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Biel

Die Polaroidkamera der Musikwelt

Mit dem Phonocut Home Vinyl Recorder lassen sich in Windeseile selber Vinyl-LPs anfertigen.
Das Gerät ist für den Designpreis Schweiz nominiert. Entwickelt wurde es in Biel.

Martin Sigrist und Mario Tronza (v.l.) bei der Arbeit an Phonocut - das Gerät im Vordergrund ist auf die Seite gestellt. Bild: zvg

Tobias Graden

Florian «Doc» Kaps hat ein Faible für Vorhaben, über die manche der modernen Technologie verfallenen Zeitgenossen wohl eher den Kopf schütteln würden. Kaps führt in Wien in einem venetianischen Palazzo einen Betrieb mit Namen Supersense. Dessen Tätigkeit laut Eigenbeschrieb: Die Herstellung der wohl analogesten Produkte der Welt – und das Durchführen von kulturellen Anlässen wie Konzerten, die zu dieser Haltung passen. Kaps ist auch Gründer des «Impossible Projects», also des «unmöglichen Projekts». Dieses hatte zum Inhalt, die letzte Produktionsanlage von Polaroid-Filmmaterial vor dem endgültigen Verschwinden zu retten. Es gelang ihm damit nichts weniger als die Rettung der Sofortbildfotografie ins digitale Zeitalter.

Kein Wunder, versteht sich Florian Kaps gut mit einem Namensvetter aus der Region: Florian Kaufmann, in Grenchen aufgewachsen, heute in Solothurn lebend – wenn er denn nicht gerade irgendwo auf der Welt ist in Sachen Analogtechnologie im Musikbereich. In einem mehrseitigen Portrait von «Das Magazin» wurde Kaufmann auch schon als «Der Herr der Rille» bezeichnet – er dürfte der weltweit kompetenteste Experte für Vinyl-LPs und der dazu nötigen Technologie sein.

Bereits um die Jahrtausendwende war er Mitgründer der Vinylium GmbH, die in Grenchen ein Presswerk für Vinyl-LPs betrieb – und das die dazu nötigen Maschinen mit mehreren Lastwagenladungen von einer aufgegebenen Firma in Österreich importierte.

Kaps trat also an Kaufmann heran mit seiner Idee: Es sei ein Gerät zu entwickeln, mit dem sich Musik auf eine Vinyl-LP bringen lässt, sei es aus analoger oder digitaler Quelle, und das Gerät sei so einfach zu bedienen wie seinerzeit die Kasettenrecorder.

Kaufmann versicherte Kaps seiner Mitarbeit. Und da kam Biel ins Spiel.

Nicht nur Funktion bedenken

Kaufmann sagte nämlich unter einer Bedingung zu: Dieses Gerät sei zusammen mit der Creaholic SA zu entwickeln. In dem Bieler Innovationsunternehmen hatte Kaufmann selber jahrelang gearbeitet. Martin Sigrist und Mario Tronza, die seitens Creaholic am Projekt beteiligt sind, kennen Kaufmann seit 20 gut Jahren.

Doch warum Creaholic? «Wir denken Produktentwicklung nicht bloss von der Funktion her», sagt Sigrist, «sondern beziehen das Design, die Industrialisierung, aber auch mögliche Geschäftsmodelle mit ein.» Und: Creaholic ist in der Lage, im Austausch mit Partnern, Auftraggebern und den diversen internen Spezialisten ein solches Produkt innert recht kurzer Zeit zu entwickeln.

So war es nun beim ersten Gerät für Phonocut: Vom Startschuss bis zum funktionierenden Prototypen verging gerade mal ein halbes Jahr.

