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Andy Rihs

Beschleunigen war ihm wichtiger als bremsen

Zugänglich, humorvoll, begeisterungsfähig, leidenschaftlich: Unternehmer und Sportförderer Andy Rihs war eine Frohnatur sondergleichen. Besonders die Region Grenchen hat ihm viel zu verdanken: Ohne ihn wäre womöglich nie mit Seeländer Velos die Tour de France gewonnen worden. Und sicher ist, dass es ohne ihn das Velodrome nicht gäbe.

«La vie, le velo, le vin»: Andy Rihs riss an, forderte, er war ein Macher. Genauso wusste er aber auch zu geniessen.  zvg

Tobias Graden

Grosszügig. Bodenständig. Ohne Allüren. Ein Patron im guten Sinn. Nahbar. Ohne Gehabe. Authentisch.
Wenn man mit Menschen spricht, die mit Andy Rihs zu tun hatten, dann mangelt es ihnen nicht an Attributen, die ihnen zum verstorbenen Unternehmer, Investoren, Mäzen und Sportförderer einfallen. Dem amtierenden Stadtpräsidenten von Grenchen zum Beispiel. Es sei eine grosse Persönlichkeit, die gehe, sagt François Scheidegger. Eine, die sich sowohl unternehmerisch als auch für den Sport sehr stark engagiert habe, insofern auch für die Öffentlichkeit. Rihs zählte zu den 100 reichsten Schweizern, war einer der erfolgreichsten Unternehmer, besass Firmen, Radsportteams, ein Weingut und Hotel, vieles andere mehr. Aber: «Ich habe ihn nie mit einer Krawatte gesehen», sagt Scheidegger.
Dass man in Grenchen so begeistert über Rihs spricht, hat gute Gründe: Die Region hat ihm enorm viel zu verdanken. «Das Velodrome ist ein Leuchtturm für die Stadt», sagt Scheidegger. Weltrekorde, internationale Rennen und damit die breite Wahrnehmung der Stadt – das gäbe es nicht ohne Andy Rihs. Mit dem Velodrome ist aber nicht nur eine Sportstätte entstanden und eine Freizeitstätte für die ganze Region. Damit verbunden ist auch Wertschöpfung, es sind Arbeitsplätze geschaffen worden. Im Umfeld des Velodromes, aber auch dank des Fahrradherstellers BMC.

Wenn, dann richtig
Dass Andy Rihs nach Grenchen gekommen ist, hat viel mit Hans Ledermann zu tun. Dieser war in den 80er-Jahren Radrennfahrer, ein Bahnspezialist. Seine damalige Frau arbeitete in Rihs‘ Firma Phonak, die damals noch mit 50 Mitarbeitern in Feldmeilen tätig war. Rihs fuhr schon damals gerne Rennvelo. Nach den Olympischen Spielen 1984 wollte Ledermann eigentlich mit dem Bahnsport aufhören, doch Rihs – die beiden hatten sich mittlerweile angefreundet – überzeugte ihn zur Fortsetzung der Karriere. Und er ermöglichte sie: Als Privatsponsor unterstützte er Ledermann, der fortan im Phonak-Trikot in den USA Rennen und an den Weltmeisterschaften aufs Podest fuhr.
Mitte der 90er-Jahre, Ledermann war inzwischen Teilhaber bei BMC, begegnete man sich wieder. Rihs zeigte sich interessiert und beeindruckt, was die Firma mit wenig Kapital erreicht hatte. Er fragte nach einem Businessplan – die BMC-Chefs Bob Bigelow, Paul Vernez und Hans Ledermann hatten das Wort noch nie gehört. Also brachte Rihs nicht nur einen ihm bekannten Manager in das Unternehmen ein, er übernahm durch eine Aktienkapitalerhöhung um 400000 Franken auch deren Ruder. Das war 1997. Fünf Jahre später hätten Bigelow, Vernez und Ledermann BMC wieder übernehmen können, so war es vereinbart gewesen. Doch Rihs hatte in der Zwischenzeit so viel investiert, dass diese sich den Rückkauf gar nicht mehr leisten konnten. Das zeigt: Wenn Rihs zupackte, dann richtig.

