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Führungswechsel

Dafür gibt es keine Ausbildung

Bei der Reist Schaumstoffe GmbH in Port übernimmt die junge Generation die operative Führung. Darüber freuen sich Roland und Edith Reist, denn damit war erst nicht zu rechnen.

Generationenbetrieb: Roland und Edith Reist zusammen mit Sohn Sandro Reist und dessen Freundin Daniela Schwab. Bild: Yann Staffelbach

Manuela Schnyder

Als Polster von Werkzeug-, Elektronikgeräte- oder Waffenkoffern, als Schallisolierung an den Wänden von Tonstudios oder als Sitzkissen und Matratzen im Haus, Garten oder Camper ist der Schaumstoff heute ein viel eingesetztes Material. Dabei werden hauptsächlich die beiden chemischen Verbindungen Isocyanate und Polyole in flüssiger Form zusammengemischt, die dann zusammen mit Sauerstoff reagieren: «Das ist wie beim Kuchen backen, wenn man Hefe hinzufügt», erklärt Sandro Reist von der Reist Schaumstoffe GmbH in Port.

Die cremeartige Masse beginnt sich nach dem Mischen schnell auszudehnen. Nach wenigen Minuten wächst der Schaumstoff auf zirka 100 bis 120 Zentimeter an, bevor man den Schaum abkühlen lässt und in Blöcke zuschneidet. Solche rund zwei Meter langen Blöcke stehen beim Familienunternehmen im Erdgeschoss als Rohware aufgereiht: «Je nach Rezeptur wird der Schaum dichter oder weniger fest, je nachdem was man damit machen will», erklärt er.

Das Familienunternehmen produziert den Schaumstoff zwar nicht selber. Das macht eine Firma im Zürcher Oberland. In Port steht dann aber der nötige Maschinenpark, um das mehr oder weniger weiche Material auf Kundenwunsch zuzuschneiden. Bis 2016 hat Roland Reist mit Ehefrau Edith Reist die Arbeiten alleine gemanagt. Seit 2016 hilft nun auch Sohn Sandro Reist mit.

Weil die Arbeit vielfältig ist

Eigentlich war es nicht Sandro Reists Plan, in den Familienbetrieb einzusteigen. Nach einer Lehre als Baumaschinenmechaniker sah er seine berufliche Laufbahn eher im Verkauf, weshalb er die Ausbildung als Technischer Verkaufsmann in Angriff nahm: «Wenn meine Eltern nicht neu gebaut hätten, wäre ich wohl nicht hier», sagt dazu Sandro Reist. So hat der 28-Jährige im Jahr 2015 mitgeholfen, den neuen Firmenstandort an der Spärsstrasse zu bauen: «Ich habe den Aushub mit dem Bagger gemacht, war dabei, als die Bodenplatten gelegt wurden und habe mir dann sozusagen selber den Bürostuhl aussuchen können», sagt Sandro Reist. Sprich, er habe beim Aufbau des neuen Geschäfts mitwirken können, das sei ein Wendepunkt gewesen.

So hat er sich entschieden, dann doch in den Familienbetrieb einzusteigen, und damit in ein Metier, für das es keine Ausbildung gibt: «Ich habe alles von meinen Eltern und learning-by-doing gelernt», sagt Sandro Reist. Angefangen hat er damals bei der Wasserschneidemaschine, die nach Zeichnung auf dem Computer den Schaumstoff per Wasserstrahl mit 3200 Bar Druck zurechtschneidet. Dann hat er immer mehr Verantwortung übernehmen wollen, wie Vater Roland erklärt. Er hat angefangen, Produkte wie etwa eine Werkzeugeinlage selber zu zeichnen, mit den Kunden zu besprechen, wo welches Werkzeug hinkommt, wie tief die Ausfräsung sein muss, das Ganze zu zeichnen und zu offerieren: «Es ist zwar immer Schaumstoff, aber die Verarbeitung, das Handwerk, die verschiedenen Maschinen und die damit verbundenen Möglichkeiten, machen diese Arbeit sehr vielseitig», sagt Sandro Reist. Dabei hat Roland Reist keine Mühe, Verantwortung und Aufgaben an den Sohn abzugeben. «Ich will nicht bis 70 an meinem Unternehmen klammern. Sandro ist in einem guten Alter und vor allem motiviert anzupacken. Es ist sein Naturell, neue Ideen einzubringen und umzusetzen. Ich will das sicher nicht blockieren.»