Gestaltung wie ein Bauhaus

Der Phonocut Home Vinyl Recorder macht nun genau das, was sein Name verrät. Man legt einen Vinyl-Rohling (also eine noch «leere» LP) auf den Plattenteller, schliesst eine Audioquelle an und drückt den Aufnahmeknopf. Darauf senkt sich der Diamant-Stichel und ritzt die Musik ins Vinyl. Das Gerät ist für 10-Zoll-Scheiben ausgelegt, pro Seite ist also eine Aufnahme von zehn Minuten Länge möglich. So einfach in der Bedienung, so klassisch schlicht ist das Design gehalten: «Es ist eine Hommage an alte Plattenspieler», sagt Mario Tronza, der vor seinem Engagement bei Creaholic unter anderem bei Pininfarina tätig war. Der Kontrast zwischen dem gebürsteten Aluminium und der abgedunkelten Plexiglashaube erinnert an das Aussehen früherer hochwertiger Hifi-Geräte. Der Plattenschneider hat etwas Skulpturales, Tronza spricht von «minimalistischem Bauhaus-Stil». Kein Wunder, berichtete kürzlich auch die Architekturzeitschrift «Hochparterre» über die Kreation.

Das hat auch die Jury des Designpreises Schweiz überzeugt: Sie hat Phonocut in der Kategorie Konsumgüter nominiert und nennt ihn «eine bemerkenswerte Produktinnovation», das «auf allen Ebenen professionell entwickelte» Gerät überzeuge «sowohl in funktionaler als auch in ästhetischer Hisicht».

Ein klingendes Souvenir

Nun kann man sich fragen: Wer braucht denn so etwas? Einen ersten Hinweis auf die mögliche Marktresonanz gab die Kickstarter-Kampagne: Sie brachte rund 400 000 Euro ein, 300 Geräte zum Vorbestellpreis sind so bereits vorreserviert. Das ist bemerkenswert, tätigen die Interessenten doch ihre nicht ganz billige Investition zu einem Zeitpunkt, da noch nicht klar ist, ob es mit der Produktelancierung auch klappen wird.

In-Hotels in europäischen Metropolen locken mit funktionsfähigen Prototypen: Statt einer Ansichtskarte lassen sich beispielsweise kultige Feriengrüsse auf Vinyl versenden – auch ein Handy kann angeschlossen werden. DJs bekunden grosses Interesse, ebenso Musikliebhaber mit Sinn für Stil und Wertigkeit – es winkt das Vinyl-Mixtape des neuen Jahrtausends. Künstler lassen sich Platten anfertigen, die sie beispielsweise für Performances gebrauchen.

Interessant ist das Produkt auch für kleine Bands: Sie können nicht nur exklusive Musik in Vinyl-Kleinauflage unter ihre Fans bringen, sondern beispielsweise auch am Ende eines Konzerts gleich Live-Mitschnitte unter den Besuchern verlosen. Der Ideen sind viele, und bereits melden auch grosse Player der Musikbranche ihr Interesse am patentgeschützten Gerät an.

Denn Vinyl boomt: In den USA hat sich der Absatz von LPs seit 2011 versechsfacht, das Label BMG, die Nummer vier im Musikmarkt, hat im ersten Halbjahr dieses Jahres mit Vinyl mehr Umsatz gemacht als mit CDs. Erst gerade schrieb die «New York Times» über das Thema und stellte fest: Vinyl-LPs sind das poulärste und am stärksten wachsende physische Format der Musikindustrie.

Breites Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell von Phonocut wird sich aber nicht mit dem Verkauf des voraussichtlich etwa 2500 Euro kostenden Geräts erschöpfen. Umsatz winkt vor allem mit dem Verkauf von Vinyl-Rohlingen und dem Kartuschensystem: Der Stichel, welcher die Tonspur in die Platte ritzt, nützt sich mit der Zeit ab. Sein Austausch ist nicht ganz simpel. Darum ist die ganze Einheit in einer Kartusche untergebracht, die sich mit einfachsten Handgriffen ersetzen lässt – und so ein Umtauschsystem ermöglicht, ählich wie der Austausch von Akkus entlang touristischer E-Bike-Routen.

Bis Phonocut auf dem Markt erhältlich ist, wird aber noch ein Weilchen vergehen. Ein genaues Datum kann Martin Sigrist nicht nennen. Ein exakter Zeitplan existiert nicht, doch nächstes Jahr soll es so weit sein. Phonocut ist zwar in Wien domiziliert, die Bande zu Biel werden aber bestehen bleiben: Einen Teil der Entwicklungskosten hat Phonocut mit der Abgabe von Anteilen an Creaholic abgegolten.

Stichwörter: Phonocut, Biel, Vinyl, LP, Musik, Kultur

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