Sie sind hier

Abo

Berner Jura

Ein Neuer soll es richten

Frech und ohne Bär: Der Lampendesigner Steve Léchot erfindet die Kampagne von Moutiers berntreuem Lager neu.

Steve Léchot, Lampendesigner und politischer Sprecher des berntreuen Komitees "Moutier Plus", in seinem Atelier. Bild: Christian Pfander

Stefan von Bergen

Wer wissen will, wie Moutier am 28. März über seine Kantonszugehörigkeit abstimmt, muss mit dem Lampendesigner Steve Léchot reden. Man findet ihn in seinem Atelier mitten im bernjurassischen Industriestädtchen, in einem früheren Fabrikgebäude am Flüsschen Birs. Der 53-Jährige steht in einem kleinen Wald von hoch aufragenden Lampen mit Namen wie «One by One», «Totem» oder «Zen». Deren Licht und Léchots lebendige Augen leuchten um die Wette. Der schlanke Mann mit dem kahl geschorenen Schädel und der randlosen Brille hat ein ansteckendes Lachen.

Seit der später annullierten Moutier-Abstimmung vom Juni 2017, die die jurafreundlichen Separatisten hauchdünn gewannen, ruhen die Hoffnungen der Berntreuen auf dem Stardesigner. Er ist Mastermind und Sprecher ihrer Kampagne. «Eigentlich habe ich gar keine Zeit für Politik», sagt er mit einem Grinsen. Denn die preisgekrönten Lampen des Einmannbetriebs «Léchot Luminaires» sind weltweit gefragt.

Steve Léchot stellt den Auftritt der Berntreuen in ein neues Licht. Früher hatten die probernischen Abstimmungskomitees martialische Namen wie «Moutier Résiste» (Moutier widersteht). Nach Léchots Redesign nennt sich die Bewegung unspektakulär «Moutier Plus». Sie verzichtet auf jeden direkten Bezug zum Kanton Bern. Auf den Flyern fehlt die Berner Flagge, die für Projurassier ein rotes Tuch ist. «Das erforderte einige Überzeugungsarbeit», sagt Léchot.

Der früher defensive Ton ist nun lockerer, frecher. «Continuer le combat? – Non le 28 mars» (Den Kampf fortsetzen? – Nein am 28. März). So fragt «Moutier Plus» auf einem Sticker in der pathetischen Sprache der Separatisten. Für die Buchstaben «i» und «e» verwendet das Komitee den leuchtend roten Bischofsstab und die Streifen der für Separatisten heiligen Jurafahne. «Darf man so mit den Symbolen des Gegners spielen?», fragten ihn seine Leute, die die Attacken der militanten Jurafraktion im Städtchen fürchten. «Unsere Kommunikation muss knapp sein, klar und die Gedanken stimulieren», erklärte ihnen Léchot.

 

Lockeres Spiel statt defensive Schwermut

Aus der unfruchtbaren Feindschaft zwischen Berntreuen und Separatisten versucht er auszubrechen. «Ich verstehe mich nicht-separatistisch statt antiseparatistisch», erklärt er. Oder: «Ich stehe für Moutiers Gegenwart und Zukunft statt für die Vergangenheit des alten Jurakonflikts.» Er verteidige «nicht primär den Kanton Bern, sondern die Gerechtigkeit und die Ehrlichkeit», spielt er auf die Unsauberkeiten an, die zur Annullierung der Abstimmung von 2017 führten.

Léchots lockere Formeln haben wenig gemein mit der defensiven Schwermut früherer probernischer Kampagnen. Ob sie mehr sind als verspielte Rhetorik, wird sich am 28. März weisen. Man biete mehr als schöne Worte, sagt Léchot. «Moutier Plus» mobilisiere erstmals auch Junge, die in Moutier «eine Zukunft statt eine neue Kantonsfahne» haben wollen. Nur die Separatisten hätten bis jetzt eine Jugendsektion gehabt – eine, die stramm hinter der Jurafahne her marschiere.

 

Offen für den deutschsprachigen Raum

Léchot ist in Orvin aufgewachsen, hart an der Sprachgrenze. Nach der Kunstschule in Lausanne, die ihm ein «anarchisches Denken» vermittelt habe, sei er wegen der Liebe nach Moutier gezogen. Hier fand er für sein Kunstatelier billige ehemalige Industrieräume. In Teilzeit arbeitete er bei einem Bijoutier in Delsberg. Er lernte dort handwerkliche Techniken und wie man von der Idee bis zur Herstellung und dem Verkauf eines Produkts einen ganzen Prozess in die eigene Hand nimmt.

In Moutier wurde Léchot zum Selfmademan. Die industrielle Kultur des Städtchens inspirierte ihn. Moutiers einstige Technikbetriebe sind allerdings verschwunden, das letzte überlebende Flaggschiff Tornos gerät immer wieder in die Krise. «In Moutier ist man schnell bereit zu verzweifeln und die lokale Industrie totzusagen», erwidert Léchot. Für seine Hightech-Lampen kooperiere er mit lokalen Kleinfirmen, die in ihren Nischen weltmarkttauglich sind. «Das wirtschaftliche Moutier lebt», findet er.

