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Autobranche

Bei Feintool stehen die Ampeln auf Grün

Sechs Megatrends treiben die Autohersteller um, darunter die Elektromobilität, das autonome Fahren und die Nachhaltigkeit. Die Lysser Feintool hat gestern erläutert, warum sie für sich mehr Chancen als Risiken sieht.

Eine Stromtankstelle in Zürich – bis zur kompletten Elektro-Automobilität dürfte es noch dauern, doch auch der Weg dorthin bietet einem Zulieferer wie Feintool grosse Chancen.  copyright: keystone

Tobias Graden

Norwegen. Wer von einer Erfolgsgeschichte der Elektro-Automobilität erzählen will, wählt gerne das Beispiel Norwegen. Nirgendwo sonst fahren bereits jetzt so viele reine Elektroautos auf den Strassen wie in dem skandinavischen Land. Vor allem zwei Faktoren sind dafür verantwortlich: Der Staat fördert mit der Gestaltung des Anreizsystems den Absatz von Elektroautos, und durch die starke Stellung der Wasserkraft kann die dafür benötigte Energie vor Ort auf nachhaltige Weise erzeugt werden.

Doch Norwegen ist nicht die ganze Welt. Zwar sind sich die Branchenexperten einig, dass die Transformation der Antriebstechnologie von Automobilen begonnen hat und irreversibel ist. Bis auf den Strassen grossmehrheitlich reine Elektroautos fahren, dürfte es aber doch noch eine gute Zeitlang dauern. Die nähere Zukunft gehört der Hybridtechnologie, davon ist Stefan Walther überzeugt. Walther ist bei Feintool «Head of Strategic Planning and Business Development», und er weiss: Für Feintool ist diese Entwicklung positiv, sie bietet grosse Chancen. Denn Hybridautos haben neben dem Elektromotor nach wie vor auch einen Verbrennungsmotor und benötigen sogar eher mehr Feinschneidteile als reine Benzinwagen. Zudem wird sich Feintool in den nächsten Jahren auch im Bereich der Elektromotoren global positionieren, doch davon später.

China will den ersten Platz
Der Lysser Technologiekonzern hat die gestrige Halbjahreskonferenz nicht nur zur Präsentation der Zahlen genutzt, sondern um den Analysten einen tieferen Einblick in die Entwicklungen der Automobilbranche und der künftigen Positionierung von Feintool darin zu geben. Stefan Walther macht folgende sechs Megatrends aus:

- E-Mobilität
- Autonomes Fahren
- Shared Mobility (ungefähr: geteilte Mobilität)
- Vernetzung
- Nachhaltigkeit
- Plattformen

Diese Trends sind auch für die Zulieferer wie Feintool bestimmend, zeitigen aber bisweilen unerwartete, manchmal gar scheinbar paradoxe Folgen.

Am stärksten präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist derzeit wohl die Elektromobilität, wobei das Gebaren von Tesla-Chef Elon Musk das Seine dazu beitragen dürfte. Prognosen renommierter Marktbeobachter gehen aber davon aus, dass im Jahr 2030 erst 14 Prozent der verkauften Fahrzeuge weltweit reine Elektroautos sein dürften. Das stärkste Wachstum werden in den nächsten Jahren die Hybridfahrzeuge erfahren, sie sollen 2030 einen Anteil von 34 Prozent ausmachen. Treiber ist der Gesetzgeber, der die CO2-Gesetzgebung zunehmend verschärft, so dass die reine Verbrennungstechnologie an ihre technischen Grenzen stossen wird.

Die Entwicklung geht weltweit in die gleiche Richtung, allerdings gibt es doch auch regionale Unterschiede und auch unterschiedliche Motivationen. China etwa pusht die Elektromobilität auch darum, weil es darin die weltweite Technologieführerschaft anstrebt – für die Verbrennungstechnologie ist sein Rückstand dafür zu gross. Die USA unter Trump dagegen wollen die Emissionsvorgaben lockern. Jedoch halten wichtige Bundesstaaten wie Kalifornien an der restriktiveren Linie fest; und es bestehen grosse Zweifel, ob Trumps Umweltpolitik den US-Autoherstellern nicht gar schadet, drohen sie doch in Sachen CO2-Verbrauch damit den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren.

 

Gewichtige ethische Fragen
Für Feintool ergeben sich in dieser Entwicklung sowohl Herausforderungen als auch Chancen. So haben Hybridfahrzeuge kleinere Motoren und ihre Getriebe weniger Gänge, doch steigt dafür der Anteil an Automatikgetrieben und es braucht neue Teile für Kupplungen. E-Autos dagegen haben gar keinen Verbrennungsmotor und auch kein Mehrganggetriebe mehr, dagegen benötigen sie Steckverbindungen und Hochpräzisionsteile für die Motoren, bei Batterien und Brennstoffzellen.

