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Nationalbank

Der Traum von der Bürgerdividende

Nach einem Rekordgewinn im letzten Jahr weist die Nationalbank im ersten Quartal einen Verlust aus. Mit der Annahme der Vollgeldinitiative hätten die Ergebnisse für ihre Ausschüttungen kaum mehr Bedeutung.

Die Geweinne der Nationalbank würden bei Annahme der Vollgeldinitiative anders verteilt, als das heute der Fall ist. Bild: Samuel Schalch

Markus Diem Meier

6,8 Milliarden Franken: Auf diese Summe beläuft sich der Verlust der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im ersten Quartal. Die grosse Zahl ist Folge der extrem aufgeblasenen Bilanz der SNB: Sie hat gegenwärtig einen Umfang von 821,3 Milliarden Franken. Es braucht angesichts dieser Summe nur geringe Kursänderungen von Anlagen wie Anleihen, Aktien oder Gold in der SNB-Bilanz – oder bei den Währungen, auf die die Anlagen lauten –, damit es zu hohen Bewertungsgewinnen oder eben Verlusten kommen kann. So macht der gestern publizierte hohe Verlust weniger als 1 Prozent der SNB-Anlagen aus.

Der Verlust ist auch Bewertungsänderungen geschuldet: 3,9 Milliarden Franken sind die Folge der im letzten Quartal gestiegenen Zinsen. Sie bedeuten, dass die Kurse von Staatsanleihen in den Beständen der SNB gefallen sind. Weitere 3,3 Milliarden des Verlusts gehen auf gesunkene Kurse von Aktienanlagen zurück und 2,8 Milliarden auf Währungsverluste. Fokussiert man auf der anderen Seite allerdings auf das tatsächlich geflossene Geld, so hat die SNB im ersten Quartal 2,4 Milliarden an Zinsen auf ihren Anleihen eingenommen und 0,6 Milliarden an Dividenden auf den Aktien. Eine halbe Milliarde hat sie zudem durch die Negativzinsen auf den Einlagen der Banken verdient. Die Währungsverluste beziehen sich im ersten Quartal vor allem auf den gegenüber dem Franken abgeschwächten Dollar. Das hatte auf die Erfolgsrechnung der SNB einen grösseren Effekt als die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro im gleichen Zeitraum.

Die Gewinne oder Verluste der SNB stossen in der Öffentlichkeit auf ein sehr grosses Interesse, weil stets ein Teil des Ergebnisses an die Öffentlichkeit ausbezahlt wird. Ein Drittel des Ausbezahlten geht dabei jeweils an den Bund, zwei Drittel an die Kantone. Mit der am 10. Juni anstehenden Abstimmung über die Vollgeldinitiative würden die Zahlungen der Nationalbank an die Öffentlichkeit aber auf eine gänzlich neue Grundlage gestellt.

Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass jetzt nur der aus den Anlagen der Nationalbank erzielte Gewinn für Auszahlungen infrage kommt. Und auch hier ist exakt geregelt, welcher Anteil das ist, und selbst im besten Fall sind es nie mehr als 2 Milliarden Franken. Das galt auch beim Jahresgewinn von 54,4 Milliarden Franken im letzten Jahr. Der Rest wird den Reserven und Rückstellungen zugewiesen.

Mit der Vollgeldinitiative würde die Geldverteilung an die Öffentlichkeit deutlich ausgeweitet, und sie betrifft nicht nur die Gewinne. Das zeigt vor allem der verlangte neue Verfassungsartikel 99a, Absatz 3, der verlangt, dass die SNB im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags neu geschaffenes Geld über den Bund, die Kantone oder direkt über Bürgerinnen und Bürger schuldfrei in Umlauf bringt. Weiterbestehen soll aber die Möglichkeit, den Banken befristete Darlehen zu gewähren.

 

Geld verschenken
Die schuldfreie Zuteilung an Bürger und Staat bedeutet, dass die SNB frisch von ihr geschaffenes Geld verschenkt. Wie viel das sein soll, regelt die Initiative nicht. Im Begleittext zum Artikel nennt sie den Betrag von etwa 5 Milliarden Franken jährlich, wenn die Schweizer Wirtschaft rund 1 Prozent wächst. Für das laufende Jahr wird ein mehr als doppelt so hohes Wachstum erwartet. Wie das Geld konkret verteilt wird, soll das Parlament nach Annahme der Initiative bei der dann nötigen Überarbeitung des Nationalbankgesetzes regeln.

