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Energiewende

Die eigene Solaranlage wird künftig fremdgesteuert

Der Bieler Telekomanbieter Quickline steigt ins Energiemessgeschäft ein. Die ersten seiner intelligenten Stromzähler werden in Lyss eingebaut. Sie sind Teil der nationalen Energiestrategie.

Quickline-Chef Frédéric Goetschmann (rechts) und Prduktmanager Lorenz Hadorn, Bild: zvg

Manuela Habegger

Die Schweiz will das Stromnetz intelligenter machen. Das gehört zur Energiestrategie 2050, der das Volk 2017 zugestimmt hat. Und dazu gehören auch intelligentere Messgeräte. Die Energieversorger sind deshalb aktuell damit beschäftigt, die Stromzähler in den Haushalten von analog auf digital umzurüsten. Bis 2027 müssen 80 Prozent der alten Stromzähler ersetzt sein, so die Vorgabe des Bundes. In der Region werden die sogenannten «Smart Meter» als Erstes in der Region Lyss eingebaut. Der private Stromverbrauch wird dann nicht mehr nur jährlich, sondern im 15-Minuten-Takt gemessen und täglich an den Energieversorger übermittelt.

Allerdings haben nicht alle Energieversorger die gleichen Ressourcen, um die digitale Umstellung im Alleingang zu stemmen: «Weil wir als Telekommunikationsanbieter viel Wissen in der Datenübertragung und im Betreiben von Plattformen haben, sind wir die Einführung der neuen Smart Meter mit unseren Energieversorgern gemeinsam angegangen», erklärt Frédéric Goetschmann, Geschäftsführer von Quickline.

Das Bieler Unternehmen ist zu zwei Dritteln im Besitz von einem Querverbund an Energieversorgern, für die es Internet, Telefonie und Fernsehen bereitstellt. Das neue Produkt will Quickline aber auch an externe Betreiber vermarkten. Die Quickline Energy Plattform mit den intelligenten Stromzählern verspricht dabei ein genaueres Monitoring und Lenken der Stromflüsse im lokalen Netz. Gleichzeitig werfen die Smart Meter aber auch Fragen der Privatsphäre und des Datenschutzes auf.

 

Einen Blackout verhindern

Hintergrund des landesweiten Umrüstens von analog auf digital ist nicht nur die Automatisierung des Stromablese- und Abrechnungsprozesses, sondern die Energiewende. Wurde früher der Strom überwiegend aus einer überschaubaren Menge von Grosskraftwerken erzeugt und über verschiedene Netzebenen mit abnehmender Spannung an die Verbraucher und Verbraucherinnen weitergeleitet, fliesst heute immer mehr Strom aus vielen kleineren Anlagen bei Privaten oder aus der Industrie in die unteren Netzebenen, also in die Netze der lokalen Energieversorger.

«Wir haben jetzt nicht nur Strom, den wir verteilen, sondern auch Strom, der in unser Netz zurückfliesst», erklärt Renato Mantese vom Lysser Netzbetreiber Energie Seeland AG. Und weil es sich dabei um erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wasser oder Wind handelt, ist diese Stromzufuhr auch noch sehr schwankend. Das mache das Handling des Stromnetzes komplexer, weil für ein stabiles elektrisches Netz der zugeführte Strom jederzeit auch dem Verbrauch entsprechen muss.

Das Kernteam um die neue Quickline Energy Plattform besteht aus Quickline-Spezialisten und Vertretern der Esag sowie der Localnet AG, die im Raum Burgdorf die Versorgung mit Strom, Wasser und teilweise Gas sicherstellt. Vor 18 Monaten haben die Energie- und Telekomspezialisiten das Projekt lanciert und seither in den Räumen des Switzerland Innovation Parks Biel/Bienne weiterentwickelt. Entstanden ist laut Frédéric Goetschman nun viel mehr als nur ein digitales Messgerät für den Strom. Entstanden ist eine Plattform, die auch Messdaten von Wasser-, Gas- oder Fernwärmeanlagen abbildet.

