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Automatisation

«Ich spreche zu meinen Maschinen»

Pablo Casarella macht sich Gedanken über die Veränderungen in der Arbeitswelt, die er selbst vorantreibt: Er ist Spezialist auf dem Gebiet der Automatisierung von maschinellen Prozessen.

Pablo Casarella: «Ich arbeite vorwiegend in der Region. Die Nähe zu meinen Kunden verleiht meiner Tätigkeit einen Mehrwert, denn das persönliche Gespräch zählt mehr als ein Telefonanruf.» Stéphane Gerber

Pierre-Yves Theurillat/pl

Pablo Casarella hatte seit jeher den Wunsch, als selbständiger Unternehmer zu arbeiten. Im Januar 2016 begann er mit Firmen Kontakt aufzunehmen, um seine Fähigkeiten bekannt zu machen. Seither hat der 41-Jährige sein Adressbuch gut gefüllt und sich einen Namen im Kreis der Hersteller von Präzisionsprodukten gemacht.

Casarella ist Spezialist auf dem Gebiet der Automatisierung von maschinellen Prozessen. Er programmiert elektronisch gesteuerte Maschinen und entwirft auch ganze Produktionseinheiten. «Ich spreche gerne zu meinen Maschinen», scherzt Casarella, der seine Fachausbildung berufsbegleitend erworben hat. Seine Firma Ma Boule Tech ist im jurassischen Châtillon angesiedelt. Die Einsatzorte des Jungunternehmers befinden sich in Biel, Täuffelen, Grenchen, Court oder Courtételle. Dort arbeitet er vor Ort bei seinen Auftraggebern.

Keine Günstiglösungen

Über mangelnde Aufträge kann sich Casarella nicht beklagen. Kürzlich hat er in Moutier 18 selbst entworfene Maschinen in Betrieb genommen. «Ich habe diese Automaten mit deutscher Elektronik und mit Bildschirmen aus Schweden ausgerüstet. Das System läuft ohne die geringste Panne», freut sich der Firmengründer. Er bemerkt allerdings, dass seine Produkte «keine Low-Cost-Lösungen» darstellten. Casarella ist auch als Berater für Automatisierung tätig: «Ich analysiere die gesamte Produktionskette der Teilefertigung und frage mich, welche Verbesserung sich durch zusätzliche Automatisierung bezahlt machen könnten», erklärt der Spezialist. Das elektronische Gehirn moderner Maschinen ist gleichsam lernfähig. Dazu meint er: «Ich bringe dem Automaten bei, wie er Fehler erkennen und darauf reagieren kann. Am Ende greift die Maschine während des Produktionsprozesses auf diese Daten zu und arbeitet auf diese Weise völlig selbständig.»

Der «Maschinendoktor»

Pablo Casarella kam als Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie AGC Verres Industriels SA in Moutier und Hélios SA in Bévilard zur Automatisierung von Produktionsprozessen. Bei Verres Industriels programmierte er die Steuerung von Maschinen, bis er 2007 vom Mikromechanik-Unternehmen Helios angestellt wurde. Dort wurde er zum Fachmann für Automatisierung ausgebildet. Bei Helios hatte der gelernte Elektromechaniker die Aufgabe, Maschinen von anderen Herstellern umzubauen und für neue Aufgaben anzupassen.

Bei dieser Gelegenheit kam Casarella die zukunftsweisende Idee: «Wenn ich diese Arbeit beherrsche, bin ich auch fähig, neue Maschinen entwickeln.» Während seiner Zeit beim Präzisionsunternehmen in Bévilard konnte der junge Mann seinen Wissensstand gehörig ausbauen: Die Codierung von dreidimensionalen Steueranweisungen für Maschinen und die Programmiersprachen der verschiedenen Hersteller waren für den jungen Mann bald kein Geheimnis mehr. Eine berufsbegleitende Zusatzausbildung öffnete ihm den Blick auf künftige technische Entwicklungen.

Wenn sich Pablo Casarella über eine Maschine beugt, wird er zum Diagnostiker: Er bemerkt kleinste Unterschiede zu vergleichbaren Modellen und legt den Finger auf Organe, die ihm nicht den Eindruck von Zuverlässigkeit vermitteln – wie ein Doktor dies beim Menschen tut. Dabei baut der Fachmann auf seine grosse praktische Erfahrung. Schulwissen nimmt er nur hervor, wenn er eine bestimmte physikalische Formel sucht: «Manchmal muss ich in einem Buch nachschauen.»

Der Jungunternehmer berichtet, warum er sich für den Weg in die Selbständigkeit entschieden hat: «Als Angestellter bist du Bestandteil der Organisation und kannst dich nur beschränkt weiterentwickeln.» Dass er keinen Einfluss auf das gesamte Unternehmensgeschehen nehmen konnte, habe ihn manchmal entmutigt: «Ein Vorgesetzter kann ein Projekt wegen fehlender finanzieller Ressourcen absagen. Aber am Ende erfährst du die genauen Gründe nicht». Sein Streben nach einer eigenen Firma liege auch im Charakter, meint Casarella: «Das ist halt mein Temperament. Einige wollen einen beschützten Arbeitsplatz, andere nicht.»

