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«Beilagen sind nun mal Beilagen!»

«Schweizer Fleisch. Alles andere ist Beilage.»: Proviande verzichtet künftig auf den prägnanten Slogan. Erfunden hat diesen der Bieler Werber Jürg Freudiger. Er hat daran 50 Rappen verdient.

Jürg Freudiger feiert den Abschied von «seinem» Slogan mit einem guten Steak – und ein paar Beilagen. Tanja Lander
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Interview: Tobias Graden

Jürg Freudiger, essen Sie gerne Fleisch?

Jürg Freudiger: (lacht) Und wie!

Viel?

Ja. Gerne und viel. Am liebsten grilliert.

Sie sollten sich schämen.

Gewiss, das tu ich auch.

Übermässiger Fleischkonsum ist nicht nur ungesund, sondern auch klimaschädlich, von der ethischen Frage ganz zu schweigen. Das wird in letzter Zeit nun wirklich oft genug betont.

Im Ernst: Ich spreche ja nicht von übermässigem Fleischkonsum. Das ethische Argument kann ich nicht nachvollziehen. Dass Fleisch ungesund sein soll, bezweifle ich stark. Was das Klima betrifft, wäre es mir auch lieber, die Kühe würden kein Methan ausstossen.

Moralisch sehen Sie kein Problem im Fleischkonsum?

Wenn es um die Frage artgerechter Haltung geht, habe ich natürlich eine klare Meinung. Hühner beispielsweise sollten nicht in diesen unsäglichen Käfigen gehalten werden. Das ist für mich keine Diskussion. Aber es ist für mich auch keine Diskussion, ob es moralisch falsch ist, Fleisch zu essen.

Warum nicht?

Es ist biologisch so gegeben: Es gibt Tiere, die Pflanzen essen, es gibt Tiere, die Fleisch essen, und es gibt solche, die beides essen. Der Mensch gehört nun mal zu Letzteren.

Wir haben also einfach das Glück, an der Spitze der Nahrungskette zu stehen.

Jedenfalls in unserem Lebensumfeld. Wenn wir im Polargebiet oder im Dschungel ausgesetzt würden, sähe das anders aus.

Jedenfalls scheint nun selbst der Fleischbranchenverband Proviande auf die veränderten Essgewohnheiten zu reagieren und wechselt darum den langjährigen Claim. Was halten Sie davon?

(seufzt) Der Verband hätte einfach sagen können: Hey, wir haben diesen Slogan nun zehn Jahre lang gebraucht, jetzt kommt was Neues. Dann wär das okay. Aber er sagt: Uiuiui, wir passen unseren Slogan den Vorstellungen der Vegetarier an. Das finde ich lächerlich. Man muss sich das vor Augen halten: Der Fleischverband passt seine Werbung den Vorstellungen jener Leute an, die kein Fleisch essen.

Der Werber würde sagen: Das ist nicht zielgruppengerecht.

(lacht) In der Tat.

Aus Ihrer Feder stammt die einprägsame Zeile «Schweizer Fleisch. Alles andere ist Beilage.» Wie kam es dazu?

2004 habe ich als Freelancer für die Werbeagentur Polyconsult in Bern gearbeitet. Wir hatten einen Pitch um das Budget für die Kampagne von Schweizer Fleisch. Es gab ein 30-seitiges Briefing, das besagte, was die Kampagne alles transportieren sollte. Wir haben drei Wochen lang gehirnt und gekrampft, und irgendwann stand der Spruch auf meinem Blatt.

Nach drei Wochen?

Einerseits nach zumindest zweiwöchigem Nachdenken, anderseits war er ein Geistesblitz, der plötzlich da war.

Ich hätte gedacht, der sei Ihnen beim Grillieren einfach so eingefallen.

Wie gesagt: Er ist mir plötzlich eingefallen, das aber nach einer Zeit von Blut, Schweiss und Tränen. Es war an einem Abend, als ich mit dem damaligen Creative Director Jürg Tscharner noch weiterarbeitete, als alle anderen schon gegangen waren. Ich schreibe den Satz auf, drehe das Blatt auf seine Seite, da steht er auf und schüttelt mir ganz förmlich die Hand.

Ist es immer so, dass jeder gute Slogan das Resultat mehrwöchiger Arbeit ist?

