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Industriepolitik

«Ein verdammt vergifteter Cocktail»

Gewerkschafter und Industrielle aus der Region schlagen auf nationaler Bühne Alarm: Corrado Pardini (Unia) und Nick Hayek (Swatch Group) wollen gemeinsam die Deindustrialisierung wegen des überbewerteten Frankens verhindern.

Der Gewerkschafter und der «echte Industrielle»: Corrado Pardini und Nick Hayek an der gestrigen Unia-Tagung. copyright: keystone

Tobias Graden


Es ist eine Runde von Alphatieren, die sich an diesem Freitagmorgen im Volkshaus Bern versammelt, wie Moderator Sandro Brotz feststellt. Dabei sind auch zwei, die in der Region Biel-Seeland eine wichtige Rolle spielen. Es sind zwei, die selbst auf einem Podium von lauter Alphatieren gewiss nicht zu den weniger präsenten gehören, im Gegenteil, beide sind rhetorisch beschlagen, sie wissen, wie ein Auftritt auch bildnerisch zu gestalten ist, sie kämpfen leidenschaftlich und beherzt für ihre Sache und hegen doch Respekt für den jeweils Anderen:Corrado Pardini und Nick Hayek.
Pardini, Sektorleiter Industrie bei der Gewerkschaft Unia und SP-Nationalrat aus Lyss, hält die ausgefeilteste Rede an diesem Unia-Industrietag, und jedes Mal, wenn er spricht, weiss er seine Worte mit effektvollen Gesten zu unterstützen. Hayek, Konzernchef des Uhrenkonzerns Swatch Group mit Sitz in Biel, geizt nie mit markigen Worten und gewinnt die Saal-Abstimmung mit deutlichem Mehr: Er darf sich für die Podiumsdiskussion eine Zigarre anzünden.


Arbeitsplätze in Gefahr


Der Anlass aber ist ernst. «Wir sind zusammengekommen, um uns zu beraten», sagt Pardini. «Der Werkplatz Schweiz ist in akuter Gefahr, seit die Nationalbank die massive Aufwertung des Schweizer Frankens zugelassen hat.» Zehntausende Arbeitsplätze in der Industrie seien gefährdet, und damit nichts weniger als die Identität der modernen Schweiz, denn diese gründe stark auf der Industrie. Es gelte, 600000 Arbeitsplätze zu sichern.
Das sollte eigentlich zu schaffen sein, so Pardini weiter, denn wie kein anderes Land habe es die Schweiz verstanden, den historischen Zwist zwischen Arbeit und Kapital zu zähmen. Dazu brauche es aber echte Sozialpartner, und dazu zähle er einen wie Nick Hayek oder Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler:Diese seien keine Manager, sondern «echte Industrielle».
Allerdings wollen manche Nachrichten des gestrigen Tages nicht so recht zum warnenden Ton passen:Um 11.35 Uhr kommt die Meldung, dass der Euro erstmals seit Aufhebung des Mindestkurses wieder mehr als 1.10 Franken kostet. Und das Konjunkturforschungsinstitut Bakbasel korrigiert die Prognosen für 2015 nach oben:Statt um 0,6 soll die Schweizer Wirtschaft um 0,8 Prozent wachsen – das ist zwar kein spektakuläres Plus, es sieht aber auch definitiv nicht aus wie eine Rezession.


Gute Nachrichten täuschen


Davon dürfe man sich keineswegs blenden lassen, warnen sowohl Hayek als auch Pardini. Kursbewegungen seien dermassen volatil, meint der Uhrenpatron, dass man sich auf eine kurzfristige Erfolgsmeldung nicht verlassen sollte. Im Gegenteil: «Es ist ein verdammt vergifteter Cocktail, dieser stark überbewertete Franken.» Allenthalben werde der Eindruck erweckt, die Lage sei doch gar nicht so schlimm, «und dann kommen wir, die Spielverderber, und müssen Alarm schlagen». Einmal mehr kritisiert er die SNB. Diese habe nicht gekämpft, sei nicht mehr glaubwürdig, sei «eine schwache Institution». Wichtig sei aber nicht zuletzt, in der Schweiz eine Geisteshaltung zu fördern, welche die Lust am Kreieren von Produkten fördere und die Industrie und ihre Fabriken nicht als Störfaktor, sondern vielmehr als «sexy» betrachtet.
Durchschnittszahlen seien Mumpitz, sagt der Gewerkschafter. Der überbewertete Franken wirke selektiv, vor allem in Industrie und Tourismus:«Dort finden teilweise Massaker statt.» Nächste Woche, kündigt er an, kämen diverse Hiobsbotschaften von Produktionsverlagerungen, vor allem aus der Ostschweiz. «Ich kann nichts Harmloses darin erkennen, wenn ind er MEM-Industrie der Auftragseingang aus dem Ausland um fast einen Fünftel einbricht doer die Exporte nach Deutschland um 7,5 Prozent.»Probleme schaffe die Krise zwar auch für Unternehmen wie die Swatch Group oder Stadler Rail, im Kern aber handle es sich um eine KMU-Krise. In eine ähnliche Kerbe schlägt Unternehmer Peter Spuhler, indem er zu Bedenken gibt:«Erstmals überhaupt ist die Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg tiefer als in der Schweiz.»
Blosse Gesetzmässigkeit sei aber die drohende Deindustrialisierung mitnichten, kritisiert die Gewerkschaftsseite. Das Wort suggeriere eine falsche Zwangsläufigkeit, tatsächlich aber sei Deindustrialisierung «immer ein ein Entscheid», und sei es jener, «den Franken in die Hände der Spekulanten zu geben».


Paritätischer Rat mit Weisen


Was also ist zu tun? Die Unabhängigkeit der Nationalbank stehe ausser Frage – allerdings fordert die Gewerkschaft die Erweiterung ihres Mandats um die Sorge um die Arbeitsplätze in der Schweiz. Die Unia versteht die gestrige Veranstaltung als Startschuss für einen «Pakt für den neuen Werkplatz Schweiz». Dies zum Beispiel in Form eines beratenden «Wirtschafts- und Sozialrats». Die Zusammensetzung:«Paritätisch plus ein paar Weise.» Dieser Rat solle industriepolitische Ideen entwickeln und sie ins politische System einspeisen: «Dann hätte die produzierende Wirtschaft eine Lobby in der Schweiz.»
Unternehmer Nick Hayek zeigt sich dafür grundsätzlich offen, aber auch zurückhaltend. «Reden wir doch besser zuerst hinter verschlossenen Türen», meint er. Spuhler sagt, er sei bereit teilzunehmen, «doch viele Initiativen versanden auch wieder». Verloren geben die Industriellen den Werkplatz ohnehin nicht. Die Schweiz habe Chancen, so Hayek, dank der Sozialpartnerschaft mit pragmatischen Gewerkschaften, dem Föderalismus, den KMU oder dem ausgezeichneten Ausbildungssystem.
 

Kommentare

Steuerzahler

Es geht auf die Wahlen hin, Corrado kommt aus der Versenkung. Mit der zunehmendn Deindustrialisierung (wegen nicht mehr konkurrenzfähigen Personalkosten und zunehmender staatlicher Überregulierung in der Schweiz) sehen immer mehr Arbeitnehmende, dass die Unia eine total falsche Politik verfolgt.


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