Eine halbe Milliarde Franken
Andy Rihs war einer der grössten Sportförderer der Schweiz. Neben – und vor – seinem Engagement bei YB (vgl. Text nebenan) galt sein Interesse vor allem dem Radsport. Über all die Jahre dürfte die Summe, die er direkt und indirekt in den Sport investierte, den Wert von 500 Millionen Franken überschritten haben. Dazu zählen die Investitionen in BMC, Stromer, das Velodrome und nicht zuletzt das Profi-Radsportteam, das jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag kostete, den sich Rihs als Privatperson leistete. Die Marke Phonak (heute Sonova) beispielsweise wurde dank des Radteams in den Nullerjahren weltbekannt. «Wenn er ein Ziel hatte, dann blickte er sehr weit voraus», sagt Hans Ledermann über Rihs. Das Ziel war der Sieg an der Tour de France. 2006 war es erreicht, Floyd Landis erreichte Paris in Gelb. Dem grössten Triumph folgte der grösstmögliche Absturz: Ein paar Tage später wurde Landis der Sieg wegen Dopings aberkannt. Andy Rihs hatte ein erstes Mal genug und löste das Team auf, nur um dann doch zurückzukehren: 2011 siegte Cadel Evans für BMC an der Tour.
Auch wenn das Profiteam die internationale Wahrnehmung der Marke BMC vorantrieb – mit betriebswirtschaftlichen Argumenten liess sich Rihs‘ Radsport-Engagement nicht erklären, dazu wendete Rihs viel zu viel Geld auf. Nein, er liebte die Welt des Radsports, er wollte in dieser dabei sein, er setzte sich bisweilen abends an den Tisch des Teams, stellte eine Flasche Wein hin und fachsimpelte mit den Fahrern. Kurz: Er lebte seine Leidenschaft.

Es gab auch Misserfolge
Und so hatte Rihs in seinem Wirken in Grenchen durchaus nicht nur Erfolge zu feiern. Jahrelang herrschte bei BMC Instabilität, CEOs kamen und gingen wieder, in der Branche war es ein offenes Geheimnis, dass die Marke, deren Rennräder in den TV-Übertragungen in aller Welt zu sehen waren, nur dank des Geldes von Rihs weiterexistierte. Eine Fehlinvestition grösseren Ausmasses war dann die sogenannte Impec-Factory. Rihs hatte das Ziel, die Fertigung von Highend-Carbonrahmen in die Schweiz zurückzuholen, nachdem praktisch die ganze Branche weltweit die Produktion nach Asien verlegt hatte. Nach vielen Verzögerungen stand die Fabrik, imposante Maschinen webten Carbonfäden zu Rohren und produzierten nicht nur Velorahmen, sondern auch eine medienwirksame Geschichte und die Bilder dazu. Die Produktion kam aber nie wirklich auf Touren, das sündteure Modell «Impec» war als Produkt technologisch eigentlich nicht auf der Höhe der Zeit und dementsprechend am Markt trotz «Swiss made» wenig gefragt. Stillschweigend wurde die Fabrikation eingestellt, nach geschätzten Kosten von 40 Millionen Franken.

Brutstätte für Olympiasieger
Nachhaltige Wirkung hat dagegen das Velodrome. Rihs war überzeugt, dass eine solche Sportstätte am Anfang späterer internationaler Erfolge – auch auf der Strasse – steht. Und er lag damit richtig, Fahrer wie Ian McEwan aus Australien oder der Brite Bradley Wiggins hatten es vorgemacht. Die Idee einer Radrennbahn in Grenchen geht auf eine Gruppe um Ledermann zurück, dieses Mal bestand ein Businessplan.
Doch alle Beteiligten sind sich einig: Ohne Andy Rihs gäbe es das Velodrome in Grenchen nicht. Nachdem Rihs 2011 die Geschichte um möglichen Insiderhandel bei Phonak ausgestanden hatte, ging es mit dem Velodrome rassig vorwärts. Nicht nur stellte er selber Geld für die Anschubfinanzierung zur Verfügung – durch sein Netzwerk fanden sich Mittel bei Unternehmern, die entweder Rihs oder dem Radsport oder beidem verbunden waren.
Andy Rihs mochte Leute, die ähnlich tickten wie er. Solche, die lieber beschleunigten als bremsten, die lieber machten als zweifelten. Der frühere Grenchner Stadtpräsident Boris Banga war so einer. «Nichts hasste er mehr als Leute, die ständig alles hinterfragen», sagt Banga, «denn er liebte das Risiko.» Als Banga Rihs in Sachen Velodrome zum ersten Mal anrief, waren die beiden nach ein paar Sekunden per Du. Banga spurte das Geschäft vor und nutzte seine Kontakte in der Politik, Rihs trug das private Geld zusammen, so dass die Anlage kein Fremdkapital benötigte (was ihr dann schon nach kurzer Betriebszeit schwarze Zahlen ermöglichte). In bloss rund zwei Jahren wurde das Velodrome realisiert. «Ohne ihn wäre das nicht gegangen», sagt Banga, «und er seinerseits attestierte uns, er habe es noch nie erlebt, dass seitens der Behörden ein Projekt so rasch zum Abschluss gebracht werden konnte.»

