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Tavannes

«Ich mache das, weil ich Leben retten will»

Die Stiftung Digger stellt Minenräumfahrzeuge her. Plötzlich blieben die Aufträge aus. Die Folgen: Direktor Frédéric Guerne beantragte Kurzarbeit. Nun hat er weitere Lösungen gefunden, die das Unternehmen aus Tavannes aus der Krise führen.

Tests in der Region: Rund um Tavannes wurden die meisten Felder schon einmal von einem Gigger umgepflügt. Bilder: zvg

von Donat Blum

Sein schwarzer Bürotisch ist von gelben, vollgeschriebenen Post-It-Zetteln übersät. Das Telefon laufe heiss diese Tage, sagt Frédéric Guerne, Direktor der Stiftung Digger. Noch im Sommer sah es ganz anders aus. In der letzten Ausgabe des viermal jährlich erscheinenden Informationsbulletins titelte Guerne: Die humanitäre Minenräumung in der Krise?

Die Firma Digger stellt Minenräumfahrzeuge her. Sie sehen aus wie gepanzerte Bagger und werden ferngesteuert. Mit Krallen durchwühlen sie die Erde bis 25 Zentimeter Tiefe und bringen die Minen kontrolliert zur Explosion. Die Schweizer Präzisionsmaschinen bleiben dabei unversehrt. Die Produktion und den Verkauf sieht Guerne allerdings nicht mehr als Hauptgeschäft von Digger. Sie unterstützen Entminungsprojekte mit ihrem Wissen und in dem sie für die Partner Gelder auftreiben, dass sie sich eine Minenräummaschine leisten können. 358 000 Franken kostet das aktuelle Modell. Die Diggers sind die besten und zugleich günstigsten auf dem Markt, sagt Guerne, relativiert aber sogleich: Natürlich sei er voreingenommen. Wobei, es gebe schon auch technische Argumente.

Nicht nur effizienz zählt

Rund 1,5 Millionen Franken setzte der in Tavannes ansässige Betrieb bisher jährlich um. Seit einem Jahr bleiben nun aber die Aufträge aus. Anfragen liessen sich nicht konkretisieren. Eine Evaluierung in Libyen wurde nach zwei Wochen gestoppt. Und auch die UN - der Hauptauftraggeber von Entminungs-Programmen - legte in Südsudan die einzige aktuelle Mission wegen zu hohem Risiko auf Eis. Erstmals seit 20 Jahren wurden 2015 wieder mehr Minen gestreut als entschärft. 56 Länder insgesamt sind gemäss dem Landmine Monitor betroffen. Syrien, Jemen und die Ukraine kamen heuer neu dazu. Vor einigen Jahren standen alle Lichter auf grün. Sieben kommerzielle Hersteller begannen mit Digger, dem einzigen Non-Profit- Anbieter, um Aufträge zu buhlen. Nach wirtschaftlichen Gesetzen sprach alles dafür, dass die manuelle von der um das zehnfache effizienteren maschinellen Methode abgelöst würde. Aber der humanitäre Sektor tickt anders als der wirtschaftliche, sagt Guerne.

Effizienz ist nicht ausschlaggebend. Für die politischen Akteure sind es Erfolgsaussichten und Image, die zählen. Entminungsprogramme sind den betroffenen Ländern entsprechend zu unsicher. Und die NGOs sind, um Spendengelder zu generieren, auf emotionale Kommunikation angewiesen. Maschinen eignen sich dafür schlecht. Trotzdem: 10 der rund 30 Minenräumfahrzeuge, die heute weltweit im Einsatz stehen (ausgenommen sind die 50 Fahrzeuge in Kroatien), stammen aus der Produktion in Tavannes.

Düstere Aussichten

Die Marktsituation hat sich mit der Weltsicherheitslage aber drastisch verschärft. Seit einem Jahr bleibt Digger auf dem 12. Fahrzeug sitzen und das 13. befindet sich ohne festen Abnehmer in Produktion. Der einzige Schweizer Konkurrent, die Firma Minewolf AG, meldete letzten November Konkurs an. Ein anderer Mitstreiter kam auf Guerne zu und hofft auf eine Zusammenarbeit. Guerne selbst beantragte Ende 2014 Kurzarbeit. Die Absage kam kurz vor Weihnachten. Die Aussichten waren düster.

Erst die Unterstützung lokaler Politiker und der Frankenschock brachten im Februar die Wende: Mehr als die Hälfte der 20 Mitarbeitenden wurden auf Kurzarbeit gesetzt. 40 000 bis 45 000 Franken konnten so monatlich eingespart werden. Das hat Digger gerettet, ist Guerne überzeugt. Noch bis Ende Jahr wird die Kurzarbeit fortgesetzt.

Zahlreiche Geldgeber

Neben dem Bürofenster mit Blick auf ein Bauernhaus steht eine Flipcharttafel: Guerne hat darauf die potentiellen Geldgeber für Projekte aufgelistet. Einzelne Namen und Zahlen sind farbig unterstrichen und einige Zeilen durchgehend schraffiert. Die meist dreistelligen Tausenderbeträge werden mit K abgekürzt. Kanton Basel Stadt: 200 K. Kanton und Stadt Genf: Mehr als eine Million. Letztere sind in der Schweiz nach der Eidgenossenschaft die grössten öffentlichen Geldgeber für humanitäre Projekte. Auf Guernes Liste fungieren weiter vor allem Stiftungen und Private. Über 2000 Personen unterstützen Digger mit regelmässigen Beiträgen.

«weniger Graue Haare»

Seit einigen Wochen geht es auch mit der Akquisition von neuen Projekten wieder voran. Ein grösserer Auftrag der öffentlichen Hand dürfte bis Anfang nächsten Jahres eingeholt sein. Und die humanitäre Minenräumung macht weltweit wieder Fortschritte: In Kolumbien haben Regierung und Rebellen letzte Woche einen Vertrag unterzeichnet, der als ersten Schritt die Entminung vorsieht. Und Angola zeigt Interessen an der Digger-Maschine, die bisher in Mosambik im Einsatz stand; dem südostafrikanischen Staat, der vor zwei Wochen und nach 15 Jahren, die landesweite Entminung bekannt geben konnte. Guernes Motivation auf alle Fälle scheint ungebremst: «In der Industrie würde ich mehr verdienen und hätte weniger graue Haare», sagt Guerne. «Aber ich mache das, weil ich daran glaube; weil ich Leben retten will.»

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