Wie rasch der technologische Umschwung kommt, ist dabei selbst für die Autohersteller schwierig genau vorauszusagen. Sie gehen darum dazu über, für ihre Fahrzeuge Plattformsysteme zu entwickeln, welche die Verwendung aller drei Antriebstechnologien für die selbe Plattform ermöglichen. «Als Zulieferer positioniert man sich also ungefähr in der Mitte der Szenarien», sagt Walther, «so dass man in beide Richtungen reagieren kann.»

Ähnliches gilt für das autonome Fahren, bei dem die Technologie weiter fortgeschritten ist als die Gesetzgebung. Gewisse Elemente des autonomen Fahrens finden sich heute bereits in jedem Wagen, der up to date ist, etwa der Spurhalteassistent oder der Abstandstempomat. Ein autonomer Stauassistent ist dagegen bei einzelnen Fahrzeugen schon enthalten, die Verwendung aber noch nicht erlaubt. Und bevor das vollständige autonome Fahren verbreitet zur Anwendung kommt, stehen aber noch heikle gesellschaftliche ethische Debatten an. Klar ist, dass autonomes Fahren nur mit automatischen Getrieben Sinn macht – was wiederum Feintool zugutekommt, da diese mehr Feinschneidteile benötigen.

Ein deutliches Wachstum wird auch der shared Mobility vorausgesagt. Dies hat aber nicht in jedem Fall einen Rückgang der Autos auf den Strassen zur Folge, zumindest in einer ersten Phase. Beim Car Sharing, also wenn sich mehrere Personen dasselbe Fahrzeug teilen, dürften zwar mittelfristig insgesamt weniger Autos benötigt werden. Vorderhand ist aber gerade das Gegenteil der Fall: Zuerst müssen überhaupt mal die Flotten ausgebaut werden, und dann wird ein geteiltes Fahrzeug deutlich stärker beansprucht als das heutige Durchschnitts-Privatauto und muss darum auch früher ersetzt werden.

Der Trend zur Nachhaltigkeit bedingt aber auch eine zunehmende Rezyklierbarkeit und auch leichtere Fahrzeuge. Dabei haben die Hersteller in jüngster Zeit zwar Fortschritte gemacht, allerdings macht die Marktentwicklung – die gestiegene Nachfrage nach SUVs und grossen Autos – diesen Effekt wieder zunichte.

 

Elektromotor für Busse
Alles in allem bieten die genannten Entwicklungen einem Zulieferer wie Feintool bei entsprechender Strategie und internationaler Präsenz zweifellos Chancen für weiteres Wachstum. Die Lysser wollen dabei sowohl das bisherige Kerngeschäft weiter pflegen als auch die Tätigkeiten in Richtung Elektromobilität ausweiten. In diesem Licht ist die kürzliche Übernahme der Stanz- und Lasertechnik Jessen GmbH (STLJ) zu sehen. Sie stanzt Elektrobleche und verfügt über die Technologie, diese Bleche zu paketieren, zu schweissen und zu backen, wie die Fachbegriffe heissen. Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Die einzelnen Bleche werden ausgestanzt, aufeinandergestapelt und in dieser Form dauerhaft miteinander verbunden. So entstehen die beiden Grundelemente eines jeden Elektromotors: der Rotor (die drehende Masse) und der Stator (der Materialblock, in dem sich diese Masse bewegt).

Bislang war Feintool gar nicht im Bereich der Elektromotoren tätig. Dabei ist das Potenzial enorm: Ein Mittelklasse-Mercedes weist bereits heute 40 Elektromotoren auf, ein Oberklasse-Modell bis zu 100, und das gilt für Autos mit Verbrennungsmotor, so Feintool-CEO Knut Zimmer in seinen Ausführungen. Die STLJ ist ein mittelständisches Unternehmen mit derzeit rund 200 Mitarbeitern, es ist an Wachstumsgrenzen gestossen: Für gewisse Projekte, die manche Kunden gerne verfolgen würden, war es schlicht zu klein. Es sah sich darum nach einem geeigneten Partner um und fand ihn in der globalisierten Feintool, die in den vier grössten Automobilmärkten präsent ist. Es ist denn auch das erklärte Ziel, die Technologie aus Jessen zu internationalisieren und den Kunden in Europa, Asien und den USA anbieten zu können.

Laut Knut Zimmer zeichnet sich das grosse Potenzial jetzt schon ab: Bereits gebe es zahlreiche Anfragen, die explizit wegen der Übernahme durch Feintool gestellt würden. Nicht zuletzt soll auch die Tätigkeit der STLJ selber ausgeweitet werden, will man doch künftig auch ganze Motoren anbieten. Bereits ist ein erstes Projekt in Planung:Ein Elektromotor, der in Bussen, aber auch in Traktoren eingesetzt wird.

Ziel ist es, in diesem neuen Geschäftsfeld bis 2025 einen Marktanteil von zehn Prozent zu erreichen. Das heisst für den Standort Jessen allein: 100 Millionen Euro. Und man kann sich ungefähr vorstellen, was diese Entwicklung für den Umsatz der gesamten Feintool heisst. Der Satz, den Knut Zimmer zum Ausblick in die zweite Jahreshälfte gesagt hat, bietet durchaus mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Er lautet:«Alle Ampeln stehen auf Grün.»

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