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Baubranche

Bauarbeiter wollen auf die Strasse

Der herbstliche Streit zwischen den Baumeistern und den Gewerkschaften ist in vollem Gange. Die Arbeiter wollen für 100 Franken mehr Lohn demonstrieren, die Baumeister aber selber entscheiden.

Qualifizierte Bauarbeiter haben wegen des Fachkräftemangels auch ohne Gewerkschaft durchaus Chancen auf mehr Lohn. Bild: Keystone
Manuela Habegger
 
Die Baumeister haben sich mit Distanz an den Verhandlungstisch mit den Gewerkschaften gesetzt. Nach einer Nullrunde im letzten Jahr wollen sie auch in diesem Jahr keine pauschalen Zugeständnisse beim Lohn machen. «Das ist ungerecht. Die Bauwirtschaft boomt dank der Arbeit der Bauarbeiter. Und so viele Baugesuche wie in diesem Jahr hatten wir noch nie», sagt dazu Chris Kelley, Co-Leiter Sektor Bau bei der Unia. Zusammen mit seinen Kollegen fordert er 100 Franken mehr Lohn für das Personal auf dem Bau. Das sei nur gerecht für mehr Arbeit, mehr Stress und grundsätzlich höhere Lebenshaltungskosten.
 
Die Baumeister teilen die Ansicht nicht: «Viele Baugesuche bedeuten nicht, dass wir auch so viel mehr Arbeit haben», relativiert etwa Christoph Loosli, Bieler Baumeister und Mitglied des Zentralvorstands beim Schweizerischen Baumeisterverband (SBV). Ein Baugesuch könne eine Wärmepumpe sein, da habe der Bauhauptgewerbe nichts davon. Auf den jährlichen Umsatz komme es an und der sei stabil geblieben. «Wir hatten ja aufgrund der Einschränkungen auf den Baustellen auch Einbussen. Zudem sind viele mit Investitionen zurückhaltend. Von einem Rekordjahr kann man sicher nicht sprechen», betont er. Eine Teuerung habe es zudem auch keine gegeben.
 
Lohndruck steigt
Nun, was die Teuerung anbelangt: Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) dürften die Konsumentenpreise in diesem Jahr um 0,5 Prozent zwar steigen. Allerdings ist das Leben coronabedingt im letzten Jahr günstiger geworden, und zwar im Schnitt um 0,7 Prozent.
 
Der Bausektor war aber während der Pandemie deutlich weniger stark betroffen als andere Branchen. Die Auftragsbücher waren und sind noch immer gut gefüllt, gleichzeitig kämpft die Branche aber mit tiefen Margen und Zeitdruck: «Wir müssen immer mehr leisten und haben immer mehr Stress», sagt dazu ein Bauarbeiter (Name der Redaktion bekannt), der zusammen mit den Gewerkschaften für einen höheren Lohn auf die Strasse gehen will. Auf einem Plakat in der Baracke stehe zwar «Danke», aber mehr Lohn kriege er dafür nicht, sagt der gelernte Maurer. Er findet, das Feilschen zwischen den Baumeistern um Aufträge dürfe nicht auf dem Buckel der Arbeiterschaft ausgetragen werden. Kein Wunder also, fehle es der Branche an Fachkräften, wie Chris Kelley von der Gewerkschaft dazu meint. 
 
So werden laut dem SBV bei den Polieren beispielsweise in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht weniger als 42 Prozent der Baupolierstellen frei, weil die Babyboomer langsam in die Rente gehen. 2019 fehlten bereits Poliere im Ausmass von 11 Prozentpunkten. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Lernenden ab: 2010 haben beispielsweise 1200 Lernende eine Maurerlehre angetreten, 2020 waren es weniger als 750.
 
Christoph Loosli vom SBV argumentiert bezüglich des Lohns aber umgekehrt: «Genau diese Tatsache lässt die Löhne in der Branche ohnehin steigen. Denn nicht der Lohn bestimmt den Fachkräftemangel, sondern der Fachkräftemangel den Lohn.» Die durchschnittlichen Löhne im Bauhauptgewerbe sind aktuell rund 15 Prozent über dem Minimallohn, damit laut dem Gewerkschafter aber deutlich tiefer als im Baunebengewerbe, also bei den Handwerkern. Wie Christoph Loosli erklärt, sieht man genau dort diesen Effekt. Dort sei das Problem des Fachkräftemangels noch grösser.
 
Wenig Spielraum
«Wir werden immer als unglaublich böse dargestellt. Der Grossteil der Bauunternehmer zahlt aber faire Löhne und muss das angesichts des Fachkräftemangels auch, wenn er die Leute nicht verlieren will. Auch in diesem Jahr werden individuell die Löhne erhöht, aber sicher nicht nach dem Giesskannenprinzip», sagt Loosli weiter, der in Biel rund 100 Mitarbeiter beschäftigt. 
 
Auch der Bieler Bauunternehmer André Burkhalter von der Bau4U AG mit knapp 40 Mitarbeitern findet den Spielraum für generelle Lohnerhöhungen im aktuellen Umfeld zu klein. 
Derzeit schmälern laut dem Baumeister auch die höheren Materialkosten den Profit: «Der Mangel an Baustoffen hat die Einkaufspreise in die Höhe getrieben. Einen grossen Teil der Preissteigerungen können wir nicht an die Kunden weitergeben. Da bleibt unter dem Strich nicht mehr viel.»
 
Allerdings fallen die Materialkosten im Vergleich zu den Personalkosten bei einem Bauprojekt weniger stark ins Gewicht. Eine pauschale Lohnerhöhung für jeden Mitarbeiter oder Mitarbeiterin würde die Profite noch mehr schmälern. 
 
«Die Jungs draussen haben sehr viel geleistet. Arbeitgeber, die das schätzen, haben von sich aus für gute Arbeit einen Zustupf geleistet. Ansonsten würden die Leute ja gehen. Das muss aber auf individueller Basis passieren und darf keine Pflicht sein», sagt er.
 
Die Branche habe zwar genug Arbeit, aber nicht so, dass man gross um sich schlagen könne, meint Burkhalter weiter. In diesem Jahr liegt daher gemäss den Baumeistern keine generelle Lohnerhöhung drin: «Zuerst wollten die Gewerkschaften unsere Baustellen ganz dichtmachen und jetzt fordern sie mehr Lohn. Wir sind froh, konnten wir weiterarbeiten und damit Entlassungen verhindern», sagt dazu Christoph Loosli. Die Arbeitslosigkeit in der Baubranche hat während der Pandemie zwar von 2,5 auf 3 Prozent zugelegt. Die meisten der Arbeitslosen dürften aber temporäre Angestellte sein. 
 
Der Baumeisterverband will an seiner Position festhalten. Die Gewerkschaften mobilisieren im Gegenzug für eine Demonstration am 30. Oktober in den Städten Genf, Olten, Zürich und Bellinzona, bevor sich die Parteien am 4. November wieder am Verhandlungstisch treffen.

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