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Uhrenbranche

«Es gibt Platz für unsere Marke»

Er war Regionalfussballer und Marktverantwortlicher bei Breitling, nun will Ben Küffer mit der eigenen Uhrenmarke durchstarten. Norqain verbindet dabei E-Commerce und den stationären Handel auf neue Art.

Ben Küffer, Geschäftsführer und Mitgründer von Norqain. Bild: Raphael Schaefer

Tobias Graden

Ende Oktober 2017 lag Ben Küffer, Stürmer des FC Nidau, zuhause auf dem Sofa und blickte auf sein Knie. Im Zweitliga-Auswärtsspiel gegen Besa Biel hatte er einen Kreuzbandriss erlitten. Schlecht für den Fussball, dachte er, aber vielleicht ists ja gut für die Uhrenmarke.

Da klingelte das Telefon. Es meldete sich Mark Streit, langjähriger NHL-Eishockeyprofi, zuletzt bei den Montréal Canadiens engagiert. Streit sagte: «Ich habe soeben meine Karriere beendet.» Gut für die Uhrenmarke, dachte Küffer.

NHL-Profis eingespannt
Nun, nicht einmal 15 Monate später, zeigt Küffer auf die ersten beiden Kollektionen von Norqain. Sie heissen «Adventure Sport» und «Freedom 60», bald wird in Basel das erste jährliche Sondermodell der dafür reservierten Linie «Independence» vorgestellt. Soeben ist er zurückgekehrt aus San José, wo die besten NHL-Spieler ihr All-Star-Game abhielten – Norqain ist nun Partnerin der Spielergewerkschaft, was Perspektiven für den nordamerikanischen Markt eröffnet.

Allein: Es ist nicht so, dass die Uhrenbranche im Segment zwischen 1500 und knapp 4000 Franken klaffende Lücken aufwiese, dass der Markt bangend auf einen weiteren Mitspieler gewartet hätte. Warum also, Ben Küffer, braucht es eine weitere Schweizer Uhrenmarke?

Ben Küffer kennt die Frage. Sie ist ihm in den letzten Monaten oft gestellt worden, als er am Aufbau der Marke arbeitete, selbst in 
Familien- und Bekanntenkreisen. Seine kurze Antwort lautet: «Weil es dafür durchaus Platz gibt. Das haben wir in vielen Gesprächen mit Händlern festgestellt.» Für die längere Antwort holt er ein bisschen aus.

On- und Offline verbinden
Ein guter, funktionierender Uhrenmarkt brauche auch unabhängige Marken, sagt er. Der Handel spüre nämlich den Druck der grossen Gruppen. Diese sind besonders auf die unabhängigen Händler immer weniger angewiesen, sei es, weil sie das physische Distributionsnetz selber unter Kontrolle bringen, sei es, weil sie auch in den Online-Handel einsteigen und so den einzelnen Laden erst recht nicht mehr nötig haben.

Norqain will diese beiden Vertriebswege verbinden, ohne dass der eine unter dem anderen leidet. Wenn eine Kundin ihre Uhr beim Händler kauft, so erhält dieser die volle Marge. Ebenso wird ihm ein Anteil ausbezahlt, wenn ein anderer Kunde seine Uhr online kauft. In diesem Fall gibt der Kunde an, zu welchem Händler in seiner Nähe er zu gehen gedenkt, wenn er irgendetwas braucht. Ein solches Netz an Händlern und Reperaturzentren baut die junge Marke derzeit auf.

Doch auch was die Markeninhalte betrifft, sieht Ben Küffer durchaus Potenzial. Norqain positioniert sich als sportliche Marke mit klassischem Touch. Und da werde das Feld der Konkurrenten überschaubar. Persönliche Bekanntschaften haben in den letzten Wochen geholfen, Botschafterinnen und Botschafter zu finden, ohne dabei viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Neben Mark Streit sind das etwa der Eishockeyspieler Roman Josi, der Fussballer Fabian Schär oder die Skirennfahrerinnen Michelle Gisin und Tina Weirather.

Rascher Aufstieg bei Breitling
Wie kommt Ben Küffer mit seinen mittlerweile gerade mal 31 Jahren überhaupt dazu, eine eigene Uhrenmarke zu gründen und zu führen? Zwei Dinge kommen ihm zugute: Die familiäre Prägung und der Umstand, dass ihn die Karriere in der Uhrenbranche weiter führte als im Fussball.