Neues Modell

Mit einer Herausforderung hatte der findige Techniker allerdings nicht gerechnet, wie er erklärt: «Der Verwaltungsaufwand eines Selbständigen kommt mir vor wie ein Dschungel. Die Vorschriften sind oft auch für einen Automatiker schwer zu entziffern.»

Derzeit schlägt Pablo Casarella seinen Partnern ein neues Geschäftsmodell vor: Seine Dienstleistung umfasst die Herstellung von Teilen auf den Fertigungsanlagen des Kunden. Anschliessend führt er die Qualitätskontrolle der Produktion bei sich zuhause mit eigenen automatischen Maschinen durch. Schliesslich liefert er die fertige Serie und das Prüfungsprotokoll beim Auftraggeber ab. Dieses Angebot soll dem Firmengründer höhere Umsätze bescheren. Diese braucht er nämlich, um seinen Traum von grösseren Industrieprojekten zu verwirklichen.

 

Sein Job dient dazu, Jobs überflüssig zu machen

«Mit der Automatisierung wird menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt», erklärt Pablo Casarella. Ziel dieses Prozesses: In der gesamten Produktionskette sollen immer weniger Menschen eingesetzt werden. In der Uhren-, Auto- und Anschlusstechnik erfolge die Produktion schon fast zu hundert Prozent automatisch, «und das fehlerfrei», so Casarella. Er beobachtet, dass immer mehr Hersteller die automatische Montage von Teilen oder sogar ganzer Komponenten anstreben. Deshalb meint der Jungunternehmer ironisch: «Mein Job dient dazu, Jobs zu überflüssig zu machen.»

Aber in dem Masse, wie Menschen durch Maschinen ersetzt werden, entstehen neue Probleme. Wo bleibt da die Ethik? In diesem Punkt sieht Casarella keinen Konflikt: «Ausgehend von den Lebensbedingungen des Menschen haben die Leute doch Besseres zu tun, als stumpfsinnige Arbeit am Fliessband zu leisten. Das Hauptproblem liegt nämlich in der falschen Verteilung des Reichtums, der dank der Automatisierung erwirtschaftet wird.» Allerdings zweifelt auch der Firmengründer an der Notwendigkeit, die Nachfrage durch ein dauerndes Überangebot ständig zu befeuern: «Das ist für die Existenz des Menschen nicht unabdingbar.»

Casarella erlebt die Entwicklung seiner Maschinen durchaus als schöpferischen Prozess: «Auf diese Weise geht mir die Arbeit leicht von der Hand.» Schon als Kind war der Techniker von den Werken Jean Tinguelys fasziniert. Immerhin war er der erste Künstler, der bildhauerischen Werken die Bewegung vermittelt hat. Casarella erkennt in Tinguely denn auch den ersten «Künstler der Automatisierung» und erinnert sich: «Diese kreisenden freien Bewegungen der Skulpturelemente hatten mich sehr beeindruckt.»

Trotz seiner kreativen Ader bleibt der Unternehmer zumindest im geschäftlichen Alltag mit beiden Füssen auf dem Boden. Dennoch greift er zukünftigen technischen Entwicklungen mit sichtlicher Freude voraus: «Ich habe Ideen für eine Software, die weit über das heute Mögliche hinausgeht. Gemeinsam mit einem Freund habe ich mir eine Apparatur ausgedacht, mit welcher sich Musikgeräte direkt vom Gehirn aus steuern lassen.»

Aber auch in seiner beruflichen Praxis sieht Pablo Casarella zukunftsweisende Aufgaben. Technisch ausgefeilte Automaten verfügen nämlich zunehmend über eine sogenannte künstliche Intelligenz.

Der Automatiker meint, es sei schon heute denkbar, Anlagen zu bauen, die man mit fehlerhaften und korrekt fabrizierten Rohlingen beschicken könnte. Die Maschine würde während der Produktion selbstständig entscheiden, wie sie mit den Teilen umgeht. «Aber für solche Projekte fehlen mir die Ressourcen, denn dafür wäre ein Team von fünf oder sechs Ingenieuren notwendig», bedauert Casarella. pyt/pl

 

Zur Person

  • geboren 1974, aufgewachsen in Delémont.
  • 1990 Berufslehre als Elektromechaniker bei Safed SA in Delémont. Ab 1994 ein Jahr bei Kräuchi Informatik zur Weiterbildung.
  • 1995 Abstecher in die Musik: Studium der Bassgitarre an der Schule für Jazz- und zeitgenössische Musik in Lausanne (EJMA).
  • Ab 1997 Unterhaltsmechaniker bei AGC Verres Industriels SA in Moutier während neun Jahren.
  • 2007 Anstellung bei Hélios SA in Bévilard, zuerst als Verantwortlicher für Messtechnik, später als Entwickler von Systemen zur industriellen Automation.

2016 Aufnahme der Tätigkeit als selbständigerwerbender Unternehmer mit der Firma Ma Boule Tech. pyt/pl

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