«Er motivierte uns»
Im Juni 2013 folgte dann der grosse Moment:Im Beisein von Bundesrat Ueli Maurer wurde das Velodrome feierlich eröffnet. Radsportlegenden wie Urs Freuler gaben sich die Ehre, und seither trainieren die besten Schweizer Radsportler auf der einzigen festen Schweizer Bahn, die für internationale Rennen homologiert ist. Als Stiftungsratspräsident bliebt Rihs nah am Geschehen, «er erkundigte sich immer wieder, wie es läuft, was geplant ist», sagt Peter Wirz, Geschäftsführer des Velodromes: «Er hat uns immer ermutigt, gross zu denken. Er motivierte uns weiterzugehen, vor allem im Bereich des Sports.» Das Team im Velodrome arbeite jeden Tag daran, Rihs’ Vision umzusetzen: den Radsportnachwuchs zu fördern mit dem Fernziel internationaler Erfolge. Zusammen mit dem Verband Swiss Cycling bestehen Nachwuchsförderungsprojekte, die Pumptrack-Anlage unweit der Halle besteht dort auch nur dank des Velodromes und dient nicht nur dem Radsportnachwuchs, sondern auch als Freizeitstätte für die Jugend der Region. Wie weit der Weg zu Olympiamedaillen bereits zurückgelegt ist, lässt sich zwar so genau nicht sagen. Doch Wirz meint:«Alleine der Umstand, dass Schweizer Athleten bei uns die Möglichkeit haben, sich in Rennen zu messen, bedeutet einen Schub für den ganzen Radsport.»

«Ihr müsst was machen!»
Andy Rihs selber fuhr bis zum Ausbruch seiner Krankheit sehr gerne Velo. An 150 bis 180 Tagen pro Jahr sei er auf dem Velo anzutreffen, sagte Rihs 2013 in einem Interview gegenüber dem «Bieler Tagblatt», «aber nicht den ganzen Tag» – lautete doch sein Motto:«La vie, le vélo, le vin». Genauso, wie er ein Macher war, war er auch ein Genussmensch, ein herzlicher überdies, und auch ein direkter. Boris Banga erinnert sich an ein gemeinsames Nachtessen im Restaurant. Rihs erhielt ein Cordon Bleu, in dem es an Käse mangelte:«Kurzerhand ging er in die Küche und instruierte den Koch, wie er es anzustellen habe, damit der Käse im Fleisch bleibe.»
Gleichzeitig war er auch grosszügig. Es konnte zwar durchaus vorkommen, dass er ein Investment kurzfristig beendete. So geschehen beispielsweise bei der Firma Biketec, deren erster Anlauf mit dem Elektrovelo Flyer in den späten 90er-Jahren nicht von Erfolg gekrönt war. Rihs zog sich zurück, betrachtete aber das investierte Geld als A-fonds-perdu-Beitrag. Beim Velodrome war es so, dass er die aufgelaufenen Mehrkosten selber trug.
«Er war eine wahnsinnige Persönlichkeit», sagt Peter Wirz, «eine Frohnatur sondergleichen.» Rihs ging auf Menschen zu, hat mit allen gesprochen, war sehr freundlich. Doch es gab auch die andere Seite dieses jovialen Patrons alter Schule:«Er war auch immer sehr fordernd», so Wirz, «wen wir Bedenken anmeldeten und sagten, ein Ziel sei schwierig zu erreichen, dann meinte er:‹Ihr müsst einen Weg finden, seid mutig, ihr müsst was machen!›» Gleichzeitig habe er in seiner fordernden Haltung auch Vertrauen geschenkt, Freiheiten gelassen, die Ergebnisse dann aber auch kontrolliert.