Küffer war die letzten Jahre bei Breitling in Grenchen tätig. Schon mit 22 übernahm er die Leitung des Schweizer Markts, drei Jahre später verantwortete er ein internationales Projekt, das Breitling die Kontrolle über die tatsächlichen Verkäufe in jedem Laden auf der ganzen Welt erlaubte. Ab 2014 war er für Asien ohne Hong Kong und China zuständig, zwei Jahre später kamen auch noch diese beiden Märkte hinzu. Küffer genoss das Vertrauen der Besitzerfamilie Schneider, sie traute ihm eine künftige wichtige Rolle zu.

Doch dann folgte der Verkauf von Breitling an die englische Private-Equity-Firma CVC. Küffer brauchte nicht viel Bedenkzeit um festzustellen, dass er seine Zukunft andernorts sah. Angebote anderer Hersteller schlug er aus, lieber wollte er selber unternehmerisch tätig sein.

Mit seinem Vater hatte er nämlich schon länger über solche Perspektiven sinniert. Dieser ist Marc Küffer, Ehrenpräsident und ehemaliger Inhaber der Uhrenfirma Roventa Henex, die im Private-Label-Geschäft tätig ist, und ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats bei Ulysse Nardin. Die beiden hielten Ausschau nach geeigneten Marken, die zum Verkauf standen. Küffer sagt: «Es tut weh zu sehen, wie manche traditionsreichen Marken nach China verkauft werden.» Etwas wirklich Passendes haben die Küffers aber nicht gefunden. Vor allem wollte Ben Küffer lieber eine neue Marke mit Inhalt füllen, als sich an der Geschichte einer schlafenden Marke abarbeiten müssen. So kam’s zu Norqain.

In Familienbesitz
Die familiären und freundschaftlichen Bande haben den Vorteil, dass die Beteiligten die bislang nötigen Investitionen selber stemmen konnten. Hauptaktionäre sind Ben und Marc Küffer, sie haben auch die Stimmenmehrheit – Norqain ist also in Familienbesitz. Weiter beteiligt sind Mark Streit und Ted Schneider, Spross der früheren Breitling-Besitzerfamilie und Jugendfreund Ben Küffers. «Alles ist selber finanziert», sagt Ben Küffer, «es ist keine Bank drin und auch kein ausländischer Investor.»

Die Erfahrung von Marc Küffer half auch bei der Kostenvermeidung. Norqain-Uhren werden bei Roventa-Henex in Tavannes hergestellt. Vier Mitarbeiter kümmern sich um Produktion, Logistik und den Service Après Vente. Norqain erfindet die Uhr nicht neu. Doch setzt die Marke konsequent auf Mechanik. Jedes Modell hat einen verglasten Boden, durch den das Automatikwerk mit der eigens für Norqain gestalteten Schwungmasse sichtbar ist. Als eigenständiges Merkmal sitzt auf der linken Seite des Gehäuses die «Norqain-Plate», eine kleine Plakette. Sie ist wechselbar. Kundinnen und Kunden können sie gravieren und so ihre Uhr personalisieren lassen.

Was die Werke betrifft, so setzt Ben Küffer auf ETA. «Von mir aus kann dies auch so bleiben», sagt er. Alternativen sind in der Branche aber zunehmend vorhanden, im ersten Sondermodell wird ein Sellita-Werk ticken. «Als unabhängiger Schweizer Familienbetrieb hoffen wir, auf offene Türen bei den Werkherstellern zu stossen», sagt Küffer.

Besser als erwartet
Im Moment ist Norqain als Nischenmarke aufgestellt. Sie kommt mit acht Mitarbeitetenden aus, ihr Hauptquartier hat sie in den früheren Sparkasse-Räumlichkeiten in Nidau eingerichtet. Dieses Jahr will sie sich in den Märkten Schweiz, USA und Kanada etablieren, kürzlich sind 
20 Läden in Japan hinzugekommen. Küffer nennt keine Zahlen, doch er beteuert: Die Pläne für 2019 seien bereits überholt, es sei absehbar, dass die Verkäufe um 60 Prozent höher sein würden als gedacht. Vielleicht beantwortet sich die Frage, warum es eine weitere Schweizer Uhrenmarke brauche, bald von selber.

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