Sie sind hier

Coronavirus

Die Frist wird zur Nebensache

Das Verbot von Grossveranstaltungen und die kantonalen Bewilligungspflichten werfen zahlreiche rechtliche Fragen auf. Was, wenn die Generalversammlung einer Firma verschoben wird?

Dabei sein ist alles, im Bild die Swatch Group: Rein digitale Generalversammlungen sin in der Schweiz nicht erlaubt. Bild: Stefan Leimer/a
  • Dossier

Vergangenen Freitag hat der Bundesrat wegen des Coronavirus alle Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verboten. Bei Anlässen mit mehr als 150 Anwesenden müssten die kantonalen Behörden eine Risikoabschätzung im Einzelfall vornehmen, erläuterten Bundesrat Alain Berset und GDK-Präsidentin Heidi Hanselmann am Mittwochabend.

Nehmen an einer Generalversammlung (GV) voraussichtlich mehr als 1000 Personen teil oder verbieten die kantonalen Behörden die Veranstaltung, bleibt betroffenen Unternehmen nichts anderes übrig, als ihre Generalversammlungen zu verschieben. Denn nicht nur bei Grosskonzernen wie Nestlé, sondern auch bei kleineren Firmen wie dem Schokoladehersteller Lindt & Sprüngli oder der Regionalbank Valiant nehmen üblicherweise hunderte oder gar tausende Menschen an den Generalversammlungen teil.

Diese Woche haben etwa der Fleischverarbeiter Bell, die Hypothekarbank Lenzburg sowie der Nahrungsmittel-Hersteller Orior bekannt gegeben, ihre Generalversammlungen wegen den Massnahmen des Bundesrats zu verschieben.

Frist für Durchführung

Zwar muss die ordentliche Generalversammlung innert sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfinden. Aus sachlichen Gründen könne der Verwaltungsrat jedoch eine geplante oder bereits einberufene GV auch verschieben, sagte der St. Galler Assistenzprofessor für Gesellschaftsrecht, Beat Brändli, auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Auch wenn damit die Frist von sechs Monaten verletzt werde, drohten dem Unternehmen keine unmittelbaren Sanktionen.

Trotz Coronavirus sind in der Schweiz rein digitale oder schriftliche Generalversammlungen nicht erlaubt. Daran dürfte sich in naher Zukunft nichts ändern. Der Bundesrat könne zwar Generalversammlungen aufgrund des Epidemierechts verbieten, doch neue Abstimmungsformen einzuführen sei weder im Epidemierecht noch im Aktienrecht vorgesehen, sagte der Berner Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz. Einziger Ausweg wäre, wenn der Bundesrat entsprechendes Notrecht in einer Verordnung vorsehen würde. Doch das sei zumindest heute noch unrealistisch und unverhältnismässig.

«Aktuell wie geplant» findet die Generalversammlung von Dätwyler statt. In einem Communiqué weist das Industrieunternehmen aber darauf hin, dass trotz Sicherheitsvorkehrungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass es infizierte Teilnehmer habe.

Schriftliche Bestätigung

«Aktionäre und Gäste müssen an der Dätwyler-GV bei der Zutrittskontrolle schriftlich bestätigen, dass sie sich in den letzten 14 Tagen nicht in Risikogebieten aufgehalten haben», sagt Guido Unternährer, Leiter Unternehmenskommunikation auf Anfrage. Könne jemand diese Bestätigung nicht abgeben, werde dieser Person zur Sicherheit der übrigen Teilnehmer der Zutritt zur GV verwehrt. Beim Lift- und Rolltreppenhersteller Schindler hingegen werde niemand ausgeschlossen. Man appelliere an die Eigenverantwortung der Aktionäre, da die Möglichkeit bestehe, schriftlich oder elektronisch abzustimmen, sagte Sprecherin Carolyn Pike auf Anfrage.

In der Verantwortung

Ein Ausschluss von Rückkehrern aus Risikogebieten ist grundsätzlich möglich. Eine Firma dürfe Aktionäre wegen einem Aufenthalt in einem Risikogebiet ausschliessen, wenn das klar kommuniziert worden sei, sagte Brändli. «Aktionären den Zutritt zu verweigern ist denkbar, wenn es sachlich verhältnismässig und nicht diskriminierend ist.»

Noch weiter geht Wirtschaftsrechtsprofessor Kunz: Unternehmen hätten unter Umständen nicht bloss das Recht, sondern sogar die Pflicht, die GV hinauszuschieben oder einzelnen Aktionären den Eintritt zu verweigern. Unterliessen sie dies, drohe bei einer allfälligen Ansteckung eine Haftung. awp

Nachrichten zu Wirtschaft »