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Berufsbildung

«Es gibt genügend Lehrstellen»

Entwarnung auf dem Lehrstellenmarkt: Es gibt ausreichend Ausbildungsplätze für Jugendliche, gerade im Raum Biel-Lyss. Derweil dürften mehr Lernende mit Abschluss auf dem RAV landen.

Viele Jugendliche konnten bereits mit der Ausbildung anfangen. Im nächsten Jahr dürften es weniger sein. Bild: Tanja Lander

Manuela Schnyder

Entgegen den Befürchtungen des Bundes, den Kantonen und den Wirtschaftsverbänden haben Lehrbetriebe wegen der Covid-19-Krise nicht reihenweise Ausbildungsplätze gestrichen: «Es gibt genügend Lehrstellen, zumindest in der Deutschschweiz», sagt Christine Davatz, Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbands (sgv) und Mitglied der nationalen Task Force Berufslehre 2020, die die Lage auf dem Lehrstellenmarkt untersucht hat. Die Trendmeldungen der Kantone zeigten eine stabile Lehrstellensituation. So sind landesweit per Ende Juli knapp 66 000 Lehrverträge unterzeichnet worden, das sind nur ein Prozent weniger als letztes Jahr um diese Zeit.

Im Raum Biel-Seeland sind es gemäss der kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion bis heute rund 1350 bestätigte Lehrverhältnisse und damit sogar gleich viel wie letztes Jahr: «Das ist angesichts der Lage erstaunlich gut», sagt Beat Aeschbacher vom Berufsbildungszentrum Biel (BBZ). Man müsse aber auch beachten, dass die meisten Lehrstellen bereits ab November besetzt werden und damit für den Ausbildungsstart 2020 viele Verträge schon vor Ausbruch der Krise vereinbart wurden.

Und genau deshalb ist in der französischen und italienischen Schweiz die Lage auf dem Lehrstellenmarkt angespannter. Denn dort fiel die Rekrutierungsphase genau mit dem Lockdown zusammen, weshalb in den Kantonen Waadt, Genf und Tessin im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger Lehrverträge abgeschlossen wurden. «Es kommt nun vielmehr darauf an, wie sich die Lehrstellen-Besetzung im Raum Biel für 2021 entwickelt», sagt Aeschbacher.

12 000 Lehrstellen offen

Und die Zahl der für 2021 ausgeschriebenen Lehrstellen ist tatsächlich noch tief: Wurden nämlich in der Region Biel-Seeland für den Lehrbeginn 2020 im August letzten Jahres 657 Ausbildungsplätze auf der kantonalen Lehrstellenbörse Lena, auf der rund die Hälfte aller Lehrangebote der Schweiz publiziert werden, aufgeschaltet, sind es für 2021 bislang erst 465, also 30 Prozent weniger. Der grösste Teil der Lehrstellen würden von den KMU generiert und für die sei die wirtschaftliche Unsicherheit derzeit besonders gross, sagt Aeschbacher. So dürften viel Unternehmen auch noch mit Lehrstellenangeboten zuwarten: Wie sich die Ausbildungsbereitschaft weiterentwickelt, das könne man erst in den nächsten Monaten beurteilen, so der Direktor.

Fakt ist also bislang nur, dass Corona für diesjährige Schulabgängerinnen und Schulabgänger keine grossen Auswirkungen hat. So sind landesweit noch rund 12 000 Stellen unbesetzt, im Kanton Bern sind es mehr als 2400 Lehrstellen und im Raum Biel und Lyss rund 400. Da der Bund den Abschluss von Lehrverträgen mit Lehrbeginn 2020 bis Ende Oktober verlängert hat, geht die Task Force davon aus, die noch offenen Stellen bis dahin besetzen zu können. Im Kanton Bern organisieren das Mittelschul- und Berufsbildungsamt und die Berufsinformationszentren des Kantons Bern dafür zwei Last-Minute-Börsen, auf denen die noch freien Lehrstellen angeboten werden. Eine davon findet am 26. August im BBZ in Biel statt.

Befürchtungen bleiben

Während diesjährige Schulabgängerinnen und Schulabgänger in den Beruf starten können, haben einige Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger noch keine Anschlusslösung gefunden: «In der Schweiz haben im Juli 86 Prozent der Lernenden nach dem Abschluss im Betrieb bleiben können», sagt Christine Davatz vom sgv mit Verweis auf die monatlich von der ETH Zürich veröffentlichte Studie LehrstellenPuls. Demnach muss sich etwa jede siebte Lehrabgängerin und jeder siebte Lehrabgänger derzeit um eine andere Stelle bemühen. Gemäss den am Montag veröffentlichten Arbeitslosenzahlen ist die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen, bei denen die letzte Funktion als «Lehrling» beschrieben wird, im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 31 Prozent auf 493 Jugendliche gestiegen.

Theo Ninck, Vorsteher der kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion, geht allerdings nicht davon aus, dass diesjährige Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger bereits auf dem Arbeitslosenamt registriert sind: «Diese Jugendlichen sind gerade erst mit dem Abschluss fertig, nehmen sich typischerweise zuerst eine Auszeit für Ferien und starten dann in den Bewerbungsprozess», erklärt Ninck. Und auch nach Rücksprache mit dem Berufsinformationszentrum in Biel sei die Situation noch nicht so gravierend, sagt er. So steigt die Zahl der jungen Arbeitslosen jedes Jahr nach Lehrabgang an. «Wir gehen aber davon aus, dass sich die Situation im Herbst und Winter verschärfen wird», sagt er. Landen die Abgängerinnen und Abgänger auf dem Arbeitslosenamt, ist das laut Christine Davitz vom SGV besonders problematisch: «Die regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV sind vor allem für die Wiedereingliederung zuständig», sagt sie. Oft wäre bei diesen Jugendlichen aber eine Weiterbildung sinnvoller, weshalb sie eine andere Betreuung nötig hätten, um nicht länger in der Arbeitslosigkeit stecken zu bleiben.

Zumindest was den Abschluss an sich anbelangt, dürften die jungen Berufsleute bei der Jobsuche keine Nachteile haben: «Der Lehrabschluss ist trotz der corona-bedingten Massnahmen qualitativ gleich», betont Beat Aeschbacher. Es hätten alle die praktischen Prüfungen abgelegt. Einzig bei den theoretischen Prüfungen ist eine Erfahrungsnote eingetragen. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass ein Lehrbetrieb dies tatsächlich als Nachteil ansehen würde, betont er.

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