Lokalpatriotismus geht ihm ab. Er ist nicht mit einer unverrückbaren Haltung zum Jurakonflikt aufgewachsen. Seine Vorfahren sind aus Frankreich eingewanderte Hugenotten. «Ich bin frankofon, aber ich war immer offen für den deutschsprachigen Raum», sagt er. Dort seien seine Lampen gefragt. Denn: «In der Deutschschweiz liebt man überzeugende Produkte, in der Romandie berühmte Marken.» Moutier habe ihm Freiraum gegeben, aber der Ort liege «am Arsch der Welt», sagt Léchot. «Hier muss ich mich öffnen und die Welt suchen.» Seine Kunden sind in Paris, Amsterdam, Lyon, Hamburg.

Sein Unternehmerdenken versucht Léchot auf die Politik zu übertragen. Er stelle sich mit jemandem auf und nicht gegen jemanden – so wie die Separatisten gegen Bern. «Grenzen sind zum Überschreiten da, nicht zum Verschieben» sagt er mit einem Seitenblick auf die Abstimmung vom 28. März. Das zwischen Schluchten und Bergen gefangene Moutier werde zu wenig vom Strom der Moderne durchspült. Es brauche einen Glauben an die Zukunft und die Öffnung.

Moutiers Separatisten aber verfolgen in Léchots Augen eine Abtrennung von Bern, von Moutiers Nachbargemeinden, vom deutschsprachigen Raum. Obwohl selbst der Kanton Jura mittlerweile anerkenne, dass er zum Grossraum Basel gehöre. Die Separatisten hätten keine Zukunfts-, sondern nur eine Zugehörigkeitsvision. Als FDP-Mitglied des Stadtrats erlebe er, dass sie heikle Fragen wie Moutiers marode Finanzen nicht nachhaltig anpackten, sondern nach dem Applaus ihrer Anhänger politisierten.

 

Glaubwürdigkeit der Separatisten ist beschädigt

Werden die neuerdings diplomatischen und überzeugungsstarken Separatisten, die nun mit den Berner Kantonsbehörden kooperieren, die Abstimmung vom 28. März gewinnen? «Nein», sagt Léchot cool. «Bei der annullierten Abstimmung vom Juni 2017 haben die Separatisten nur einen hauchdünnen Sieg errungen, obwohl besondere Umstände herrschten.» Moutiers Gemeindebehörden und die jurassische Kantonsregierung hätten sich enthusiastisch engagiert, im Stimmregister habe es zweifelhafte Einträge gegeben. Diese Sondereffekte aber fehlten heute.

Überdies mache die Pandemie die von den Separatisten virtuos inszenierten Manifestationen auf der Strasse unmöglich. Léchot glaubt, dass sie 2017 durch die gerichtlich bestätigten Unsauberkeiten ihre Glaubwürdigkeit ruiniert haben. «Der diplomatische Ton der Separatisten ist bloss Kosmetik, keine neue Strategie», findet Léchot. Dass auch sie nun plötzlich Flyer ohne Jurafahne an die Haushalte in Moutier verteilten, sei schlicht «eine Kopie» der Kampagne von «Moutier Plus».

 

Limitierte Ressourcen der Berntreuen

Léchot ist Pragmatiker genug, um zu wissen, dass es am 28. März für «Moutier Plus» dennoch schwierig wird. «Unsere Ressourcen sind limitiert», sagt er. Man verfüge über weniger profilierte Köpfe als die Separatisten. Deren Spitzenleute wie Gemeinderat Valentin Zuber stammten aus einer «Classe politique» von einflussreichen lokalen Familien. Im berntreuen Lager gebe es Meinungsverschiedenheiten statt stramme Gefolgschaft wie bei den Separatisten. Dafür fliesse jetzt etwas mehr Geld. «Aus privaten Kassen», betont Léchot.

Die Berntreuen haben ein Handicap: Mit einer pragmatischen Haltung gegen die starke Überzeugung und Leidenschaft der Separatisten anzukommen, ist schwierig. Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang, ob der Selfmademan Léchot, der die alten berntreuen Kämpen erst irritierte, «Moutier Plus» zum Sieg führen wird. Aber Léchot ist auch die letzte Chance der Berntreuen.

Moutier habe düstere Aussichten, findet er. Die Separatisten hätten für die Stadt keine Zukunftsvision. Und wenn die Proberner gewinnen sollten, dürfte es in Moutiers Gemeindebehörden dennoch bei einer separatistischen Mehrheit bleiben. «Es läuft so oder auf eine Pattsituation hinaus» fürchtet Léchot.

Wir stehen auf der Dachterrasse von Léchots Atelier. Gegenüber hängt im Fenster eines Fabrikgebäudes eine Jurafahne. Hat man die aufgehängt, um den Sprecher von «Moutier Plus» zu ärgern? «Die inspiriert mich, für Offenheit zu kämpfen», sagt er lachend.

Was macht Léchot bei einem Sieg der Separatisten? «Ich gebe ihnen die Hand, ich bin bereit zu verlieren, das gehört zur Demokratie.» In seiner Arbeit habe er immer mit der Unsicherheit und dem Risiko gelebt. Er werde hier in Moutier weiterarbeiten. Und die Grenze überschreiten, auch wenn sie ein paar Kilometer weiter südlich verlaufen sollte.

Nachrichten zu Wirtschaft »