Sie sind hier

Abo

Gastronomie

«Das Gastgewerbe brennt ab»

Bei den Wirten brodelt es: Viele Betriebe fallen bei den Kriterien für die Härtefallhilfen durch das Raster. Auch im Seeland ist der Ärger gross.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Manuela Schnyder

Die Auflehnung der Gastronomen gegen die Corona-Massnahmen läuft aus dem Ruder. Diverse Betriebe in der Schweiz planen heute ihre Lokale trotz Verbot zu öffnen (siehe BT vom Freitag und Samstag). Sie verhalten sich damit gleich wie ihre Branchenkollegen in Deutschland und Österreich. «Wir machen auf» heisst die Protest-Bewegung, deren Anhänger nun sogar saftige Bussen riskieren. «Ich habe mir das auch kurz überlegt, und schon das ist doch einfach schade», sagt Nazif Asani vom Restaurant Seeland in Biel. Er sei schon 18 Jahre am Wirten und habe bislang immer ein gutes Verhältnis mit dem Staat gehabt.

Asani würde dann schon eher mit Stühlen und Tischen auf dem Bundesplatz seinem Unmut kundtun. Und damit wäre er wohl nicht der Einzige. Der Unmut in der Branche ist gross, wenn nicht riesig. Sollten jetzt nämlich die Härtefallhilfen des Bundes greifen, tun sie das gerade beim stark gebeutelten Gastgewerbe offenbar nicht: «Mehr als die Hälfte der Gastrobetriebe erfüllt die Kriterien für die Soforthilfe nicht», sagt Hansruedi Winiger, Vorstandsmitglied von Gastro Seeland und Inhaber des Bieler Pubs Tiffany’s. Das zeigten die Umfragen des Branchenverbands.

 

Unfaire Berechnung

Gemäss der Verordnung über die Härtefallhilfen des Bundes gelten nämlich jene Betriebe als Härtefall, die im letzten Jahr mindestens 40 Prozent weniger Umsatz erwirtschaftet haben als im Durchschnitt der beiden Vorjahre. Dabei werden auch die Kurzarbeitsentschädigungen eingerechnet. Das Problem: Die Wirte hatten dank Investitionen in Hygiene- und Schutzkonzepte, Takeaways und Heimlieferungen ein gutes Sommergeschäft. «Das ist doch unfair», sagt Hansruedi Winiger. So hätten die Wirte mit den Einnahmen, die sie im Sommer erwirtschaften konnten, grösstenteils die Schulden und offenen Rechnungen des ersten Lockdowns Anfang 2020 bezahlen müssen, betont er. «Einige spickt es auch nur knapp aus den Kriterien, weil sie mit Takeaway und Heimlieferungen ein bisschen dazu verdient haben. Damit hätte man sich im Nachhinein ja quasi ein Eigentor geschossen.»

Unfair findet die Berechnungsgrundlage etwa auch Sandro 
Bianchin, Mitinhaber des «Lokal» in Biel: «Ich habe Probleme damit, dass man Betriebe aus dem Schlamassel zieht, die im 2020 schlecht gearbeitet haben, während man die, die rentieren, die sich Mühe gemacht haben, hängen lässt.» Wie viele andere Wirte hat das «Lokal» in ein neues Konzept investiert und mit den Food-Takeaways und Heimlieferungen sowie einer grösseren Terrasse im Sommer seine Umsätze «vom freien Fall» retten können.

So liegt der Umsatzverlust bei den meisten Gastronomen 2020 wegen der behördlichen Massnahmen nicht bei 40 Prozent, sondern eher bei 15 bis 25 Prozent, wie Roland Itten von der Café-Bar Cecil in Biel erklärt. Dass ein Wirt die geforderten Minus 40 Prozent erreiche, müsse er quasi vier bis fünf Monate keinen oder fast keinen Umsatz generiert haben. «Das ist eine giftige Lösung; viele Wirte fallen so durch die Maschen», sagt Itten.

Und auch Marc Zahnd, Inhaber des «Boléro» in Lyss, des Hotel Falken in Aarberg, der «Sansibar» in Vinelz und Mitbeteiligter des «Palace» in Biel, sagt: «Wer diese Vorgaben definiert hat, hat wohl noch nie eine Erfolgsrechnung eines Gastrobetriebes gesehen.» In der Gastrobranche mache man nicht 40 Prozent weniger, sonst sei man gar nicht mehr auf dem Platz. «Es ist jetzt wichtig, dass man die Betriebe unterstützt, die probiert haben, durchzukommen, sich etwas haben einfallen lassen, auch Nullrunden oder gar ein Minusgeschäft in Kauf genommen haben.»