Das Parlament kann laut dem Begleittext zum Artikel beschliessen, «inwieweit diese allfälligen Mehreinnahmen jeweils für Schuldentilgung, zusätzliche öffentliche Projekte oder Steuersenkungen verwendet werden». Zur Verteilung von geschenktem Geld an die Bürger – im Text ist die Rede von einer Bürgerdividende – schreiben die Initianten: «Pro Jahr und Kopf der Bevölkerung dürfte dies in der Grössenordnung von einigen Hundert Franken liegen.»

In den ersten Jahren nach Annahme der Initiative sind deutlich höhere Zahlungen vorgesehen. Weil das geplante Vollgeld der Nationalbank die bisherigen Guthaben der Bevölkerung auf Bankkonten ersetzen soll, würden die Banken das jetzt ihren Kunden geschuldete Geld neu der Nationalbank schulden. Weil aber alles auf Schulden basierte Geld nach einer Übergangsphase – die Initianten sprechen von 15 Jahren – durch Rückzahlungen verschwinden soll, muss die Nationalbank zum Ausgleich neues Vollgeld schaffen. Die Initianten rechnen mit maximal 300 Milliarden Franken, die ebenfalls an den Staat oder die Bürger ausbezahlt werden sollen. Das könne dann pro Kopf der Bevölkerung zu einer Zahlung von einigen Tausend Franken führen.

Diese Art der Geldverteilung gehört zu den kontroversesten Belangen der Initiative. Für Kritiker verschwimmt bei dieser Geldverteilung der Unterschied zwischen der bisherigen Ausgaben- und Einnahmenpolitik des Staates und der Geldschöpfung der Nationalbank. Sie warnen davor, dass diese Geldquelle Begehrlichkeiten von Politikern und Lobbygruppen weckt und so die Unabhängigkeit der SNB gefährdet wird. Weil es überdies sehr viel einfacher ist, die Geldmenge auf diesem Weg auszudehnen als wieder einzuschränken, warnen die Kritiker davor, dass es als Folge davon zu einer höheren und schlechter kontrollierbaren Teuerung komme.

 

«Erfreuliche Folgewirkung»
Die Initianten entgegnen darauf, die SNB bestimme auch künftig alleine über ihre Geldpolitik. Über die Darlehen an die Banken könne sie die Geldmenge weiter steuern, auch würde ihr die Möglichkeit bleiben, Wertpapiere und fremde Währungen zu kaufen oder zu verkaufen, um die umlaufende Geldmenge auszudehnen oder einzuschränken. Die vorgeschlagenen direkten Auszahlungen an den Staat seien überdies mit einem Anteil von nur rund 3 Prozent des Budgets von Bund und Kantonen zu gering, um als Staatsfinanzierung über die Geldschöpfung durchzugehen. Das werde im Übrigen auch nicht angestrebt. Die vorgesehene Auszahlung von etwa 300 Milliarden Franken nennen die Initianten eine «erfreuliche Folgewirkung der Vollgeldreform».

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Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank

Die Erläuterungen von EZB-Chef Mario Draghi gestern gegenüber den Medien sind eher enttäuschend. Noch vor kurzem liess das starke Wirtschaftswachstum in der Eurozone erste Signale einer Politikänderung erwarten.

Gestern aber wies Draghi vielmehr auf eine abgeschwächte Wirtschaftsdynamik hin und auf Risiken wegen eines aufkommenden Protektionismus, wie er aktuell von den USA propagiert wird. Eine frühzeitige Straffung der Geldversorgung in der Eurozone wird dadurch weniger unwahrscheinlich.

Konkrete Änderungen der Geldpolitik wurden aber gestern ohnehin nicht erwartet. Mindestens bis zum September will die EZB weiter pro Monat Anleihen im Umfang von 30 Milliarden Euro kaufen, um so Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Auch die Leitzinsen belässt sie auf ihrem aktuell aussergewöhnlich tiefen Niveau: Der Hauptrefinanzierungssatz für Banken bleibt bei null Prozent, der Einlagensatz auf EZB-Konten bei –0,4 Prozent. mdm

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