Sie sind hier

Abo

Boom

Chinesische Uhrenfans helfen
 Schweizer Herstellern durch die Krise

Konsumenten aus China erwerben Schweizer Uhren verstärkt daheim statt auf Reisen. Das dient der durch die Pandemie gebeutelten Schweizer Uhrenindustrie.

Läden mit Schweizer Uhren in Hongkong. China hat die Sonderverwaltungszone als wichtigsten Absatzmarkt abgelöst. (Das Bild stammt aus Zeiten vor der Koronakrise.) Bild: Wikimedia

Jon Mettler

Das aus China stammende Coronavirus stürzt die Schweizer Uhrenindustrie in eine der grössten Krisen seit der Nachkriegszeit. Doch ausgerechnet die Konsumlust der Chinesen sorgt dafür, dass der drittwichtigste Exportzweig der Schweiz nach der Pharmabranche und der Maschinenindustrie in diesem Jahr glimpflicher davonkommt als befürchtet. An der Uhrenindustrie hängen landesweit direkt knapp 58 000 Arbeitsplätze.

Der Export von Schweizer Uhren nach China ist von Januar bis November im Vergleich zu 2019 wertmässig um fast ein Fünftel gestiegen. Bei allen anderen bedeutenden Abnehmern wie den USA und Hongkong sind die 
Exporte deutlich eingebrochen. Inzwischen hat China die Sonderverwaltungszone Hongkong als wichtigsten Absatzmarkt für Schweizer Zeitmesser abgelöst.

Bislang leisteten sich Chinesen eine teure Schweizer Uhr, wenn sie als Touristen in Hongkong oder in Europa unterwegs waren. Sie konnten so Chinas hohe Steuern auf Luxusprodukte umgehen. Da das Land Anfang Jahr mit harten Massnahmen wie Abriegelungen von betroffenen Gebieten auf die Pandemie reagierte, rechnete die Uhrenindustrie mit einem Ausbleiben von kauffreudigen Touristen aus dem Reich der Mitte.

Doch China hat sich früh im Jahr von den Folgen der Corona-krise erholt und Geschäfte öffnen können. Damit verbunden ist auch ein sich änderndes Einkaufsverhalten der Chinesen, wie der Verband der Schweizer Uhrenindustrie beobachtet. «Die Chinesen kaufen bei sich ein», sagt Verbandspräsident Jean-Daniel Pasche. Es gebe den Willen, das Geld vor Ort auszugeben und die Abgaben auf Luxusprodukte in Kauf zu nehmen. «Das ist ein neues Phänomen, das sich verstärken dürfte», so Pasche.

 

Augenmerk auf boomende Provinz Hainan

Dazu beitragen dürfte auch, dass das kommunistische Regime mehr westlichen Lebensstil im Land zulässt. In Hainan zum Beispiel entstehen mehr und mehr Ferienresorts und Casinos. Zenith-Chef Julien Tornare macht deshalb keinen Hehl daraus, dass die hiesigen Uhrenhersteller ihr Augenmerk auf die boomende Provinz im Süden Chinas richten. Die Schweizer Marke gehört zum französischen Luxusgüterkonzern LVMH.

Weiter kommt den Uhrenmarken entgegen, dass in Hainan Steuererleichterungen für Luxusprodukte gelten. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg hat die Provinz zuletzt die Grenze für steuerfreie Einkäufe von umgerechnet 4080 Franken auf knapp 13 600 Franken pro Jahr und pro Person erhöht.

Die neue Rolle Chinas als wichtigster Abnehmer zwingt die konservative Branche dazu, bei der Digitalisierung an Tempo zuzulegen. So geht der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont eine Partnerschaft mit dem auf Onlinehandel spezialisierten Unternehmen Farfetch aus Grossbritannien sowie dem chinesischen Amazon-Konkurrenten Alibaba ein.

Richemont will auf diese Weise seine Marken wie IWC und Baume & Mercier in China besser auf Onlinemarktplätzen verkaufen. Die Reichweite wird auf 757 Millionen Kunden geschätzt.

Gerade junge Chinesen sind digital-affin. Ihre Bereitschaft, auf dem Smartphone einzukaufen oder Bankgeschäfte zu tätigen, ist im Vergleich zu westlichen Konsumenten höher.

 

Hoffen auf positiven Impfimpuls

Bleibt die Frage, ob die anhaltende Nachfrage in China in Kombination mit dem wichtigen Weihnachtsgeschäft das schwierige Coronajahr retten kann. Experten sind skeptisch: Branchenkenner René Weber von der Zürcher Privatbank Vontobel rechnet damit, dass Ende Jahr die Exporte wertmässig etwa ein Viertel unter dem Stand von 2019 liegen werden. Allerdings ging Weber nach dem ersten Lockdown von grösseren Einbussen aus: «Vieles hängt auch in Zukunft davon ab, ob noch weitere Ladenschliessungen bevorstehen», meint er.

Uhren bleiben ein gefragtes Weihnachtsgeschenk. «Trotz vieler Einschränkungen und Teil-Lockdowns in Europa werden wir voraussichtlich weltweit einen Dezember-Umsatz über dem Niveau des Vorjahres erreichen», sagt Georges Kern, Chef der Grenchner Marke Breitling.

Beim Luzerner Uhren- und Schmuckhändler Gübelin heisst es, das Unternehmen sei mit den bisherigen Zahlen aus dem Dezember und den Verkäufen an die lokalen Stammkunden «grundsätzlich zufrieden». «Der lokale Verkauf ist stabil und stimmt mit unseren Erwartungen für das Weihnachtsgeschäft überein», sagt ein Gübelin-Sprecher. Die Kette betreibt Boutiquen in Zürich, Basel und St. Moritz.

Aus den Rückmeldungen seiner Mitglieder speist der Branchenverband eine vorsichtige Zuversicht. Präsident Pasche geht davon aus, dass 2021 besser laufen wird als 2020 – auch dank der Impfstoffe, die zu einer Normalisierung der Lage beitragen dürften. Allerdings wagt Pasche keine Prognose, bis wann das Absatzniveau des Jahres 2019 wieder erreicht sein wird.

Nachrichten zu Wirtschaft »