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Renten

Bauarbeiter bangen um Frührente

Die Frühpensionierungslösung für Bauarbeiter ist in finanzieller Schieflage. Der «Rente ab 60» droht 
das Ende. Zwischen den Sozialpartnern brodelt es.

Sollte das Modell "Rente 60" künftig nicht mehr gelten, droht die Gewerkschaft mit Warnstreik. Bild: Keystone

Ernst Meier und
Markus Brotschi

Seit 2003 können Bauarbeiter dank einer eigenen Pensionskassenlösung frühzeitig in den Ruhestand gehen. Bis zum Erreichen des gesetzlichen Rentenalters erhalten sie eine Übergangsrente, finanziert von der Stiftung Flexibler Altersrücktritt (FAR). An die FAR entrichten Bauarbeiter während ihrer ganzen Berufszeit 1,5 Prozent des Lohns, die Baumeister 5,5 Prozent. Die Betroffenen haben sich mit der im Gesamtarbeitsvertrag festgelegten FAR-Lösung gut arrangiert – wenn auch die Baumeister über die zusätzliche Lohnbelastung immer stöhnten. Viele Bauleute lassen sich heute bereits mit 
60 pensionieren.

Nun ist diese Frühpensionslösung aber in finanzieller Schieflage – dem Modell «Rente ab 60» droht das Aus. Ein Grund liegt bei der Auffangeinrichtung BVG, in die die Pensionskassenbeiträge für die Frühpensionierten fliessen. Von den total 7 Prozent Lohnabzügen gehen 82 Prozent an die FAR und 18 Prozent an die Auffangeinrichtung. Für diese ist der Rentendeal aufgrund der demografischen Entwicklung und der tiefen Zinsen nicht mehr haltbar. Weil die geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter kommen, reichten die Beiträge nicht mehr aus, um die Renten zu finanzieren.

 

Defizit von 62 Millionen
Bis heute hat die Frührentenlösung der Auffangeinrichtung ein Defizit von 62 Millionen Franken verursacht. Ein Grund dafür ist der Umstand, dass die Auffangeinrichtung auf dem ganzen Alterskapital der Bauarbeiter den gesetzlichen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent gewähren muss – gemäss Vertrag auch auf überobligatorischem Kapital. Einen derart hohen Umwandlungssatz zur Berechnung der Rentenhöhe gewährt kaum mehr eine Pensionskasse. Eine Ausnahme bilden jene Kassen, die nur das gesetzliche Minimum versichern. Die Auffangeinrichtung hat jetzt den Vertrag mit der Baubranche gekündigt, wie gestern bekannt wurde. Dadurch werden die FAR-Übergangsrenten zwischen dem 60. und dem 65. Altersjahr ab 2019 nicht mehr automatisch der Auffangeinrichtung zugewiesen. Wer frühzeitig in Ruhestand geht, muss eine monatliche Einbusse von 300 Franken in Kauf nehmen.

Die Baumeister drängen schon länger darauf, das Frührentensystem zu sanieren und die Finanzierung langfristig auf gesunden Boden zu stellen. «Die Frührente im Bau ist nicht nur finanziell in Schieflage, das System insgesamt weist gravierende Mängel auf», erklärt Gian-Luca Lardi, Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes. Der Verband schlägt ein flexibles System vor: Bauleute können mit 60 in Pension gehen und erhalten eine tiefere Rente oder sie arbeiten länger ohne Einbusse.

Die Gewerkschaft Unia als Arbeitnehmervertreterin lehnt diese Vorschläge ab. Die Unia präsentiert eigene Lösungen, um «die Errungenschaft Rente 60 zu sichern». Laut Unia-Gewerkschafter Nico Lutz lässt sich die anstehende Pensionierung der Babyboomer-Generation mit einem Sanierungsbeitrag für die FAR von 0,5 bis 1 Prozent sowie einer Anpassung der FAR-Zahlungen an die berufliche Vorsorge finanzieren. Diesen Zusatzbeitrag müssten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufteilen.

 

Umfrage bei Bauarbeitern
Laut Unia sind die finanziellen Probleme nur vorübergehend – bis die Babyboomer in Rente sind. Die Gewerkschaft geht davon aus, dass sich die Situation nach 2024 wieder entschärft. Die Unia wirft den Baumeistern vor, die Vertragsauflösung durch die Auffangeinrichtung als Vorwand zu nehmen, um die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. «Die Baumeister wollen die Arbeitszeiten auf dem Bau erhöhen, den Kündigungsschutz und die Löhne für die älteren Bauarbeiter abbauen», sagt Lutz. Gian-Luca Lardi wehrt sich vehement gegen diesen Vorwurf: «Wer die Frührente retten will, kommt nicht um echte Sanierungsmassnahmen herum.»

Die Unia führt zurzeit eine Streikumfrage unter allen Bauarbeitern durch. Diese soll bis zum 23. Juni abgeschlossen sein. Für den gleichen Tag ist eine grosse Protestdemo der Bauarbeiter in Zürich geplant. Falls die Baumeister nicht einlenkten, stehe der Branche ein heisser Herbst bevor, sagt Lutz. «Warnstreiks sind nicht ausgeschlossen.»

«Wir sehen dem gelassen entgegen», sagt Gian-Luca Lardi. Es gehöre zum Vorgehen der Gewerkschaften, an der Friedenspflicht zu kratzen, um ihre ideologischen Forderungen durchzusetzen. «Bei der FAR geht es aber darum, wie man ein ineffizientes und marodes System gesunden kann.»

Stichwörter: Wirtschaft, Bau, Rente

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