Charmant, aber abgemagert
Mitte Dezember 2016 absolvierte Rihs einen seiner letzten öffentlichen Auftritte. Das Velodrome hatte die Namensrechte an die Uhrenmarke Tissot verkauft, die sich von nun an auch stärker im Radsport engagieren wollte. Andy Rihs gab sich charmant wie stets, er sagte beispielsweise augenzwinkernd, man hätte gerne mehr Geld erhalten von Tissot. Doch Rihs war schon da von der Krankheit gezeichnet. Er war abgemagert, blutete aus der Nase. In Radsportkreisen wusste man um seinen Gesundheitszustand, zum öffentlichen Gegenstand gemacht wurde dieser jedoch nicht, bis der  «Sonntagsblick»im März 2017 einen Artikel dazu veröffentlichte. Rihs liess über seinen Sprecher ausrichten, er sei weiterhin guter Dinge und wolle das Leben geniessen.
Doch Rihs zog sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, umgab sich meist nur noch mit seinen engsten Vertrauten. «Man hat immer die Hoffnung, es möge noch ein bisschen länger dauern, es gebe noch einen Weg, das Blatt könnte sich noch wenden», sagt François Scheidegger, der etwa vor einem Jahr zum letzten Mal persönlich mit Rihs gesprochen hatte, «sein Tod ist nun ein schmerzlicher Verlust.»

BMC schreibt nun Gewinne
In Erinnerung bleibt Rihs «als Freund, grosser Visionär und Liebhaber des Radsports», wie das Velodrome-Team gestern über die sozialen Medien mitteilte. Weiter hiess es da:«Andy, wir werden Dich mit all deinem Support, deinem Lachen, deiner Unkompliziertheit und dem offenherzigen Humor vermissen. Wir bedanken uns von Herzen bei Dir für alles, was Du für uns getan hast!»
Der Velohersteller BMCveröffentlichte eine Mitteilung:«Mit ihm haben die BMC-Familie und die internationale Bike-Community einen ganz besonderen Menschen und wichtigen Einflussgeber verloren», heisst es darin. Rihs sei Mentor und loyaler Freund gewesen, sein Sinn für Humor und sein ansteckendes Lachen würden immer in liebevoller Erinnerung bleiben. Wie es mit dem Unternehmen weitergeht, wird noch nicht genau kommuniziert. Rihs’ Söhne machen sich nichts aus der Velobranche und dem Radsport.
Doch nach diversen Umstrukturierungen ist es um BMC ruhiger geworden, die Firma erzielt laut Mitteilung 100 Millionen Franken Umsatz und schreibt Gewinn. Offenbar hat Rihs die Zukunft von BMC vorgespurt. Der CEODavid Zurcher wird in der Mitteilung wie folgt zitiert:«Zudem hat das Management von BMCalle notwendigen Schritte unternommen, um das Wohlergehen aller BMC-Mitarbeitenden sowie der Marke BMCweiterhin sicherzustellen. Das war Andys Herzenswunsch.» Offen ist jedoch die Zukunft des Profi-Strassenteams, die Fahrer der Verträge laufen Ende Jahr aus. Beim Elektrovelo-Hersteller Stromer hielt Rihs bis zuletzt auch Anteile, noch ist nicht bekannt, was mit diesen geschehen wird.
Im Velodrome werde Rihs seinen würdigen Platz erhalten, sagt Geschäftsführer Peter Wirz:«Und wir werden alles daran setzen, die Mission in seinem Sinne der Förderung des Radsports weiterzuführen.» Wenn dereinst ein Rennfahrer, der in Grenchen ausgebildet worden ist, Olympiasieger wird oder die Tour de France gewinnt, dann wird diese in Erfüllung gegangen sein.

Geniessen, das konnte er
Weniger lang dürfte es dauern, bis der Berner Sportclub Young Boys nach langem und teurem Engagement von Andy Rihs und seinem Bruder den langersehnten Meistertitel feiert. «Wer ihn kannte, wird ihn immer im Herzen tragen», sagt Boris Banga über den Verstorbenen, «ich hoffe, er blickt von irgendeiner Wolke herunter und geniesst die YB-Meisterfeier.» Denn geniessen, das konnte er. Sein liebstes Radsportevent, sagte 2013 gegenüber dem BT, heisse «In Vino Veritas»: «Ich fahre im September mit zehn Kollegen in den italienischen, französischen oder spanischen Weinbaugebieten eine Tour. Egal, wie sehr man beim Fahren leidet – abends um sechs sind wir ohnehin in der Beiz.»
Andy Rihs verstarb in der Nacht auf gestern in der Klinik Susenberg im Kreise seiner Familie. Er wurde 75 Jahre alt. Hans Ledermann sagt: «Andere könnten 150 Jahre alt werden und hätten nicht so viel erlebt wie er.»

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