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Umfrage

Die Indikatoren stehen auf Rot

Allgemeiner Geschäftsrückgang, sinkende Erträge, geschrumpfte Investitionen: Der zweite Sektor wird eine Durststrecke erleben, prophezeit die Volkswirtschaftskammer des Berner Juras.

Viele Industriebetriebe setzen derzeit auf das Mittel der Kurzarbeit. Bild: zvg

Philippe Oudot/pl

Die Volkswirtschaftskammer des Berner Juras (Chambre d’économie publique du Jura bernois, CEP) hat kürzlich ihr erstes Industriebarometer für das laufende Jahr vorgestellt. Dieses wird seit 2012 ermittelt und fusst auf einer vierteljährlichen Befragung von massgebenden Industrieunternehmen der Berner Romandie.

Zum ersten Mal seit Beginn der Umfrage stehen alle wirtschaftlichen Indikatoren auf Rot. Patrick Linder, Geschäftsführer der CEP, stellt eine düstere Prognose für die nächsten Monate.

Geschwächte Weltwirtschaft

Der Berner Jura ist als traditionelle Industrielandschaft besonders stark von der Coronakrise betroffen. «Unsere Unternehmen sind vorwiegend in der Mikrotechnik angesiedelt und stehen in einer starken gegenseitigen Abhängigkeit», präzisiert Linder.

Bemerkenswert sei die allgemeine Schwäche der Weltwirtschaft, die sich unabhängig von der Coronakrise zeige. Schon vor der Pandemie gab es zwei Sorgenkinder: den Automobilsektor und die Uhrenindustrie. Die Autobranche schwächelt seit 2019 und der Uhrensektor seit letztem Herbst. «Die Coronakrise hat die Lage verschärft. Wegen der gesundheitspolitischen Bedingungen sind die Zukunftsaussichten geradezu vernebelt», erklärt der Verantwortliche der CEP.

Einbruch der Aufträge

Schon vor der Coronakrise litt die Schweizer Industrie an einem Rückgang der Bestellungen. Seit der Verordnung der Pandemiemassnahmen ist die Wirtschaftstätigkeit abermals massiv eingebrochen.

Deshalb sieht es für die Finanzen der bernjurassischen Unternehmen düster aus: Ohne Produktion können sie keine Rechnungen stellen. Wenn kein Geld in die Kasse strömt und sich die Fixkosten erbarmungslos anhäufen, droht der Liquiditätsengpass.

Die gleiche Misere zeigt sich bei den Investitionen. Das Überleben von Hightech-Firmen hängt von ihren finanziellen Fähigkeit ab, die Zukunft zu gestalten. Aber heute fehlt das Geld für wichtige Projekte.

Die befragten Unternehmen äussern sich pessimistisch über die mittelfristige Entwicklung. Sie rechnen sogar mit einem weiteren Einbruch der Geschäftstätigkeit.

«Wie ein Antibiotikum»

Damit steht das Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit, das sich schon vor der Pandemie abzeichnete, noch stärker im Raum. Immerhin greift das Werkzeug der Kurzarbeit: Entlassungen werden verhindert, und die Produktionsfähigkeit der Betriebe bleibt erhalten. Patrick Linder schätzt, dass rund die Hälfte der Unternehmen Kurzarbeit beantragt hat. «Diese Massnahme wirkt wie ein Antibiotikum, das uns vor der Katastrophe bewahrt», so Linder. Bis Ende Mai unterstützte die kantonale Standortförderung Industrie- und Technologieunternehmen mit der Übernahme von Lohnkosten für wichtige Forschungs- und Entwicklungsprojekte. «Soviel ich weiss, hat der Kanton Bern als einziger derartige Sofortmassnahmen beschlossen. Diese Hilfe ist besonders wertvoll, weil die Unternehmen im Hinblick auf das Ende der Krise neue Produkte entwickeln können», erklärt der Geschäftsführer der CEP.

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Viele neue Herausforderungen

Die Corona-Pandemie stellt die Industrieunternehmen vor besondere Aufgaben, denn die Umsetzung der Schutz- und Hygienemassnahmen fordert veränderte Arbeitsabläufe. Inzwischen gehören diese Verhaltensregeln zum Standard, sodass die Betriebe für den Fall einer zweiten Pandemiewelle gerüstet sind.

• Hauptthema Liquidität: Derzeit stehe bei allen Unternehmen die mittelfristige Zahlungsfähigkeit im Fokus, weiss Patrick Linder. Die Kurzarbeitsentschädigung habe zwar eine gewisse Erleichterung gebracht, aber der pandemiebedingte Ertragsausfall hat die Liquiditätsreserven angenagt. «Die Zahlungsfähigkeit steht wegen der allgemeinen Wirtschaftslage schon seit Monaten unter Druck, und nun haben die Fixkosten während der letzten drei Monate weitere Reserven verschlungen», so der Verantwortliche der CEP.
Die kommende Urlaubszeit werde die Lage eher verschlimmern, denn während der Ferien besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Die Verschiebung von Ferien würde das Problem lediglich verlagern, bemerkt Linder.
• Kurzarbeit auf 18 Monate verlängern: Als dringende Massnahme zum Schutz der Industriebetriebe nennt die CEP eine Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung auf 18 Monate. Dieses Entgegenkommen des Staates wird als «Minimum» erwartet. Trotzdem werde diese Unterstützung nicht ausreichen, erklärt Linder. Es gelte, «irreparable Schäden» an der Industrielandschaft zu vermeiden. Im Zentrum stehe der Erhalt der Innovationskraft. Deshalb schlägt die CEP eine «pragmatische Lösung» vor: Die Löhne der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sollten weiterhin über die Kurzarbeitsentschädigung sichergestellt werden.

Der Erhalt von Arbeitsplätzen und der Produktionskapazität sind die wichtigsten Ziele der kommenden Monate. Allerdings hängt die Entwicklung von der weltweiten Nachfrage ab. Das gilt besonders für die Automobil- und Uhrenbranche. Letztere ist so eng mit der regionalen Industrielandschaft verflochten, dass sich der momentane Stillstand der Uhrenproduktion auf alle Lebensbereiche im Berner Jura auswirkt.

Das Industriebarometer hat gezeigt, dass im zweiten Quartal sämtliche Indikatoren nach unten zeigen, und zwar sowohl bei den kleinen Unternehmen (bis 50 Mitarbeitende) als auch bei jenen, die mehr als 50 Mitarbeitende haben. Die Umfrage wird bei Firmen durchgeführt, die insgesamt repräsentativ für den Branchenmix sind. pho/p

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