Wie Goetschmann erklärt, erfordern Trends wie die Umstellung von Ölheizungen auf Wärmepumpen oder auch die Elektromobilität heute eine umfassendere Steuerung der Energieflüsse, um den Stromverbrauch zu optimieren und die Versorgung sicher zu stellen. Über die Plattform lassen sich ferner Anlagen und Geräte ansteuern, um Über- und Unterkapazitäten im Stromnetz auszubalancieren. So lässt sich beispielsweise eine Photovoltaikanlage drosseln, wenn die Sonne zu stark scheint. Auch Wärmepumpen liessen sich mit der Plattform lenken, damit sie vor allem dann laufen, wenn nicht viel Last im Netz sei, sagt der Quickline-Chef.

Ob das nun für den Konsumenten bedeutet, dass der Netzbetreiber einfach so ohne Einwilligung private Solaranlagen oder Wärmepumpen fernsteuert, relativiert die Esag: «Wir werden das vertraglich regeln. Es geht dabei ja nicht darum, dass wir nach Belieben eingreifen. Es geht darum, die Anlagen dann laufen zu lassen, wenn es am meisten Sinn macht. Wir tun das übrigens schon heute mit den Boilern oder den Elektroheizungen», sagt Sprecher Renato Mantese.

Demnach wird das regionale Stromökosystem aufgrund des umfassenden Monitorings so eingestellt, dass die Anlagen im Netzverbund möglichst energieeffizient betrieben werden: «Wer beispielsweise künftig sein Elektroauto um 18 Uhr bei Lastspitzen und damit ausserhalb der empfohlenen Zeiten zum Beispiel nachmittags oder nachts aufladen möchte, kann das natürlich immer noch tun, jedoch zu anderen Tarifen», erklärt Mantese. Dasselbe gilt demnach etwa auch für Wärmepumpen, die automatisch dann laufen, wenn möglichst viel Strom im Netz ist.

 

Stromfresser eliminieren

Für die regionalen Energieversorger wird also ein besseres Verständnis über die Stromflüsse im eigenen Netz wichtiger, um es angesichts der Energiewende stabil zu halten und Netzüberlastungen zu vermeiden. Auf die Plattform können sich aber auch die Verbraucher einloggen, um die eigenen Stromfresser zu orten und den Stromverbrauch zu optimieren. Der Bund sieht darin übrigens viel Potenzial, um die Energieeffizienz zu steigern. Die Haushalte verbrauchen rund ein Drittel des Schweizer Stroms. Der Umschwung von Grosskraftwerken zu mehr dezentralen Produktionsstandorten benötigt nämlich eine Erneuerung und Erweiterung der Netzinfrastruktur. Je effizienter das Strommanagement wird, desto weniger muss ausgebaut werden, so das Credo.

Was mit den detaillierten privaten Messdaten passiert, so versichert der Bund: nichts ohne Einwilligung. Die Messdaten gehören demnach dem Verbraucher. Nur der Netzbetreiber darf sie einsehen und benutzen, jedoch nicht weitergeben. Es dürfen demnach auch keine heiklen Personendaten wie Geburtsdatum oder Kreditkarteninformationen gespeichert werden. Die Daten müssen gesichert und verschlüsselt über das Glasfasernetz oder per Mobilfunk auf die Plattform übermittelt werden.

Theoretisch kann man die Einführung des Smart Meters auch verweigern. Man muss aber dann die Kosten selber tragen, die anfallen, um die Geräte und Anlagen vom Energieversorger manuell auszulesen. Kosten verursacht der Austausch der Zähler für den Verbraucher indirekt, indem die Netznutzungsgebühren für alle Haushalte steigt. Die Esag hat mit dem Einbau der ersten intelligenten Stromzähler von Quickline in ihrem Einzugsgebiet rund um Lyss bereits begonnen und plant den breiten Rollout in der zweiten Jahreshälfte 2022.

Der Energie Service Biel/Bienne wird auch auf eine externe Lösung setzen. Die Ausschreibung werde in Kürze aufgeschaltet, sagt Sprecher Pascal Kissling. Der Vergabeprozess soll bis im Herbst 2022 abgeschlossen sein, der Rollout dann im 2023 erfolgen. Quickline wird die Ausschreibung prüfen und allenfalls ein Angebot einreichen, wie es heisst. Bei schweizweit rund 650 Akteuren, die in den nächsten Jahren an die 2,5 Millionen Zähler umrüsten, sieht Quickline viel Potenzial.

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