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Swatch Group

"Das hat nichts mit Verschlafen zu tun, das ist eine Strategie!"

Der Bieler Uhrenkonzern bringt nicht das Handy ans Handgelenk, sondern wird Uhren mit sinnvollen Zusatzfunktionen anbieten: So will Nick Hayek in der Zeit der Smartwatches bestehen.

Nick Hayek, CEO der Swatch Group. copyright: anne-camille vaucher/bieler tagblatt

Tobias Graden

Sie misst, wie stark der Träger einen Smash schlägt. Sie zählt, wie oft die Zuschauerin während des Matches geklatscht hat. Sie weiss, wie viele Schritte die Beachvolleyballerin getan hat und zählt diese zu einer Gesamtdistanz zusammen. Und sie rechnet aus, wieviele Kalorien mit diesen Tätigkeiten verbraucht worden sind.  Sie, das ist die neue Swatch Touch «Zero One», die bald in den Läden steht. Sie hat einen Touchscreen, ein ansprechendes Design und vermittelt die Fitness-Informationen auf eine frische Weise, indem sie etwa den Kalorienverbrauch in Glacé-Piktogrammen anzeigt.
So weit, so gut. Grundsätzlich sind das bis hierhin keine Funktionen, die andere Fitnessuhren nicht auch schon hätten.


Kontaktlos bezahlen...


Aber da ist noch mehr. Die Uhr ist die jüngste konkrete Antwort der Swatch Group auf den Smartwatch-Trend. An der gestrigen Bilanzmedienkonferenz hat CEO Nick Hayek dargelegt, inwiefern sich die Strategie der Swatch Group für die nächsten Jahre in Zeiten des Smartwatch-Hypes in diesem Modell manifestiert.
Die jüngste Swatch kann mit einem NFC-Modul ausgestattet werden («near field technology», Nahfeldkommunikation, ein Übertragungsstandard zum kontaktlosen Austausch von Daten per Funktechnik). Damit wird kontaktloses Bezahlen möglich sein. Es war bereits bekannt, dass die Swatch auf diese Technologie setzt, um mit Partnern in der Schweiz ein entsprechendes kontaktloses Bezahlsystem zu etablieren. Noch nicht bekannt ist, mit welcher Bank dies erfolgen wird – diese wolle selber eine Pressekonferenz abhalten, so Hayek. Einen gewichtigen Partner hat die Swatch Group in China: Es ist China Unionpay, die einzige Kreditkartenorganisation in China. Zudem arbeitet die Swatch Group mit der Kreditkartenfirma Visa zusammen, die als Sponsor die nächsten olympischen Spiele nutzen dürfte, um das System breit zu bewerben.


...auch mit Omega


Bislang ist dieses NFC-Modul in der Swatch «New Gent» enthalten. Es ist aber bloss eine Frage der (kurzen) Zeit, bis es in weitere Modelle übertragen wird – auch in mechanische Uhren. Prädestiniert dafür, hiess es gestern, seien die Modelle der Marke Omega. Bei der Luxusmarke wird in einigen Jahren nämlich jedes Modell mit der antimagnetischen Technologie ausgerüstet sein (das BTberichtete). Es wird der Uhr also nichts ausmachen, ständig Magnetfeldern ausgesetzt zu sein, wie dies etwa bei Bezahl-Schnittstellen der Fall ist.
Ein NFC-Modul in der Uhr ist denkbar einfach und günstig. Es besteht aus nichts weiter als einem Schaltkreis und einer Antenne. Es arbeitet passiv, das heisst:Es benötigt keine Energie seitens der Batterie, es beeinträchtigt somit deren Lebensdauer (und damit die Autonomie der Uhr) nicht. Zudem sind mit der NFC-Technologie sehr einfach weitere Anwendungen möglich. Sehr leicht (und von jedermann) sind beispielsweise Zutrittssysteme oder Kundenbindungsprogramme zu gestalten. Ein Beispiel: Checkt man im Hotel ein, kann die so ausgerüstete Uhr auch als Schlüssel für das Zimmer dienen. Oder der Pizzaservice zählt die gekauften Pizzas und registriert automatisch, wann die Gratislieferung fällig ist.


