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Uhrenbranche

«Das Geschäftsjahr verläuft besser als erwartet»

Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, betrachtet den Rückgang der Nachfrage nach günstigen Uhren mit Sorge. Und er spricht sich für das Rahmenabkommen mit der EU aus.

Jean-Daniel Pasche: «Wenn die Konsumfreude versiegt, leidet auch die Uhrenindustrie.» Bild: zvg

Interview: Philippe Oudot/pl

Jean-Daniel Pasche, das Exportvolumen der Uhrenbranche wächst weiterhin, zumindest wenn man die Zunahme in Franken betrachtet. Aber die Stückzahlen der ausgeführten Uhren sind rückläufig. Es scheint, dass sich die Schere immer weiter öffnet. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?    
Jean-Daniel Pasche: Das Auseinanderdriften von Warenwert und Stückzahlen ist bekannt, aber seit einem guten Jahr hat sich dieser Trend verstärkt. Das Luxussegment entwickelt sich sowohl bei den verkauften Exemplaren als auch beim Umsatz sehr gut. Die mittlere Preisklasse bleibt wenigstens stabil. Aber beim unteren Preissegment stellen wir einen markanten Rückgang fest.

Und insgesamt?
Gesamthaft bleibt die Bilanz positiv, denn das Geschäftsjahr verläuft besser als erwartet. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres betrug die Steigerung gegenüber der Vorjahresperiode 4,1 Prozent. Das Ergebnis ist deshalb bemerkenswert, weil wir im ersten Semester von 2018 einen Zuwachs von 10 Prozent erlebten. Bedenkt man, dass die Schweizer Exportindustrie in den ersten Monaten dieses Jahres nicht vorangekommen ist, darf sich dieses Resultat sehen lassen.

Ist der Einbruch im unteren Preissegment Grund zur Sorge?
Ja sicher, denn die Schweizer Uhrenindustrie muss in allen Bereichen präsent sein. Es geht um die Auslastung unserer Produktionsanlagen und die Bewahrung des industriellen Know-hows. Trotz des Rückgangs der Stückzahlen konnte die Uhrenbranche im vergangenen Jahr Arbeitsplätze schaffen. Auch andere Herstellerländer wie China und Japan sind von rückläufigen Volumina im unteren Preissegment betroffen.

Wo liegen die Gründe für diesen Einbruch?
In der unteren Preisklasse herrscht eine starke Konkurrenz. Billige Modeuhren aus Asien drängen auf den Markt; Smartwatches finden immer mehr Verbreitung. Heute braucht man nicht unbedingt eine Armbanduhr, um die Zeit abzulesen. Deshalb machen uns auch branchenfremde Produkte Konkurrenz. Der Wunsch nach Individualität wird zunehmend durch modische Lederwaren, Kosmetika und Kleider erfüllt. In der Haute Horlogerie gibt es diese Konkurrenz nicht.

Der Mai war ein ganz besonderer Monat: Die Exporte nach China nahmen auf einen Schlag um 81 Prozent zu. Was hat es damit auf sich?
Das stimmt, aber es handelte sich um einen sogenannten One-shot-Effekt. Im Mai wurde ein grosses Volumen an Armband- und kleinen Standuhren nach China exportiert. Diese Ausfuhr war ein einmaliges Ereignis. Trotzdem bleiben China und Asien im Allgemeinen unsere grössten Wachstumsmärkte.

Und Europa hängt währenddessen fest.
Tatsächlich sind die Verhältnisse auf dem europäischen Markt viel schwieriger. Eine Ausnahme bildet das Vereinigte Königreich, wo die Uhrenkäufe wegen der Verunsicherung vor dem Brexit stark zugenommen hatten. Auf den anderen wichtigen Märkten wie Deutschland, Frankreich oder Italien gingen die Exporte leicht zurück. In Frankreich stellen wir nach dem Aufstand der «Gilets Jaunes» eine gewisse Erholung fest. Die Protestbewegung hatte die Verkaufszahlen zwischen Ende 2018 und Anfang 2019 stark gedrückt. Mit dem Beginn der Ferienzeit rechnen wir mit steigenden Umsätzen, vor allem dank der Touristen. Vergessen wir nicht: Eine Uhr weckt Emotionen. Deshalb erfolgt der Kaufentscheid oft spontan.

