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Lyss

Hier arbeiten alle im selben Boot

Morgen lädt die Blechdesign GmbH zur Besichtigung ihres Neubaus. Dieser fällt durch seine Gestaltung auf – und bietet Gelegenheit für viele Metaphern in der Firmenkultur.

Das «Kapitänspaar»: Doris und Peter Neuenschwander führen die Blechdesign GmbH. In der «Schiffsbrücke» im Hintergrund ist ihre Loftwohnung untergebracht. copyright: aimé ehi/bieler tagblatt

Tobias Graden

In der Lysser Gewerbezone Industrie Süd ist ein Schiff gestrandet. Nicht ganz so gross zwar wie die Ozeanriesen, die Waren in Containern von Erdteil zu Erdteil schippern und dann in den Häfen ruhen als matte Giganten, aber ein stattliches Frachtschiff ist es allemal. Und so heisst es auch: Frachtschiff, am Samstag wird es an der Südstrasse 12 getauft. Man sieht es ihm an, es hat Container geladen, auf ihnen prangen die Namen der internationalen Logistikkonzerne, Maersk, Hapag-Loyd, Blechdesign.
Blechdesign? Das ist die Besitzerin des Frachtschiffs, sozusagen die Reederei: Ein Bauspenglerbetrieb, spezialisiert auf alles, was mit Flachdach und Gebäudehülle zu tun hat. Das Frachtschiff ist sein neuer Firmensitz.

Ostsee und Hurtigruten
Doris und Peter Neuenschwander haben die Blechdesign GmbH vor knapp zehn Jahren gegründet. Das hat sich aus dem Kamin- und Ofenbauer Kamino AG so entwickelt. Diese hatte Peter Neuenschwander vor nunmehr 30 Jahren gegründet, zunehmend realisierte sie auch Spenglerarbeiten. Um die beiden Bereiche zu trennen, wurden sie auf zwei eigenständige Unternehmen aufgeteilt. In der Folge ist die Blechdesign gewachsen, sie zählt mittlerweile 20 bis 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, je nach Saison. Der Platz am früheren Standort im Industriering wurde jedenfalls zu knapp, und Neuenschwanders machten sich auf die Suche nach einem Mietobjekt. Dies erwies sich als schwierig: «Die Dimensionen passten nicht zu unseren Bedürfnissen», sagt Doris Neuenschwander. Im Gespräch mit der Gemeinde kristallisierte sich schliesslich die Lösung mit dem Neubau heraus: Die Blechdesign hat die Parzelle im Baurecht übernommen und selber einen Nebau erstellt – was sich angesichts des Tiefzinsumfelds auch als finanziell attraktive Lösung herausstellte.
Nun gibt es sicherlich zahlreiche Spenglereien, die Neubauten erstellen, aber für diese nicht die Form eines Frachtschiffs wählen. Bei der Blechdesign aber kamen mehrere Faktoren zusammen. Die Hochspannungsleitung auf der Westseite der Parzelle schränkt dort die Bauhöhe ein. Dann haben Doris und Peter Neuenschwander bei einem Nachtessen aufgezeichnet, was der Betrieb und das Gebäude alles brauchen: Werkstatt, Büros, Lager, einen Personalraum, eine Wohnung für das Eigentümer- und Leitungspaar. Es zeichneten sich die Konturen auf der Skizze ab – «das sieht ja aus wie ein Frachtschiff!», stellten die Patrons fest. Hinzu kommt: Neuenschwanders haben ein Faible für grosse Häfen, sie besuchen gerne jenen in Hamburg, sie sind schon mehrmals mit dem Frachtschiff auf der Ostsee gereist und haben mit dem Postschiff die Hurtigruten befahren.

Vom Bauboom profitiert
Und nun sind Doris und Peter Neuenschwander das Kapitänspaar, das auf der Schiffsbrücke die Attika-Loftwohnung bewohnt – samt Dachterrasse auf der «Ladefläche» und Kräutergarten auf dem Bug. Doch die maritime Metaphorik geht bei der Blechdesign GmbH deutlich weiter als bis zu den erstbesten Wortspielereien. «Auf einem Frachtschiff geht es um Bewegung und Vorwärtskommen, alles ist kompakt und gut organisiert», sagt Doris Neuenschwander, «das ist unsere Firmenphilosophie». Wenn ein Handwerksbetrieb üblicherweise damit wirbt, ihm seien Qualität und Kundenzufriedenheit wichtig, dann sagt die Mitbesitzerin: «Wir müssen alle Mitarbeiter mit ins Boot holen. Erst dann können wir die Kunden zufriedenstellen.» Das sind Bilder, die auch bei der Belegschaft wirken, darum hängen die Patrons – Mann und Frau besitzen und führen die Firma zu genau gleichen Teilen – sie bisweilen als Leitsätze in der Werkstatt auf. «Wir bilden Menschen aus und weiter», steht dann beispielsweise auf einem Plakat, und das ist mehr als eine Worthülse: Neben der Ausbildung von Lehrlingen hat die Blechdesign GmbH nun einen jungen Eritreer engagiert. In einer so genannten Vorlehre Integration soll er seine Kenntnisse so weit entwickeln, dass er danach eine Berufslehre absolvieren kann. Ohnehin sitzt jeder, der bei der Blechdesign GmbH arbeitet, im selben Boot: Die ganze Belegschaft wird am Gewinn beteiligt.
So waren denn die letzten Jahre gute Jahre für das ganze Unternehmen. Die Blechdesign GmbH hat vom Bauboom profitiert. Sie war beispielsweise an der Wohnüberbauung Bassbelt in Pieterlen beteiligt, an der Überbauung Buschang in Biel, am Neubau von Kauer Möbel daselbst oder am Werkhof der Gemeindebetriebe Lyss. In Lyss selber dauert die Bautätigkeit weiter an, es sind noch mehrere Überbauungen in Planung – aber irgendwann wird die Neubaukonjunktur auch wieder abflachen. Darauf wollen sich Neuenschwanders vorbereiten: «Wir werden uns stärker auf Sanierungen konzentrieren», sagt Doris Neuenschwander, «denn bei all den Überbauungen aus den 70er- und 80er-Jahren stehen diese demnächst an.»

Büros statt Loft
Weiteres Wachstum ist dagegen nicht geplant: «Wir haben gerade die optimale Grösse», sagt Doris Neuenschwander. Der Neubau des Unternehmens – pardon: das Frachtschiff – ist zudem so gebaut, dass es für die Zukunft viele Optionen offenlässt, denn wie dereinst eine Nachfolgelösung aussehen wird, ist noch offen. Doch können künftige Besitzer auch einen Teil der Werkstatt abtrennen oder aus der Loftwohnung Büros machen.
Vorerst aber steuern Doris und Peter Neuenschwander den Betrieb durch die See der Konjunktur. Auch das Innere des Gebäudes erinnert dabei an ein Schiff: Trennwände bestehen aus Stahl, die eisernen Sicht-Tragbalken sind unbehandelt, Kabelstränge verlaufen sichtbar an der Decke und selbst die Heizungsradiatoren lehnen sich durch blankes Metall an die Schiffsästhetik an – Doris Neuenschwander ist auch als Künstlerin tätig, sie hat einen Sinn für Gestaltung und ein Auge für Details. An den Wochenenden steht sie mit ihrem Mann auf der Terrasse an die Reling und beobachtet Wale und Delphine. Nein, es sind Hasen und Rehe, die sich auf die Wiese vor dem Neubau wagen. Was Neuenschwanders fehlt, ist ein richtiges Schiff auf einem See. Dazu fehle ihnen die Zeit, sagt die Kapitänin.
 

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