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Bundeshilfe

«Damit lässt sich schlecht leben»

Musiker und Eventtechniker dürfen wegen Corona einen Erwerbsersatz beim Bund einfordern. Die Berechnungsgrundlage dafür verzerrt aber offenbar das tatsächliche Jahreseinkommen.

Michael Stalder von United Studios erhält vom Bund nur 1.60 Franken pro Tag als Erwerbsersatz. Bild: zvg

Manuela Schnyder

Die vielen abgesagten Veranstaltungen treffen Musiker und Eventtechniker besonders hart. Deshalb hat der Bund auch für sie einen Corona-Erwerbsersatz gesprochen. Doch Michael Stalder staunte nicht schlecht, als die März-Abrechnung von der Ausgleichskasse in der Post lag: 15 Tage zu einem Tagesansatz von 1.60 Franken. Das ergibt für ihn 24 Franken für den halben bezugsberechtigten Monat, abzüglich der AHV-Beiträge sind es effektiv 22.76 Franken. «Damit lässt es sich in der Schweizer eher schlecht leben», sagt der Inhaber des Tonstudios United Studio, Live-Tontechniker und Sänger von der Coverband Bünzlikrachers. Er sei überzeugt gewesen, es handle sich um einen Fehler, entspreche der Betrag doch bei Weitem nicht 80 Prozent von dem, was er im letzten Jahr verdient habe. «Doch die Ausgleichskasse hat mir bestätigt, die Abrechnung sei korrekt.»

Das Problem: Die Ausgleichskasse rechnet das letztjährige Jahreseinkommen der Selbstständigen anhand der einbezahlten AHV-Beiträge hoch. Analog zu den Bundessteuern werden die AHV-Beiträge aber provisorisch in Rechnung gestellt, auf Basis der Beiträge des Vorjahres. Und diese wiederum sind oft auch noch provisorisch. Denn erst sobald die Steuererklärung der entsprechenden Zeitperiode definitiv auf dem Tisch liegt, können die AHV-Beiträge exakt berechnet werden. Bei vielen Selbstständigen ist erst das Jahr 2017 definitiv verrechnet. Und genau wegen dieses Umstands wird das Einkommen von Michael Stalder nun empfindlich unterschätzt: Der Tontechniker hat sich im Jahr 2017 selbstständig gemacht und sein eigenes Tonstudio eröffnet. «Natürlich habe ich damals viele Auslagen gehabt, viel in Equipment und andere Anlagen investiert», sagt der Musiker. Gewinn habe er erst in den Folgejahren machen können.

Zu tiefe Beiträge gezahlt

Und dennoch: «Die Berechnungsbasis ist legitim», sagt Hans Peter Nydegger von der Verex Treuhand AG. Denn auch die provisorisch eingezahlten AHV-Beiträge müssten das geschätzte Jahreseinkommen eines Selbstständigen widerspiegeln, betont er. So haben Selbständigerwerbende jeweils Ende Jahr per Formular die Gelegenheit, ihr geschätztes Einkommen für das kommende Jahr der Ausgleichskasse mitzuteilen. Dann würden die provisorischen AHV-Beiträge entsprechend angepasst, sagt der Treuhänder.

Das Problem ist nur: Nicht alle machen das: «Natürlich habe ich gewusst, dass ich mehr Umsatz generiere und deshalb höhere AHV-Beiträge einzahlen müsste», sagt Stalder. Deshalb hätte er auch mit steigendem Umsatz mehr Geld auf die Seite gelegt, um dann bei der Endabrechnung die geforderten Nachzahlungen zu begleichen. So liegt in seinem AHV-Ordner eine Tabelle von der Ausgleichskasse, auf der die AHV-Beiträge nach Umsatz abzulesen sind. Ob er die provisorischen Beiträge von der Behörde anpassen lasse oder dann einfach viel mehr bei der Endabrechnung zahle, mache doch keinen Unterschied, habe er sich gedacht.

Und damit ist er nicht der Einzige: Auch Pät von der Bieler Band QL ist schockiert über den Betrag, den er nun vom Bund erhält. 21.60 Franken pro Tag sind es bei ihm. Auch er habe sich 2017 als Solo-Künstler selbstständig gemacht. Gerade in der Musikbranche sei es sehr schwierig, das kommende Jahreseinkommen einzuschätzen. Man wisse oft nicht im Voraus, wie viele Konzerte man spielen könne, sagt er. Deshalb sei es einfacher, fortlaufend mit steigendem Umsatz die geschuldeten AHV-Beiträge privat auf die Seite zu legen, als den Finger in die Luft zu strecken und irgendein Einkommen bei der Ausgleichskasse zu melden – weshalb auch Stalder das nicht gemacht hat: «Bei mir können die Erträge bis zu 30 Prozent schwanken», sagt Stalder. «Ich will doch nicht etwas angeben und entsprechend AHV-Beiträge zahlen, wenn ich dann tatsächlich viel weniger verdiene.»

Paradoxerweise liegt bei Michael Stalder eigentlich ein aktuell geschätztes Einkommen bei der Ausgleichskasse vor: «Für die Kinderzulagen musste ich erstmals ein solches einreichen», sagt Stalder.

Auf die Politik hoffen

Dass der Bund für die Berechnung der Entschädigungen die provisorischen AHV-Beiträge zur Hand nimmt, das kritisieren die Musiker bedingt. Er trage selber die Schuld, dass er die Beiträge nicht habe korrigieren lassen, sagt etwa Pät. Und der Bund müsse in der Krise pragmatisch und schnelle Hilfe leisten, was er auch verstehe. Ihnen sei aber 80 Prozent vom Einkommen versprochen worden und nicht 80 Prozent von etwas, das auf den AHV-Beiträgen basiert. Sie seien logischerweise auf das Geld angewiesen, um den grossen Erwerbsausfall zu verkraften. «Es sei daher nicht fair, dass die Ausgleichskasse die Entschädigung später nicht korrigiert.»

So hat die Ausgleichskasse den beiden Musikern schriftlich mitgeteilt, dass nachträgliche Korrekturen aufgrund der Steuererklärung nicht gemacht werden. Und das gelte im Übrigen auch für die «normalen» EO-Leistungen, ergänzt Harald Sohns, stellvertretender Leiter Kommunikation des Bundesamts für Sozialversicherung. Die Ausgleichskassen wiesen die Mitglieder jährlich auf die Pflicht hin, höhere Einkommen zu melden, um auch höhere Akontozahlungen festzulegen. Es sei an dieser Stelle auch daran zu erinnern, dass die AHV im Umlageverfahren finanziert werde, also auf die laufenden Beitragseinnahmen angewiesen sei, um die Renten zu finanzieren.

Und er bekräftigt: Es sei nicht möglich, dass die Durchführungsstellen für Corona-Erwerbsersatz angesichts des hochdringlichen Massengeschäfts aufwendige Einkommensabklärungen im Einzelfall treffen müssen. So komme eine Nachbearbeitung, wenn definitive Steuerveranlagungen vorliegen, nicht in Frage.

Damit liegen die Karten für Betroffene derzeit schlecht, einen höheren Erwerbsersatz einzufordern. So hofft Michael Stalder nun auf politische Unterstützung: Per Facebook-Post adressiert er das Problem an Nationalrätin Jacqueline Badran (SP/ZH).

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