Weil die Maschinen da sind

Entstanden ist die Schaumstoffverarbeitung in Port in den 60er-Jahren im Dorfkern, geführt von der Familie Nobs. Später übernahm das Ehepaar Francis und Inge Houmard den Betrieb und vertrieb die Schaumstoffware unter neuem Namen Foampac GmbH. Roland Reist war damals Bauspengler und hatte mit Francis Houmard privat zu tun: «Er wollte verkaufen und wir haben die Chance gepackt», sagt Roland Reist. Der heute 60-Jährige hat das Unternehmen im Jahr 2006 mit seiner Frau Edith übernommen und in die Firma in Reist Schaumstoffe GmbH umbenannt. Und das tat er ganz ohne Vorkenntnisse in Sachen Schaumstoffverarbeitung: «Ich dachte erst, mein Mann spinnt. Wir mussten alles von der Pike auf lernen. Wir haben dann sicher auch Fehler gemacht, daraus aber gelernt und sind daran gewachsen», sagt dazu Edith Reist.

So hat das Ehepaar über die Jahre viel Neues wagen und Geld investieren müssen. Früher wurden nämlich die Formen noch per Bandsäge alle einzeln von Hand aus den erwähnten riesigen Schaumstoffblöcken ausgeschnitten: «Damals bin ich immer mit der grossen Säge nach vorne und zurückgelaufen, um die Blöcke zu schneiden. Bei Serien von mehreren Hundert Stück ist das dann ganz schön viel Arbeit», erzählt Roland Reist rückblickend.

Heute schneiden, fräsen und stanzen mehrere computergesteuerte grosse Maschinen die Schaumstoffware.: «Wir können als eine der wenigen Schaumstoffwarenhersteller sehr viele unterschiedliche Formen anbieten, weil wir den Maschinenpark dazu haben», sagt Sandro Reist. Rund 800 Kubikmeter Schaumstoff werden jährlich in Port verarbeitet. Eine ordentliche Menge für einen Familienbetrieb, wie ihm seine Lieferanten sagen. Der Grossteil der Schaumstoffware wird für die Polsterung in Verpackungen von Uhrenmachern oder Elektronik- und Werkzeugherstellern verwendet, also vor allem in Serien für die Industrie. Das ist das Kerngeschäft. Die Familie wagte sich aber auch in andere Geschäftsfelder. So stellt der Betrieb auch Schaumstoffwaren für Privatkunden her. Dazu gehören etwa Sitzkissen für Stühle oder Gartenmöbel oder Matratzen für zuhause oder den Camper: «Wir haben eine Näherin angestellt und diverse Stoffe für Bezüge eingekauft, darunter wasserfestes Material für den Outdoor-Bereich», sagt Sandro Reist.

Zusammen mit Sandros Götti, der von Beruf Therapeut ist, hat die Familie zudem ein Schlafsystem entwickelt, wobei eine Matratze auf die individuellen Körper der Kunden angepasst wird. Diesen Bereich, beziehungsweise das Tochterunternehmen, läuft bereits unter der Regie von Sandro Reist. An seinem Geburtstag am 22. Juni hat er nun auch die Geschäftsführung des Mutterhauses übernommen: «Das ist sehr befriedigend», sagt dazu sein Vater, der ihm auch weiterhin zur Seite stehen wird.

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