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Drahtwerke

Die Bieler Drahtzieher, und wie sie Pionierarbeit leisteten

Das Neue Museum Biel zeigt in einer Ausstellung die Entwicklung der Vereinigten Drahtwerke Biel. Es ist ein Blick zurück auf 360 Jahre Industriegeschichte in Biel und im Jura.

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Hämmern und Klopfen schallt aus den Gruben, in denen Männer mit kräftigen Muskeln und müden Gesichtern Eisenerz abbauen. Pferde und Ochsen ziehen die schwer beladenen Wagen zu den Schmelzöfen, die auf 1100 Grad eingeheizt werden mit Holzkohle aus den Bäumen im Jura.

Vor 800 Jahren bauten die Jurassier die erste Schmelzhütte, um Eisen zu gewinnen. Knapp 300 Jahre später glomm die Holzkohle in 33 Hütten, 100 Jahre später, im 17. Jahrhundert, erreichte die Eisenindustrie im Jura ihre erste Blütezeit.

Der Bedarf an Holzkohle war enorm, ganze Wälder wurden abgeholzt. So gross war der Bedarf, dass selbst steilste Schluchten wie die Combe Grède oberhalb von Villeret kahl geschlagen wurden. Wer die Abzweigung aus der Schlucht nach Ilsach nimmt, entdeckt, versteckt zwischen Bäumen, ein Fundament aus Jurastein. Hier stand einst die Hütte eines Köhlers.

Die Fürstbischöfe von Basel, bekannt für ihren guten Geschäftssinn, förderten den Aufbau der Eisenindustrie. Das Eisen war zunächst für den Export bestimmt, was sich im 17. Jahrhundert änderte. Im Jahr 1634 wurde in der ehemaligen Mühle am Ausgang der Taubenlochschlucht zum ersten Mal Draht gezogen.

360 Jahre lang schufteten Drahtzieher in den Drahtwerken. 1995 endete diese Tradition abrupt: Der Fabrik ging es schlecht, sie wurde aufgespalten; nach einem Management-Buy-out zog der Fahrradkomponenten-Hersteller DT Swiss ein. Das Kürzel DT ist abgeleitet von «Drahtwerke» und «Tréfileries».

Diesen vielen geschichtsträchtigen Jahren hat das Neue Museum Biel (NMB) eine Ausstellung gewidmet. «Weggewalzt», heisst sie, was ein doppeldeutiger Titel ist: Zum einen wurde in der ehemaligen Bieler Fabrik Eisen zu Draht gewalzt. Zum andern wurde die Fabrik im wahrsten Sinne des Wortes weggewalzt. Denn dort, wo sie einst stand, entsteht heute die Überbauung Schüsspark.

 

Viel Raum für die Menschen

Pietro Scandola, Direktor des NMB und Kurator der Ausstellung, hat eine persönliche Beziehung zu den Vereinigten Drahtwerken. Als er die Bieler Industriegeschichte beschrieb, erlebte er die Schliessung der Fabrik hautnah. Denn Scandola hatte sein Büro in der Fabrik, und der Abwart brachte ihm Gegenstände, die er aus dem Abfall gefischt hatte.

Objekte, die jetzt Teil der Ausstellung sind. Sie zeigt die Entstehung und das Ende der Vereinigten Drahtwerke, die Drähte und Nägel, die dort hergestellt und die Maschinen, die dazu benötigt wurden, sowie uralte Fotos der Männer, die in der Fabrik gearbeitet haben.

Die Männer blicken ernst in die Kamera, so wie es damals üblich war. Viele sind mager; ein voller Magen war selbst dann nicht selbstverständlich, wenn ein Drahtzieher Schwerstarbeit verrichtete. Am auffälligsten ist allerdings aus heutiger Sicht, dass viele Fabrikarbeiter fast noch Kinder waren, aber keiner älter als 45 oder 50 Jahre. Wie haben die Männer ihr Leben verdient, wenn sie zu schwach oder zu krank für die Fabrik wurden?