Es gibt durchaus die Geistesblitze, die man unvermittelt unter der Dusche hat. Aber das ist die Ausnahme. Gute Slogans sind meistens das Ergebnis harter Arbeit. Kein professioneller Werber sagt, zum Finden toller Ideen reiche es, eine Flasche Wein zu trinken.

Was waren denn die Varianten zu dem Slogan?

Es gab keine, denn wir haben gar nicht nach einem Slogan gesucht, sondern nach Ideen für die Kampagne, die den Vorgaben des Kunden entsprachen.

Was waren diese Vorgaben?

Eine wichtige war: Das tote Tier darf nicht vorkommen. Uns kamen natürlich viele Ideen, wie man Schweizer Fleisch inszenieren könnte. Etwa indem man Lastwagen mit Fleischstücken bebildert, in denen Pfeile stecken. Aber das durfte man auf keinen Fall. Also haben wir uns zum Beispiel überlegt: Warum nennt man eigentlich die anderen Sachen «Beilagen»?

Und?

Weil’s nun mal Beilagen sind! Das Fleisch ist die Hauptsache. Also haben wir um diesen Slogan die erste Kampagne gebastelt, in der jemand im Restaurant war und nur Beilagen serviert erhielt.

Dass ein Slogan zehn Jahre lang gebraucht wird, ist aber auch eher selten.

Ja, das ist eine lange Zeit. Er wurde zum geflügelten Wort. Das Vegi-Restaurant Hiltl hat das Augenzwinkern des Slogans aufgegriffen und ihn für seine Kampagne benutzt: «Alles andere als Beilage». Ein grösseres Kompliment hätte ich nicht bekommen können.

Ist es Ihr bekanntester Slogan?

Das kann man so sagen.

Haben Sie einen speziellen Bonus erhalten dafür?

Ich bin als Freelancer zum normalen Stundenansatz bezahlt worden. So gerechnet habe ich an diesem Zehn-Sekunden-Geistesblitz vielleicht 50 Rappen verdient.

Sind Sie von Proviande informiert worden, dass man nun die Kommunikation wechselt?

Ich nicht, aber ich arbeite auch schon lange nicht mehr mit der damaligen Agentur zusammen. Falls die Agentur aber immer noch mit Proviande arbeitet, wird sie’s schon mitbekommen haben.

Der neue Slogan lautet: «Der feine Unterschied.» Stammt dieser auch von Ihnen?

Nein.

Was halten Sie davon?

(zögert) Ich finde es cool, ist ein Wortspiel drin: Es ist ein feiner Unterschied und ä fiine. Das ist immerhin ein Wortspiel. Aber…

Ja?

Er ist halt schon zwei, drei Stufen braver.

Weil er auf ein beliebiges Produkt passt?

Nein, der Wortwitz spielt mit der gastronomischen Komponente. Der Kollege, der den Slogan geschaffen hat, versteht sein Handwerk. Aber er eckt nicht an, er tut niemandem weh. 2005 dagegen haben die Veganer eine grosse Gurke gezeigt und dazugeschrieben: «Alles andere ist Mord.» (lacht) Das wird mit dem neuen Slogan nicht passieren.

Haben Sie den Abschied vom alten Slogan mit einem Chateaubriand und einem edlen Wein gefeiert?

Ich habe ein gutes Steak genossen.

Schmerzt es Sie sehr, dass Ihr Satz nun nicht mehr verwendet wird?

Nein, das ist mir eigentlich Wurst.

 

«Vermehrt kritisiert»

  • Nach zehn Jahren verzichtet der Fleischbranchenverband Proviande auf den Slogan «Schweizer Fleisch. Alles andere ist Beilage.»
  • Gegenüber «20 Minuten» begründete dies Direktor Heinrich Bucher so: «Wir haben festgestellt, dass der Slogan im gegenwärtigen Klima, in dem der Fleischverzicht in aller Munde ist, vermehrt kritisiert wird.»
  • Vertreter von Vegetariern zeigten sich erfreut. In der Leserschaft der Gratiszeitung war die Meinung aber klar: Eine grosse Mehrheit der Teilnehmer einer Online-Umfrage sprach sich für den alten Slogan aus. tg

Kommentare

heidy70

Die meisste Werbung ist dumm und zum teil wird masiv gelogen. Aber die Fleischwerbung war sehr gut. Ich esse seit Jahrzehnten vielleicht 2 x pro Woche Fleisch, aber deswegen bin ich nicht gegen Leute die jeden Tag Fleisch essen, das ist privat Sache.


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