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Wechselkurs

Der starke Franken ist zurück

Erstmals seit zwei Jahren ist der Euro wieder für weniger als 1.10 Franken zu haben.Damit steigt die Sorge vor einer erneuten starken Überbewertung und einer hilflosen Nationalbank.

Wer jetzt in einem Euroland Ferien macht, erhält mehr fürs Geld. Touristinnen vor einem Geldautomaten in Madrid. Bild: Bloomberg, Getty

Markus Diem Meier

Gestern Mittag um 12.15 Uhr sank der Preis des Euro pro Franken unter die Marke von 1.10. So tief war der Kurs zum letzten Mal im Juli 2017. Ein billigerer Euro bedeutet umgekehrt eine Aufwertung des Frankens.

Als im Mai des Vorjahres der Euro wieder 1.20 Franken kostete, schien man das Thema der Frankenstärke abhaken zu können. Zur Normalisierung kam es wegen der Erwartung, dass ein Ende der überall extremen Geldpolitik mit Tiefstzinsen absehbar schien. Mittlerweile hat sich das als Trugschluss erwiesen.

Schon am Montag hat der Preis für 1 Euro die Marke von 1.10 Franken zweimal erreicht. Doch beide Male stieg er wieder leicht an, als ob der Wert eine unsichtbare Mauer darstellte. Das weckt den Verdacht, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) dahintersteckt, die mit Währungsinterventionen – dem Kauf von Euro gegen frisch geschaffene Franken – die Aufwertung der eigenen Währung bei dieser psychologischen Grenze stoppen will.

Über ihre Interventionen gibt die SNB aus taktischen Gründen nie Auskunft. Das käme einer Einladung an Spekulanten gleich. Erst aus künftigen Daten zu den Giroeinlagen der Banken bei der SNB lässt sich eine mögliche Intervention herauslesen, weil Devisenkäufe der SNB von den Banken dort verbucht werden. Seit dem Sommer 2017 hat die SNB jedenfalls nie mehr im grossen Stil interveniert.

Die Nationalbank will 
die USA nicht vergraulen
Analysten rechnen jedenfalls damit, dass beim aktuellen Kurs eine Intervention wieder wahrscheinlich wird: «Sollte der Eurokurs unter 1.10 Franken fallen, halten wir eine Intervention der Nationalbank für angemessen», sagt zum Beispiel Daniel Trum, Devisenanalyst der UBS.

Automatische Verkaufsaufträge bei einem Unterschreiten dieser Kursgrenze drohen den Europreis in Franken weiter einbrechen zu lassen. Denn das kann als Signal dafür gelesen werden, dass die SNB nichts gegen eine Aufwertung unternimmt oder unternehmen kann. Begrenzt wird sie in ihren Möglichkeiten vor allem aus politischen Gründen. Einerseits steht sie im Inland in der Kritik, weil ihre Bilanz dank der bisherigen Devisenkäufe wertmässig bereits das Bruttoinlandprodukt der Schweiz übersteigt, und andererseits weil US-Präsident Donald Trump das als aktive Währungsmanipulation interpretieren und die Schweiz so ins Visier des Handelskriegs geraten könnte.

Für Schweizer Touristen, die ihre Ferien im europäischen Ausland verbringen, kommt die erneute Aufwertung gerade zum richtigen Zeitpunkt. Die Entwicklung führt zu einem Preisnachlass in der Heimwährung. Aus Sicht der Schweizer Konjunktur wirkt dagegen weniger der aktuelle Kurs an sich als vielmehr die Entwicklung bedrohlich. Zum einen, weil sich die Schweizer Wirtschaft in einer starken Verfassung befindet. Zum zweiten führt die höhere Teuerung im Ausland dazu, dass Schweizer Güter und Dienstleistungen auch bei einem Frankenkurs wie bei der Überbewertung wettbewerbsfähiger geworden sind.

Tourismus und Industrie fürchten weitere Aufwertung
Ein Kurssturz deutlich unter den aktuellen Kurs wäre hingegen weiterhin problematisch: Von Schweizer Touristikern zum Beispiel ist zu vernehmen, dass man Werte von unter 1.10 als «schwierig» erachten würde. Das gelte vor allem dann, wenn es zu einer sehr raschen Aufwertung kommen würde. Die Branche hat sich auf einen Durchschnittswert zwischen 1.10 und 1.15 Franken pro Euro eingestellt. Mit dem Verzicht auf Preisanpassungen hat sie bisher den Druck von der Währungsfront zu mildern vermocht. Auch in der Industrie konnte man die Frankenaufwertung der letzten Jahre besser meistern, als das befürchtet wurde. Dennoch gehen Schätzungen von bis zu 100 000 verlorenen Arbeitsplätzen aus.

Dass die Aufwertung Richtung 1.10 Franken pro Euro gerade nun erfolgt ist, liegt an der Erwartung zu den Entscheiden der grossen Notenbanken. Die Europäische Zentralbank (EZB) informiert morgen über ihren geldpolitischen Kurs, die US-Notenbank (Fed) am Mittwoch in einer Woche. Von beiden wird eine weitere Öffnung der Geldschleusen erwartet. Entsprechendes haben die Präsidenten Mario Draghi (EZB) und Jerome Powell (Fed) bereits durchblicken lassen.

Bei der EZB wird eine Zinssenkung weiter in den negativen Bereich entweder jetzt oder dann im Herbst erwartet – und dann auch erneute Wertpapierkäufe.

Beim Fed scheint eine Senkung des Leitzinses nächste Woche beschlossene Sache zu sein. Die Frage ist nur noch, ob sie ihn um 0,25 oder gleich um 0,5 Prozent senkt. Neben der erwarteten Zinssenkung in den wichtigsten Währungsräumen setzt auch die Sorge den Franken unter Druck, wonach US-Präsident Donald Trump aktive Massnahmen ergreifen könnte, um den Dollar zu schwächen, weil er sich an dessen hohem Wert stört.

Die Entwicklung des Frankenkurses in den letzten Monaten, die Rückkehr zu noch expansiveren geldpolitischen Massnahmen in anderen Ländern und die Unsicherheiten in Zusammenhang mit dem Handels- 
und einem möglichen Währungskrieg machen eine Entspannung beim Frankenkurs mittelfristig unwahrscheinlich. Die Analysten der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse halten deshalb sogar eine weitere Absenkung des Leitzinses in den negativen Bereich für möglich.

Die SNB selbst hält sich diese Option offen. Dieser Satz ist mit minus 0,75 Prozent schon jetzt so tief wie nirgendwo sonst auf der Welt.

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