Dass Pietro Scandola den Fotos der Arbeiter viel Platz gewidmet hat, ist kein Zufall: «Ich will an die Menschen erinnern, die dort gearbeitet haben.» Scandola lädt mit der Ausstellung zu einer Zeitreise ein, die Jahrhunderte in die Vergangenheit führt.

Die Wasserkraft der Schüss ausgangs der Taubenlochschlucht wurde bereits im Mittelalter für eine Mühle genutzt. Denn das Gefälle ist stark und die Kraft der Schüss deshalb enorm. 1634 wurde ein Drahtzug der Mühle angegliedert; dieser gehörte dem geschäftstüchtigen Bischof von Basel. Rund 80 Drahtzieher und Fuhrleute beschäftigte der Drahtzug damals, zu seinen besten Zeiten waren es 1400.

Anfangs zogen die Arbeiter den Draht mit einer Zange durch ein Zieheisen. Dabei schaukelten sie hin und her, um die Zugkraft zu vergrössern. Später ersetzte Wasserkraft einen Teil der Muskelkraft, und ab dem 19. Jahrhundert lösten Dampf- und Elektromotoren die Wasserkraft ab.

In dieser Zeit entstanden die Vereinigten Drahtwerke durch eine Fusion der Drahtzüge in Bözingen und der Draht- und Stieftefabrik in Biel. Zugleich wurde die Wasserkraft besser genutzt. Um das Gefälle von 10 auf 70 Meter zu erhöhen, wurde ein Stollen in die Schluchtwand getrieben. Dank des Stollens, der waagrecht verläuft und das Wasser am Ende mit Wucht herabstürzen lässt, stieg die Wasserkraft von 200 auf 700 PS. Dem Überlauf des Stollens entspringt ein Wasserfall, der bis heute viele Spaziergänger anlockt.

Ab dem Jahr 1882 erzeugten die Drahtwerke ihren eigenen Strom. Zwei Jahre später wurde über ein 1200 Meter langes Kupferkabel Strom an eine Uhrenfabrik geliefert. Eine Bieler Zeitung schrieb damals enthusiastisch, dies sei eine Weltneuheit. Dass dem tatsächlich so war, bezweifelt Pietro Scandola ein wenig, doch eine Pioniertat war es allemal. Denn die Elektrifizierung des Seelandes begann erst 16 Jahre später, als im Jahr 1900 das Wasserkraftwerk in Hagneck eröffnet wurde.

 

Laut wie in der Hölle

Zur Zeit, als der erste Strom in Bözingen produziert wurde, gab es noch keine Autos; die Welt war viel stiller als heute. Nicht so ausgangs der Taubenlochschlucht: Das Dröhnen, das Scheppern, das Brummen aus den Vereinigten Drahtwerken war weitherum zu hören. Touristen, die über den damals berühmten Weg von Basel nach Biel-Bözingen wanderten, sagten: «So muss sich die Hölle anhören.»

In den Neunzigerjahren verstummten die Geräusche. Heini Stucki, der Bieler Fotograf, der bereits sein ganzes Lebens lang das Seeland mit Bildern dokumentiert, fotografierte die letzten Drahtzieher in den hohen Hallen. Auch diese Bilder sind Teil der Ausstellung, sie wirken melancholisch, denn sie zeigen das Ende einer Ära. Die Männer posierten nun nicht mehr wie hundert Jahre zuvor, Stucki fing sie mit seiner analogen Kamera während des Arbeitens ein. Ihre kräftigen Arme zeigen, wie anstrengend die Arbeit war, ihre halbnackten Oberkörper deuten darauf hin, dass es heiss war in den Hallen.

Die allerletzten Fotos aus der Fabrik sind von der Fotografin Barbara Kopp. Es sind schwarz-weisse Bilder aus der nun menschenleeren Fabrik, geprägt von einer düsteren Ästhetik.

DT Swiss hat inzwischen im Bözingenfeld ein neues Industriegebäude gebaut. Im Jahr 2001 wurden die Vereinigten Drahtwerke und damit 360 Jahre Industriegeschichte weggewalzt.

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