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Berufsbildung

Das Seeland ist die Technikregion

Eine Studie präsentiert erstmals genaue Daten zur Berufsbildung in der Region Biel-Seeland. Dabei zeigt sich: Der Anteil der Lehrverträge ist so tief wie nirgends sonst im Kanton Bern.

Lernende der BKW montieren eine Solaranlage. Elektrizität und Energie gehören zu den zehn wichtigsten Berufs-gruppen in der Region.  copyright: carole lauener/bieler tagblatt

Tobias Graden

Spätestens die Vorgänge in den Jahren 2015 und 2016 hatten die Akteurei im Bereich Berufsbildung in der Region aufgeschreckt. Bereits zuvor waren die Berufsschulstandorte für diverse Lehrberufe aus Biel abgezogen worden: 2008 waren dies die Berufe Hochbauzeichner, Maurer, Maler und Informatiker; später auch die Automobil-Mechatroniker und Restaurationsfachmann. Als absehbar wurde, dass der Kanton auch die Polymechaniker in Bern konzentrieren wollte, stellten sich die Bieler auf die Hinterbeine.
Ein monatelanges Tauziehen im Hintergrund brachte schliesslich den Erfolg:Ende April 2016 gab die Erziehungsdirektion bekannt, dass künftig nicht weniger, sondern mehr Polymechaniker in Biel ausgebildet würden (das BTberichtete). Zu verdanken war dies nicht zuletzt der Lobbyarbeit der Bieler, die sich in einer Arbeitsgruppe Berufsbildung vernetzt hatten. In dieser wirkten Vertreter der Berufsschulen, der Politik, des Vereins seeland.biel/bienne und der Wirtschaftskammer Biel-Seeland (Wibs) mit.
Diese Arbeitsgruppe blieb bestehen und stellte fest:«Es fehlt an genauen Daten zur Berufsbildung in der Region», wie die Vorsitzende Madeleine Deckert an der gestrigen Medienkonferenz sagte.

36878 Verträge analysiert
Letzten Sommer gab die Arbeitsgruppe darum die Erstellung einer Analyse in Auftrag, welche diese Wissenslücke schliessen sollte. Mit der Arbeit betraut wurde die Beratungsfirma Thahabi & Partners – als frühere Wibs-Geschäftsführerin ist Studienautorin Esther Thahabi mit den Gegebenheiten der Region vertraut.
Thahabi hat in erster Linie eine quantitative Analyse des Berufsbildungswesens in der Region erarbeitet. Dazu hat sie alle im Kanton Bern abgeschlossenen Lehrverträge zwischen 2014 und 2017 untersucht, dies sind insgesamt 36878 an der Zahl. Der qualitative Teil der Arbeit ist dagegen weniger umfassend ausgefallen und darum auch nicht repräsentativ. Eine genauere Interpretation der Befunde oder die Abgabe von konkreteren Handlungsempfehlungen müssten also in einer weiteren Analyse erfolgen.

Deutlich unter Durchschnitt
Die Analyse, deren Schlussbericht öffentlich einsehbar ist, stellt zunächst fest, dass in der Region Biel-Seeland deutlich weniger Lehrverträge abgeschlossen werden als in anderen Regionen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind es 2,61 pro 100 Einwohner, das Kantonsmittel beträgt 3,62, im Berner Jura sind es gar 4,74. Im Verhältnis zu den Arbeitsplätzen zeigt sich ien ähnliches Bild:Während es im ganzen Kanton im Durchschnitt 6,45 Lehrverträge pro 100 Arbeitsplätze gibt und im Berner Jura gar 9, sind es in Biel-Seeland bloss 4,8. In einigen Telefoninterviews wurden als mögliche Gründe eine zu starke Spezialisierung der Betriebe genannt, ebenso eine zu hohe zeitliche Belastung, schlechte Erfahrungen mit Lernenden oder die zu hohe Hürde, um Berufsbildner zu werden.
Im Berner Jura herrsche eben eine grössere Nähe, mutmasst Beat Aeschbacher, Direktor des Berusbidlungszentrums Biel, sowohl geografisch als auch «menschlich», Unternehmen und Bevölkerung seien sich schlicht näher. Hinzu kommt laut Gilbert Hürsch, Geschäftsführer der Wibs, der Umstand, dass frankophone Jugendliche aus Biel ihre Ausbildung tendenziell eher nicht im Seeland absolvieren, sondern dafür in den Berner Jura oder auch in den Kanton Neuenburg gehen. «Es ist ein Problem», stellt Grossrat Pierre-Yves Grivel (FDP) fest, «dass beispielsweise Coop und Migros keine Lehren in französisch anbieten.» Dieses sei jedoch erkannt, sagt Daniel Stähli, Direktor BFB, und die Grossverteiler seien daran, Abhilfe zu schaffen.

Fachmann Betreuung gesucht
Erhärtete Daten zu den Gründen gebe es allerdings nicht, gibt Gilbert Hürsch zu bedenken, «dazu bräuchte es eine weitere Studie». Ob eine solche erstellt werden soll, werde demnächst besprochen. «Die Gründe, warum Betriebe nicht ausbilden, würden uns nämlich schon interessieren», sagt Hürsch. Dagegen sei  es derzeit nicht nötig, Anreize für zusätzliche Lehrstellen zu schaffen. Denn zahlreiche Lehrstellen in der Region bleiben unbesetzt, auch dies ein Befund der Analyse. Spitzenreiter der entsprechenden Rangliste im letzten Jahr war der Beruf Fachmann/-frau Gesundheit, gefolgt von Kaufmann und von der Detailhandesfachfrau. Erstaunlich seien die 13 offenen Lehrstellen für den Fachmann Betreuung – solche gibt es nämlich einzig in der Region Biel-Seeland.
Eigentümlich auch die Lage im Lehrberuf Informatiker:Obwohl die Sparte gesamtschweizerisch gesehen als Aufsteigerin gilt, ist der Informatiker in der Region nicht unter den Top-20 der Lehrberufe. Allerdings gibt es im Gegenzug keine unbesetzten Lehrstellen für diesen Beruf.

Migranten besser informieren
Die meisten Lehrverhältnisse in der Region finden sich im Bereich Maschinenbau und Metallverarbeitung. Im letzten Jahr waren es 175 (vgl. Infobox). Es gebe «vielseitige Hinweise darauf, dass die Region Biel-Seeland bei der Berufsbildung eindeutig eine Technikregion» sei, heisst es im Schlussbericht. Während beispielsweise die Abweichungen zwischen den Berufsgruppen zum Kantondsdurchschnitt unter einem Prozentpunkt liegen, sind es bei der Berufsgruppe Maschinenbau und Metallverarbeitung 3,4 Prozentpunkte, um die der Anteil an Lernenden zwischen 2014 und 2017 höher ist. Auf den Plätzen zwei und drei für 2017 folgen Krankenpflege und Geburtshilfe (149) sowie Wirtschaft und Verwaltung (148).
Die Analyse gibt schliesslich diverse Empfehlungen ab. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, ein Gefäss für die Unterstützung der Berufsbildner zu schaffen und damit den Betrieben die Ausbildung von Lernenden zu erleichtern. Was die ICT-Berufe betrifft, so sei Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Positionierung der Region als zweisprachige Technikregion sei zu stärken. Und: Der Wert der Berfusbildung und die Offenheit der der diversen Bildungswege sei zu kommunizieren, wie Madeleine Deckert abschliessend festhält. Gerade bei Familien mit Migrationshintergrund sei diese spezfische Eigenheit des Schweizer Bildungswesens nämlich noch zu wenig bekannt.

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