Laut Hansruedi Winiger müssten für die Berechnung der staatlichen Hilfen anstatt der Jahresumsatz die betroffenen Umsätze im November, Dezember, Januar und je nachdem auch Februar mit den Vorjahresmonaten von 2019 und 2018 verglichen werden. «Nur das macht Sinn, da wir in dieser Zeit unsere Betriebe schliessen mussten», sagt er.

 

Ungleiche Behandlung

Erschwerend für die Wirte kommt hinzu, dass wegen der angepassten Öffnungszeiten am Abend und wenig später des kompletten Lockdowns das ertragsreiche Wintergeschäft weggebrochen ist: «Die vielen Weihnachtsessen von Firmen und Privatpersonen im November und Dezember fanden in diesem Jahr nicht statt, das ist ein grosser Einbruch», sagt etwa Yvonne Schenk, Inhaberin des Restaurant Linde in Kappelen.

Für die Wirtin ist es zudem unverständlich, warum die Gastronomie anders behandelt wird als etwa der Einzelhandel: «Ich weiss keinen Fall, wo sich jemand bei mir im Restaurant angesteckt hätte.» Man habe sich so viel Mühe gegeben mit den Hygiene- und Schutzmassnahmen, den Abstandsregeln, mit Adressensammeln – und gleichzeitig stünden sich die Leute im öffentlichen Verkehr und in den Einkaufszentren auf die Füsse, während die Bauarbeiter am Mittag in der Kälte Pause machen müssen.

Auch Nazif Asani stört sich an der ungleichen Behandlung der Branchen: «Ich verstehe nicht, dass bei Manor in der Stadt 500 Personen einkaufen gehen können, oder dass Coiffeure Kunden empfangen dürfen – und wir müssen schliessen.» In diesem Fall müsse sich der Staat an den Fixkosten beteiligen, fordert er.

Dass die Corona-Massnahmen vor allem auf dem Rücken der Gastronomen ausgetragen werden, dafür hat auch Miriam Stebler kein Verständnis: Viele Restaurantbesitzer hätten im Sommer viel Geld in Schutz- und Hygienekonzepte investiert, Zelte gekauft oder Gewächshäuser gemietet und andere tolle Ideen umgesetzt, während man sich jetzt im Privaten mit Freunden trifft, ganz ohne Schutzkonzept, sagt die Präsidentin des Gewerbeverbandes Bieler KMU und Verwaltungsrätin des Restaurants Palace in Biel. Sie findet klare Worte: «Das Gastgewerbe brennt ab und ich frage mich wirklich, ob der Bundesrat will, dass die Branche gar stirbt.» Die Bedingungen für Härtefallhilfen seien absolut unzureichend.

Auch für Stebler müssten die staatlichen Hilfen anhand der Umsätze in den betroffenen Monaten berechnet werden, damit diese für die Gastrobranche greifen würde. Besonders verärgert ist Stebler auch über die Kommunikation aus Bundesbern: Verständlicherweise habe der Bundesrat anfänglich noch keine Erfahrungen im Umgang mit solch einer Extremsituation gehabt. Dass er nun auch im Herbst ohne jegliche Vorinformation die Öffnungszeiten der Gastrobetriebe anpasse und gleich kurze Zeit später nochmals, sei für sie unverständlich.

Planungssicherheit fordert auch Sandro Bianchin vom Bundesrat – und eine einheitliche Lösung. Denn die Kantone dürfen beispielsweise die Schwelle für Soforthilfen auch tiefer ansetzen, je nach Kantonskasse: «Es braucht eine gesamtschweizerische und langfristige Strategie. Wir wollen nicht wieder einen Entscheid für zwei Wochen.»

So warten die Wirte auf die nächste Pressekonferenz am Mittwoch. Dann wird der Bundesrat über eine allfällige Verlängerung des Beizen-Lockdowns bis Ende Februar informieren – und über mögliche Lockerungen der Kriterien für die Soforthilfen.

Nachrichten zu Wirtschaft »