Duty-free-Shops in Flughäfen sind wichtige Vertriebskanäle. Aber Fliegen wird im Moment weltweit als umweltschädlich angeprangert. Stellen Sie  einen Rückgang der Verkäufe fest?
Davon habe ich keine Kenntnis. Es geht ja vor allem darum, Flugtickets mit höheren Abgaben zu belegen. Diese Massnahme wird nicht automatisch dazu führen, dass die Menschen weniger reisen.

In den vergangenen zwei Monaten waren die Verkaufszahlen in Hongkong rückläufig. Hat diese Entwicklung mit der Protestbewegung gegen das chinesische Auslieferungsgesetz zu tun?
Nein, sicher nicht, denn es gibt immer eine zeitliche Verschiebung zwischen politischen Ereignissen und den Auswirkungen auf den Markt. In Hongkong gab es in der Vergangenheit schon ähnliche Proteste. Über einen längeren Zeitraum betrachtet bleibt Hongkong unser wichtigster Exportmarkt.

Die Schweiz hat verschiedene Freihandelsabkommen geschlossen, unter anderem mit der Volksrepublik China. Heute laufen Gespräche mit den Vereinigten Staaten und mit dem Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay). Was erwarten Sie von solchen Handelsabkommen?
Solche Verträge sind für die Uhrenbranche sehr wichtig. Nehmen Sie Mexiko: Seitdem wir mit diesem Staat ein Übereinkommen haben, ist das unser wichtigster Markt in Lateinamerika geworden. Wir liefern fünf- bis sechsmal mehr Güter nach Mexiko als nach Brasilien, das sehr protektionistisch aufgestellt ist. Ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur würde der Uhrenindustrie den Zugang zu Brasilien, der achtgrössten  Wirtschaftsmacht der Welt, öffnen.   

Der EU-Rahmenvertrag steht auf dem Spiel. Würde ein Scheitern Probleme bringen?
Das wäre ein Problem für die gesamte Wirtschaft. Unsere Branche wäre davon nicht speziell betroffen. Schliesslich hätten wir immer noch das Freihandelsabkommen von 1972. Aber wenn sich die Rahmenbedingungen verschlechtern, trifft es indirekt auch uns. Ich denke dabei an die grenzüberschreitende Forschung und an das Forschungs- und Entwicklungszentrum CSEM in Marin.  

Das halbe Jahr ist um. Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung?
In den ersten fünf Monaten haben wir Uhren im Wert von 8,9 Milliarden Franken exportiert. Auch dem zweiten Halbjahr sehen wir zuversichtlich entgegen. Wir rechnen mit einem guten Jahr. Allerdings darf die Weltwirtschaft keinen Einbruch erleiden. Die Risiken bleiben bestehen: Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China, der Konflikt im Nahen Osten. Auch die zunehmend nationalistischen und protektionistischen Tendenzen sind kein gutes Omen. Dennoch: Uhren sind keine strategisch entscheidenden Güter. Deshalb ist die Branche kein unmittelbares Ziel globaler Auseinandersetzungen. Zudem steht die Schweiz als Hochlohninsel nicht im Verdacht, Märkte mit Dumpingpreisen und unlauterem Wettbewerb zu destabilisieren. Trotzdem müssen wir wachsam bleiben, denn der Markt lebt von der emotionalen Bindung der Kundschaft zum Produkt. Wenn die Konsumfreude aus anderen Gründen versiegt, leidet auch die Uhrenindustrie.

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