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Mobilität

Autozulieferer erobern die E-Bike-Branche

Der Boom bei den Elektrovelos lockt immer mehr grosse Zulieferer der Autoindustrie an. Mit neuen Motoren machen sie dem Marktleader Bosch Konkurrenz.

Bild: Patrick Seeger
  • Dossier

Peter Hummel

Das Geschäft mit Elektrovelos brummt hochtourig: 2017 wurden in der Schweiz über 80 000 Stück verkauft. Damit dürfte die gesamte Flotte hierzulande auf über eine halbe Million angewachsen sein. In Europa lag der letztjährige Absatz bei ungefähr 2,3 Millionen E-Bikes. Kein Wunder, herrscht in der Industrie eine Goldgräberstimmung. An der letzten weltgrössten Velomesse in Friedrichshafen, der Eurobike, wurden über 60 verschiedene E-Bike-Antriebe gezeigt.

Zunehmend stärker präsent ist die Autozulieferer-Industrie. Ganz unbekannt war das E-Bike in dieser Branche indessen nicht. Vor einem Jahrzehnt übernahm der kanadisch-österreichische Autozulieferer Magna mit Bion X eine der beiden Pioniermarken. Auch der Elektronikkonzern Panasonic etablierte sich schon früh als Anbieter. Vor sieben Jahren gründete der deutsche Bremsen- und Kupplungshersteller Ortlinghaus im rheintalischen Gams die Tochterfirma Go Swissdrive zur Herstellung von E-Bike-Motoren.

Doch nun drängen eine ganze Reihe weiterer grosser Automobilzulieferer in die Fahrradbranche. Sie wollen dem Brose-Motor von Branchenführer Bosch Konkurrenz bieten. Continental hat bereits einen fertigen Antrieb mit stufenlosem Planetengetriebe im Angebot. Prototypen können Amprio, ein Start-up aus der deutschen Rheinmetall-Gruppe, Oechsler, Mahle und ZF Friedrichshafen, ebenfalls alles deutsche Firmen, anbieten.

 

Bosch rüstet 60 Marken aus

Allerdings ist der Vorsprung von eBike Systems aus dem Hause Bosch enorm: Über 60 Velomarken sind mit dem System ausgerüstet. Das heisst, jedes dritte verkaufte E-Bike wird von Bosch angetrieben. «Bosch hat die Messlatte sehr hoch gesetzt», erklärt Ivica Durdevic, der von 2009 bis 2012 erster Projektleiter bei Bosch eBike Systems war. Ohne Bosch hätte sich das E-Bike nicht so rasant durchgesetzt, meint Durdevic, der heute Entwicklungschef beim Schweizer Hersteller Flyer in Huttwil ist. So wie der japanische Komponentenhersteller Shimano selbst in Billigvelos zum Synonym für Qualität wurde, gilt Bosch als Gütezeichen für E-Bikes.

Obwohl Flyer mit einem Panasonic-Antrieb funktioniert, habe der Schweizer Anbieter auch für Bosch eine wichtige Rolle gespielt. «Flyer war für uns der Beweis, dass ein zuverlässig funktionierendes Elektrovelo eine grosse Zukunft hat», erklärt Claus Fleischer. Der Geschäftsleiter von Bosch eBike Systems geht inzwischen davon aus, dass in zehn Jahren jedes zweite verkaufte Fahrrad elektrisch angetrieben sein wird.

Es sind nicht nur die Umsatzaussichten, welche die Automotive-Industrie ins Zweiradgeschäft lockt. Laut Fleischer gibt es auch einen Lerneffekt: «In der Fahrradindustrie sind die Zyklen, innerhalb derer ein neues Produkt auf den Markt gebracht wird, viel kürzer, und der Markterfolg ist viel schneller ersichtlich als beim Automobil.»

 

Hürde für kleine Hersteller

Bosch hat mit der mittlerweile dritten Motorengeneration nicht nur einen grossen technologischen Vorsprung. Dank des grössten Servicenetzes ist der Konzern auch logistisch gut platziert. Gemäss Ivica Durdevic entscheiden der Service und der Zugang zum Velomarkt darüber, ob es Newcomern gelingt, sich mit neuen Antrieben zu etablieren. Deshalb haben es kleine Hersteller zunehmend schwer, sich zu etablieren.

Die Chance packen will die zu den weltweit grössten Automobilzulieferern gehörende ZF Friedrichshafen. Der Konzern mit Sitz am Bodensee will das Geschäft mit Motoren für Fahrräder ankurbeln. Einen Teil des Know-hows dazu liefert die italienische E-Bike-Marke Neox, an der Gianni Mazzeo, langjähriges Geschäftsleitungsmitglied von Flyer, beteiligt ist. Kommt es zu einer Partnerschaft mit ZF Friedrichshafen, würde dies auch Neox helfen. Die Marke ist im Markt erst schwach vertreten. Gemäss Gianni Mazzeo sollen ab April Vorserienmodelle für Tests mit potenziellen Bikeherstellern zur Verfügung stehen.

 

ABS auch beim E-Bike

  • Was beim Auto längst eine Selbstverständlichkeit ist, kommt wohl jetzt auch beim E-Bike: Das Antiblockiersystem ABS. In diesem Jahr will mit Bosch erstmals ein Produzent aus der Autoindustrie mit dem Antiblockiersystem auf den Markt kommen.

Bosch ist dafür eine Partnerschaft mit Bikebremsen-Spezialist Magura eingegangen.

  • Grössere Verbreitung könnte ein ABS des schwäbischen Bikekomponenten-Herstellers Brakeforce One finden, da es mit verschiedenen Systemen kompatibel ist.

Zudem geht es noch einen Schritt weiter als das Bosch-System: Es wirkt nicht nur aufs Vorder-, sondern auch aufs Hinterrad.

  • Ein solches ABS soll verhindern, dass das Vorderrad blockiert wird, was auf nassem Boden schnell geschehen kann, oder das Hinterrad abhebt. red

 

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