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Uhrenbranche

Gelegenheit macht Umsatz

Die junge Nidauer Marke Norqain wächst trotz Corona jährlich um 50 Prozent und hat kürzlich den ersten eigenen Laden in Zermatt eröffnet. Was sind die Gründe für den Erfolg?

Ben Küffer rekrutiert neues Personal am liebsten im Freundeskreis. copyright: barbara héritier/bieler tagblatt
Tobias Graden
 
Manchmal muss es schnell gehen. Als diesen Herbst ein Souvenirladen an der Bahnhofstrasse 5 in Zermatt schliessen musste, ergriff Ben Küffer sofort die Gelegenheit. Für den Seeländer war Zermatt schon immer die zweite Heimat, und seit er die Geschicke der jungen Uhrenmarke Norqain leitet, war klar: Die erste eigene Boutique der Marke sollte dereinst in Zermatt stehen. Schliesslich ist auch das Logo der Marke vom Gipfel des Matterhorns inspiriert. Anfang Dezember war es so weit: Bloss zweieinhalb Monate nach der Vertragsunterzeichnung eröffnete Norqain den ersten eigenen Laden, an einem Top-Standort in einem der wichtigsten Tourismus-Orte im Alpenraum. 
Über zwei Millionen Logiernächte pro Jahr verzeichnete Zermatt vor Ausbruch der Coronapandemie. Derzeit fehlen zwar vor allem die Gäste aus Asien – jedoch hat die Krise die Chance für Norqain überhaupt erst ermöglicht, wäre doch sonst das Ladenlokal nicht frei geworden. 
 
Die Beziehung zu Händlern
Die Episode zeigt, wie die junge Nidauer Uhrenmarke agiert: Sie nutzt die Gelegenheiten, die sich ihr bieten. 2018 gegründet, rechnete sie für das erste Jahr im Markt mit 1000 verkauften Uhren – es waren dann viermal mehr. Seither hat Norqain nach Angaben des CEO Ben Küffer jährliche Wachstumsraten von 50 Prozent verzeichnet, auch während der Coronazeit. Weitere Angaben zu Geschäftszahlen werden nicht gemacht. 
Das Wachstum dürfte durch mehrere Faktoren beeinflusst sein. Weil die grossen Marken zunehmend auf eigene Vertriebskanäle setzen und tendenziell unabhängige Händler nicht mehr beliefern, ergibt sich für Norqain die Möglichkeit, in die Läden dieser Händler zu gelangen. Mittlerweile ist Norqain so in 18 Ländern bei 110 Partnern vertreten. Diese Händlerbeziehungen werden sorgsam gepflegt: Auch bei Online-Verkäufen springt für den stationären Handel eine Provision ab. Selbst in Zermatt ist Norqain weiterhin auch beim wenige Meter entfernten Bucherer vertreten, obwohl nun die eigene Boutique offen ist. 
 
Partnerschaft mit Kenissi
Ein weiterer Faktor ist das Produkt. Norqain-Uhren gibt es für 1900 bis 4500 Franken zu kaufen. Das ist ein hart umkämpftes Segment, in dem die innere Wertigkeit des Produkts zum Verkaufspreis passen muss. Hier ist Norqain ein Coup gelungen:Als eine der bislang ganz wenigen Drittmarken bezieht Norqain mechanische Werke bei der Kenissi Manufactures SA. Diese stellt die Werke für die Rolex-Tochter Tudor her und wurde auch von dieser gegründet. Norqain wurde so früh genug unabhängig von ETA, der grossen Werkherstellerin der Swatch Group, die nach langjährigem wettbewerbsbrechtlichem Prozedere nun nicht mehr verpflichtet ist, an gruppenfremde Marken zu liefern. Kenissi-Werke sind zwar teurer – Norqain hat seit der Zusammenarbeit den Durchschnittspreis der verkauften Uhren auf 3000 Franken gesteigert –, aber laut Küffer qualitativ hochstehend. Norqain wirbt denn auch beispielsweise mit der Gangreserve von 70 Stunden der COSC-zertifizierten Automatikwerke – die Uhr lasse sich übers Wochenende ablegen und laufe am Montag immer noch. 
Was ETA-Werke betrifft, so werden noch die Lagerbestände aufgebraucht. Für die günstigeren Uhren verwendet Norqain Werke von Sellita – auch, um nicht wiederum nur von einem Lieferanten abhängig zu sein.
 
