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Ausstellung

Fern von Hipstertum und Romantik

Wie geht es dem Handwerk im Berggebiet? Gar nicht so schlecht, zeigt die neue Ausstellung im Alpinen Museum, aber einfach ist die Lage nicht. Die Produkte haben ihren Preis – und ihren Wert.

Eine Lernende der Geigenbauschule Brienz zeigt ihr Handwerk im Alpinen Museum. zvg

Tobias Graden

Der Hodler ist abgedeckt. Wo im Alpinen Museum sonst monumental am Berg gelitten wird, ist eine schwarze Fläche. Noch. Bald sollen hier Schindeln angebracht werden, von den Museumsbesuchern selber hergestellt. In der Schindelwerkstatt können sie die Fichtenholzstücke auf dem Holzbock schräg aufstellen, das Schindeleisen anlegen und mit dem Hammer draufschlagen, so dass sich nach drei, vier Schlägen eine Schindel abspaltet.
Wenn Eva Gredig dies tut, sieht es jedenfalls sehr einfach aus, das alte Handwerk des Schindelmachens. Aber sie macht das auch schon jahrelang, im Safiental, auf 1700 Metern über Meer. Man könnte den Vorgang automatisieren, sagt sie, aber es brächte nicht viel: «Bis ich in der Maschine das Holzstück eingespannt habe, sind von Hand bereits vier Schindeln gefertigt.»

Auch hier: Fachkräftemangel
Eva Gredig ist eine der Handwerkerinnen und Handwerker, die sich und ihre Tätigkeit in der neuen Ausstellung des Alpinen Museums vorstellen können. «Werkstatt Alpen. Von Macherinnen und Machern» heisst diese. Sie will zeigen, was es heisst, heutzutage in den Bergregionen von Handarbeit zu leben – und sich mit handwerklich gefertigten Produkten zu behaupten, bei denen die Arbeit im Hochlohnland Schweiz die Preise in die Höhe treibt.
Die Schau zeigt:Einfach ist das nicht, aber es bieten sich auch Marktchancen. Manuel von Allmen, der die Schuhmanufaktur Kandahar in dritter Generation leitet, sagt beispielsweise:Gerade die Tatsache, dass seine Vorfahren sich gegen die Auslagerung der Produktion entschieden hätten, sei heute ein Alleinstellungsmerkmal und wecke entsprechend Interesse. Gleichzeitig sei es schwierig, überhaupt noch Fachpersonal zu finden.
Der Sitz von Kandahar befindet sich in Gwatt bei Thun, die Aufnahme in eine Ausstellung zum Handwerk im alpinen Raum mag darum auf den ersten Blick erstaunen. Inhaltlich macht dies jedoch durchaus Sinn, sind doch die Herausforderungen für Handwerksbetriebe in den Bergen abgesehen von ihrer Lage zu einem guten Teil die ähnlichen wie im Mittelland auch. Ohnehin sind gemäss Definition des Bundesamts für Statistik nicht weniger als 77 Prozent der Fläche der Schweiz als Berggebiet zu bezeichnen. Darin lebt ein Drittel der Schweizer Bevölkerung und 30 Prozent aller Schweizer Arbeitsplätze finden sich hier.

Handwerk hat seinen Preis...
Wie lange können sie sich noch halten? Diese Frage stellt sich die Weberin Jessica Correia Da Freitas jeden Winter wieder. Sie betreibt die Handweberei Tessitura in Puschlav, im Winter sackt die Nachfrage wegen der geringeren Zahl an Touristen jeweils zusammen. Was ansonsten aus Fernost für ein paar Franken im Supermarkt zu haben ist, wird hier in aufwändiger Handarbeit gewoben. Das hat seinen Preis: Das Geschirrtuch «Grischa»kostet 98 Franken. Wer es kauft, erhält nicht nur beste Qualität («Das Tuch übersteht unzählige Waschgänge ohne Problem», versichert die Weberin), sondern unterstützt auch den Erhalt von Arbeitsplätzen in peripherer Gegend – und von altem Handwerkswissen.
Vieles davon ist nämlich längst verloren gegangen oder vom Aussterben bedroht. Das zeigt die Datenbank der verlorenen Berufe. Dass sich darunter die Vogelfängerin befindet, entlockt  aus heutiger Sicht wohl ein anekdotisches Lächeln. Die Angst vor dem Aussterben alter Fertigkeiten ist aber nicht neu. Die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde hat zwischen 1942 und 1989 handwerkliche Tätigkeiten in ihrem ganzen Detailreichtum gefilmt, um sie wenigstens auf diese Weise der Nachwelt zu erhalten. Die Filme könnten heute als Slow-TV mit Entspannungswirkung durchgehen.

...und spendet Trost
Hier lässt sich auch der Text des Philosophen Eduard Kaeser hören. «Der Trost der Handarbeit» untersucht die Wiederentdeckung der Handarbeit in jüngster Zeit – gerade auch im urbanen Raum werden nicht nur handwerkliche Produkte wieder mehr geschätzt, auch findet die gestresste Städterin selber Entspannung und Sinnhaftigkeit bei handwerklicher Tätigkeit: «Es mutet oft an, als fände der moderne Mensch in seinen technisierten Umgebungen einen Trost, indem er selber Hand anlegt.»
Die reale Existenz von Handwerkern im Berggebiet kommt jedoch ohne Hipstertum aus, und die Romantik liegt eher im Auge des Betrachters aus dem Unterland. Für den Erfolg gilt es vielmehr, traditionelles Handwerkswissen mit Innovation zu paaren. Die Küferei Suppiger beispielsweise, deren Handwerk seit etwa 2000 Jahren praktisch unverändert ist und die auch Fässer für die Weinbauern am Bielersee liefert, hat sich mit der Fertigung von Hot Pots ein neues Standbein geschaffen. Die Casa della Lana im Verzascatal sorgt dafür, dass statt neuseeländischer Wolle jene der Schafe vor Ort verarbeitet wird – möglich gemacht hat dies auch die Fachhochschule Südschweiz, die dafür eine Wollwaschanlage entwickelt hat. Ihr Beispiel zeigt auch, wie wichtig regionale Kooperation ist: Dank ihr können Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten werden, und kurze Transportwege sind auch aus ökologischer Sicht sinnvoll.
«Werkstatt Alpen» bietet einen breiten, kitsch- und nostalgiefreien und somit realistischen Blick in Arbeitsrealitäten im alpinen Raum, allerdings auch einen sehr selektiven. Die Uhrmacherei etwa wäre das Beispiel für ein Handwerk, das sich als Teil der Luxusgüterbranche auf dem Weltmarkt behaupten kann – der Jura gehört schliesslich auch zu den Berggebieten. Und doch zeigt die Ausstellung nicht nur Perspektiven für eine ortsverträgliche, nachhaltige Wirtschaft in alpinen Regionen jenseits von Tourismus und Landwirtschaft auf, sondern zeigt auch den zutiefst humanen Charakter des Handwerks. Kaeser schreibt es so: «Handwerk ist keine Produktionsform, sondern eine Form menschlichen Lebens.»

Info: Die Ausstellung dauert bis zum 27. September 2020.

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