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Corona lässt die Automaten heisslaufen

Nicht alle klagen, wenn wegen der Coronavorschriften Kioske und Tankstellenshops geschlossen bleiben müssen: 
Frank Keller, CEO von Selecta Schweiz, konnte sich über ein temporäres Umsatzwachstum freuen.

Wenn alle Läden und Kioske geschlosen sind, wird der rot-weisse Automat für viele zum sicheren Rettungsanker. Bild: Marc Dahinden

Urs Egli

Der Star ist ein Berner. Er steht im Hauptbahnhof, ist rot-weiss und sehr beliebt: Am Neujahrstag hat er binnen 24 Stunden mehr als 270 Artikel ausgespuckt – Gummibärchen, Redbull-Dosen, Schokoriegel, Cola-Fläschchen. Der Star ist der bestgenutzte der insgesamt 3000 Selecta-Automaten schweizweit. Das zweitbeliebteste Gerät am ersten Tag des Jahres 2021 steht in Winterthur.

Ob ein Automat bei den Konsumentinnen und Konsumenten sehr oder weniger gefragt ist, weiss man im Operational Center von Selecta im Industriequartier Neuhof in Kirchberg. Auf die Sekunde genau, während 24 Stunden am Tag. Wenn zum Beispiel am Bahnhof Zermatt ein Säckchen Pommes Chips, in St. Moritz ein Appenzeller Biberli, in einer Thuner Militärkaserne eine Packung Kondome, in einem Zürcher Spital ein Becher Starbucks-Kaffee oder aus dem Food-Center eines Grossunternehmens am Genfersee ein Teigwarenmenü gekauft wird, sieht dies ein Operator auf einem der fast unzähligen Monitore in Kirchberg.

 

Das System

Die von den Automaten in Echtzeit übermittelten Daten ermöglichen sofortiges Handeln, falls das Angebot in einem der Geräte knapp werden oder eine Störung auftreten sollte. In der Regel werden die Verpflegungsstationen allerdings nur einmal pro Tag aufgefüllt. Und so funktionierts: Morgens um 5 Uhr holen die sogenannten Merchandiser die von der Zentrale in Kirchberg angelieferten Esswaren und Güter in einem der schweizweit zehn Depots (Cross-Docking-Stations) ab und verteilen diese an den einzelnen Standorten einer Tagestour. Merchandiser sind Mitarbeiter, die die Selecta-Automaten, -Kaffeemaschinen und -Food-Center täglich mit frischer Ware bestücken.

Abgelesen werden kann auf den Monitoren in der Selecta-Zentrale ebenso, wie hoch der Tagesumsatz eines jeden der 3000 Automaten ausgefallen ist. Und, ob mit Karte oder Cash bezahlt wurde. «In der Schweiz haben wir mit etwa 50 Prozent noch immer einen sehr hohen Anteil an Barzahlung. Coronabedingt ist dieser Anteil nur um etwa 10 Prozent zurückgegangen», sagt Frank Keller, der seit dem 1. November 2020 CEO von Selecta Schweiz ist. Das Unternehmen beschäftigt in Kirchberg rund 80 Personen, 850 sind es im ganzen Land.

 

Die Digitalisierung

Mit Spielerei hat die Überwachung der Automaten wahrlich nichts zu tun, dafür mit knallhartem Business. Um die Mittagszeit wird der Warenbestand an sämtlichen Standorten festgestellt. Für jedes einzelne Gerät wird dann eruiert, wie viele Artikel noch verkauft werden dürfen, bis die Merchandiser die Automaten am nächsten Tag wieder befüllen werden. Damit soll erreicht werden, dass die Mitarbeiter nur mit der effektiv benötigten Zahl an Waren auf ihre Touren geschickt werden und nicht mit dem ganzen Sortiment. Sehen kann ein Operator auch, wie viele Franken dem Unternehmen verlustig gingen, weil in einem Automaten ein besonders beliebtes Produkt wie etwa Redbull über eine längere Zeit gefehlt hat. «Die Digitalisierung ist für uns eine riesige Hilfe», betont Frank Keller und nennt ein Beispiel: «Als es über die Festtage im Public-Bereich Rekordumsätze gab, konnten wir sofort reagieren und die Touren der Merchandiser auf die stark frequentierten Automaten abstimmen.»

 

Die Rekordverkäufe

Möglich waren diese Rekordverkäufe, die Selecta in der Schweiz im öffentlichen Bereich ein Umsatzplus von bis zu 70 Prozent bescherten, weil wegen der vom Bundesrat verfügten Coronavorgaben viele Läden geschlossen blieben. Wer abends Lust auf Gummibärchen oder ein Redbull hatte, kam nicht an den rot-weissen Automaten vorbei. Inzwischen hat der Wind jedoch etwas gedreht. Auch an Sonntagen sind Lebensmittelläden wieder geöffnet. Zudem sorgt das verordnete Homeoffice dafür, dass weniger Leute unterwegs sind. Diese Änderung geht nicht spurlos an Selecta vorbei.

«Gegenüber der Vorwoche resultiert ein Rückgang von 10 Prozent», weiss Keller. Gerechnet habe er mit einer noch höheren Einbusse. Dass der Gesamtumsatz im letzten Jahr um etwa 20 Prozent unter jenem von 2019 liege, sei primär auf den privaten Geschäftsbereich zurückzuführen: «Dieser hat während der gesamten Coronazeit gelitten, und er leidet weiter.»

 

Das Erfolgsprodukt

Diametral anders entwickelt sich dagegen der Bereich Micro Market. 55 dieser sogenannten Foodies konnte Selecta im letzten Jahr bei grossen Firmen installieren, bis Ende 2021 sollen es 110 bis 130 sein. «Wir haben im Moment eine unglaublich grosse Nachfrage. Denn die rund um die Uhr angebotenen frischen Produkte und warmen Speisen sind eine hervorragende Alternative zur Kantine oder zum klassischen Restaurant», ist der Firmenchef überzeugt. Wie hat sich dieses Erfolgsprodukt auf das Geschäftsergebnis 2020 ausgewirkt? «Zahlen zum Gesamtumsatz von Selecta Schweiz gibt das Unternehmen nicht bekannt», sagt Frank Keller kurz und knapp.

 

Die Sparmassnahmen

Bekannt ist dagegen, dass der Verpflegungskonzern mit Sitz in Cham ZG, der in 16 Ländern gut 450 000 Automaten betreibt, rund 1,6 Milliarden Euro Schulden hat. Der New Yorker Investor KKR (Kohlberg, Kravis, Roberts & Co), der Selecta 2015 gekauft hat, setzte im letzten November den Rotstift an. Laut NZZ sollen in der Unternehmensgruppe deutlich über 15 Prozent der etwa 9000 Stellen abgebaut und jeder achte Automat stillgelegt werden.

Stichwörter: Selecta, Einkaufen, Lockdown, Corona

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