Ein Schlüssel, kein Display


Gerade weil ein NFC-Modul so einfach in eine Uhr eingesetzt werden kann, dürfte es nicht lange gehen, bis andere Hersteller nachziehen. «Umso besser!», sagt Nick Hayek. So werde der Standard rascher gesichert – das ist wichtig, denn im Bereich des kontaktlosen Bezahlens wird es mittelfristig darum gehen, welches System sich am stärksten etablieren kann.
Die Bemerkung dagegen, die Swatch Group komme doch eher spät mit solchen smarten Anwendungen, lässt Hayek nicht auf sich sitzen:«Das hat nichts mit Verschlafen zu tun, das ist eine Strategie!» Diese Strategie lässt sich grob in einigen Kernpunkten zusammenfassen:
•Die Swatch Group versteht sich als Uhrenherstellerin. Als solche will sie kein minimiertes Mobiltelefon ans Handgelenk bringen, sondern Uhren mit integrierten, nützlichen und einfachen Zusatzfunktionen.
•Die Uhren bringen nicht ein weiteres Display in die Umwelt ihrer Besitzer, sondern diese tragen einen Schlüssel am Handgelenk (wie das obige Beispiel der Zutrittsfunktion illustriert).
•Diese Uhren, etwa die Swatch-Modelle, erfüllen die bislang gewohnten Qualitätskriterien. So sind sie zum Beispiel wasserdicht, und im Gegensatz etwa zur Apple Watch haben sie eine lang andauernde Autonomie – bei normalem Gebrauch dürfte die Batterie ein Jahr lang halten (zum Vergleich:Der Akku der Apple Watch muss nach 18 Stunden wieder aufgeladen werden.)
•Die Konsumenten werden über die bekannten Absatzkanäle angesprochen, und vor allem: Das Design der Uhren wird nicht zwangsläufig in erster Linie von den Zusatzfunktionen bestimmt. So können zum Beispiel auch Trägerinnen von modischen Damenuhren diese nutzen.
•Die Uhren mit Zusatzfunktionen werden zumindest zum Teil (wenn es sich um jene der Marke Swatch handelt) deutlich günstiger sein als etwa die Apple Watch.
•Die Swatch Group versteht sich nicht nur als Inhaberin und Anbieterin diverser Uhrenmarken, sondern als industrielle Gruppe. Als solche ist sie auch Zulieferer von Technologie für Hersteller von Konsumelektronik wie Smartwatches oder Smartphones (siehe Zweittext).


Kein Vergleich zu 70ern


Nick Hayek geht davon aus, dass sowohl die Smartwatches von Herstellern wie Apple als auch Uhren mit Zusatzfunktionen wie jene der Swatch Group eine Existenzberechtigung im Markt haben werden. «Apple gewöhnt die Leute daran, wieder etwas am Handgelenk zu tragen», so Hayek, «das ist gut.» Die Produkte seitens der Swatch Group stehen bereit: Die Swatch Touch «Zero One» ist marktbereit, bis im Sommer 2016 werden weitere Versionen für andere Sportarten sowie eine für die Olympischen Spiele folgen. Er rechnet damit, dass diese Swatch-Uhren insgesamt eine Stückzahl von etwa fünf Millionen erreichen werden.
Die Bedenken von Kritikern, die fürchten, die Schweizer Uhrenindustrie steuere wegen des von ihnen erwarteten Smartwatch-Booms auf eine Krise wie in den 1970er-Jahren zu (siehe «Carte Blanche» auf Seite 25) teilt Hayek nicht. Die damalige Krise sei nicht eine Technologiekrise gewesen, sondern sie habe vielmehr darin gegründet, dass die Schweizer Hersteller den Massenmarkt vernachlässigt hätten. Dies sei heute anders, wie gerade die Preise für die Swatch-Uhren mit Zusatzfunktionen zeigten.
Die grösste Gefahr für die Branche geht darum laut Hayek heute von dieser selber aus:Niemand ausser der Swatch Group entwickle Mikrochips, Batterien oder Quarze, mithin also Teile, die auch in Smartwatches gebraucht werden. Das führe bisweilen zur absurden Situation, dass Schweizer Uhrenmarken Technologie in den USAeinkauften, welche die dortigen Firmen wiederum bei der Swatch Group bestellen.

 

Batterien und Sensoren
«Das Silicon Valley für ‹ultra low power› ist in der Schweiz!» Das sagt Nick Hayek über das Segment Elektronische Systeme der Swatch Group. Dieses umfasst auch die Firmen EMMicroelectronics in Marin NE und den Batteriehersteller Renata in Itingen BL. Zwar trägt es nur knapp drei Prozent zum Konzernumsatz bei, gerade im Hinblick auf Touchscreen- und Smartwatch-Technologie ist es als Produktionszentrum enorm wichtig – und auch gefragter Zulieferer für Dritte wie Mobiltelefonhersteller. Taktile Bildschirme wandte die Swatch Group für die Marke Tissot darum schon an, als es noch keine Smartphones gab. Heute beliefert EM Marin über 50 Grosskunden, 90 Prozent sind ausserhalb der Uhrenindustrie.
Von besonderem Interesse ist auch die Batterientwicklung, welche die Belenos Holding mit der ETH Zürich und Renata vorantreibt. So ist es nach eigenen Angaben gelungen, mit dem Einsatz von Vanadium die Speicherkapazität von Batterien um 50 bis 100 Prozent zu erhöhen. «Das bringt uns an die Weltspitze der Batterietechnologie», sagte Michel Willemin, Leiter von EM Marin und Asulab. Damit wird die Swatch Group auch für Hersteller von Elektroautos interessant.    tg
 

Aussichten 2015
• Der Swatch Group werde die Aufwertung des Schweizer Frankens zum dem Euro kaum etwas anhaben, sagte Konzernchef Nick Hayek: «Die Aussichten sind exzellent.»
• Die ersten beiden Monate dieses Jahres seien sehr zufriedenstellend verlaufen, in Lokalwährungen habe man sehr gute Resultate erzielt.
• Der Aktienkurs der Swatch-Group-Titel legte gestern nach diesen Aussagen zu.
• Wie der Vergütungsbericht zeigt, ist der Lohn von Nick Hayek für 2014 praktisch gleich hoch wie 2013 (knapp 7,5 Millionen Franken).    tg

 

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