Nachhaltigkeit als Chance
Was ebenfalls zusammenpassen muss, sind Produkt und Darstellung der Marke, ihre Erzählung. Norqain präsentiert sich bislang vor allem als robuste, sportliche Marke für abenteuerlustige Menschen. Dafür stehen Botschafter wie der Eishockey-Profi Roman Josi oder der wagemutige Freeskier Andri Ragettli.
Ben Küffer sieht aber auch in der allseits nötigen Hinwendung zur Nachhaltigkeit eine grosse Chance für die Markenpositionierung. So verzichtet Norqain ab dem nächsten Jahr auf Armbänder aus Leder – nach wie vor seien deren Produktionsbedingungen nicht in allen Fällen transparent genug. «Norqain wird vegan», sagt Küffer – der passende Botschafter dazu ist Dean Schneider, ein Schweizer, der 2017 seine Karriere in der Finanzbranche aufgab, um in Südafrika ein Wildtierreservat zu betreiben. Mit der Linie «Neverest» unterstützt Norqain Schulkinder in Nepal. Und für nächstes Jahr kündigt die Marke Modelle aus einem neuen Material an, das dem Nachhaltigkeitsprinzip entsprechen und weiteres Wachstum bringen soll. 
 
Viel Wissen vorhanden
Zu erwähnen gilt es schliesslich die Struktur des Unternehmens, und das Fachwissen, das in der Führung und im Verwaltungsrat vereint ist. Ben Küffer selber hat seine Sporen bei Breitling abverdient. Sein Vater Marc Küffer war CEO und Mitinhaber des Private-Label-Produzenten Roventa Henex in Tavannes, wo heute auch die Norqain-Uhren montiert werden;er präsidiert den Verwaltungsrat. In dem Gremium ist viel Business-Expertise vorhanden:Lorenz Frey-Hilti ist Direktor der Emil Frey AG, Ted Schneider aus der früheren Breitling-Besitzerfamilie, der frühere Eishockey-Profi Mark Streit, der auch als Investor fungiert, zwei gut vernetzte Vertreter der v. Fischer-Investas-Gruppe und die frühere Ski-Rennfahrerin Tina Weirather. Sie hat einerseits die Aufgabe, Norqain auch als Marke für Damen bekannter zu machen – erst 20 Prozent des Umsatzes wird mit Damenuhren erzielt. Anderseits hat sie mit der familieneigenen Sportmarketingfirma WWP beste Beziehungen zu wichtigen Akteuren. So vermarktet diese beispielsweise das berühmte Skirennen in Kitzbühel. 
Norqain ist also eine unabhängige Marke, neue Mitarbeiter werden nach Möglichkeit aus dem Familien- und Freundeskreis rekrutiert. Sie kann ihr Wachstum weitgehend selber finanzieren, und sie verfolgt eine langfristige Strategie. 
 
Die Ziele
Wo soll das hinführen? Knapp vier Jahre nach der Gründung beträgt die Zahl der Mitarbeitenden bald 30. Der Markteintritt in China ist auf der To-do-Liste, aber wegen Corona verschoben. Das Wachstum muss auch bewältigbar sein, doch eigene Läden in den weiteren derzeitigen Schlüsselmärkten Japan und USA sind ein nächstes Ziel – sowie «dort, wo es Sinn macht, wo wir ein Potenzial ausschöpfen können», wie Ben Küffer sagt. Gegenüber der Raiffeisenbank nannte er die Zahl von weltweit 300 Verkaufspunkten, in denen man 2026 präsent sein wolle. Klar ist: Norqain will sich als feste Grösse des Schweizer Uhrmachertums etablieren.

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