, Basel, Thurgau, Schaffhausen und Tessin mit hoher Dichte an Logistikfirmen und grenznaher Lage.

 

Teurer Franken als Magnet
Angeheizt hat den Import die Eurokrise, welche die Fahrer aus dem Ausland, gemessen in harten Franken, plötzlich um 1'000 bis 1'500 Franken billiger machte. Kühltransporteure und ausländische Handelsfirmen reagierten als Erste. So habe ein ausländischer Detailhändler seiner Kalkulation 3'500 Franken Monatslohn zugrunde gelegt, damit die Gesamtkosten pro Fahrer 5'000 Franken nicht übersteigen, sagt ein Branchenkenner.

Solche Beispiele hätten Schule gemacht, tiefe Grenzgängerlöhne sehe die Branche inzwischen «als gangbares Anstellungsmodell». Eine Spur besser zahlen Transportfirmen laut Routiers-Generalsekretär Piras, wenn sie einen Fahrer brauchen, der seine Papiere hierherholt und in der Schweiz Wohnsitz nimmt: «Weil hier die Lebenskosten so hoch sind, werden in solchen Fällen Anfangslöhne von etwa 4'000 bis 4'300 Franken monatlich bezahlt.» Manchmal erhalten aber auch Ausländer mit Niederlassung noch weniger.

In einem Fall gab es im Aargau Ärger, weil ein Chef nur 2'800 Franken zahlte. Der Betroffene wollte nicht vor Gericht und fand dann eine Stelle für 3'500 Franken Monatslohn. Das sei immer noch besser, als nach Osteuropa zurückzukehren, fand der Betroffene.

Die EU will den Druck auf Schweizer Chauffeurlöhne noch erhöhen. Sie möchte im neuen Rahmenabkommen durchsetzen, dass ausländische Anbieter auch im Inland unbegrenzt Binnentransporte durchführen dürfen. Dagegen wehrt sich der Chauffeurverband Routiers, aber auch die Astag, der Branchenverband der Transporteure. Denn dies würde Schweizer Fahrerlöhne an jene Osteuropas annähern – und laut Astag-Meldung das Schweizer Transportgewerbe «in den Ruin treiben».

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