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Jean-Marc Probst

«Ich stelle Leute ein, also trage ich auch Verantwortung»

Für den Besitzer der Probst-Maveg war der 15. Januar der bislang schlimmste Tag seiner Karriere. Bei der Bewältigung hilft ihm die wichtigste Lektion aus «Le Petit Prince».

Unternehmer Jean-Marc Probst: "Ich bin komplett gegen eine Reduktion der Löhne."

Interview: Tobias Graden

Jean-Marc Probst, was ist so faszinierend an Baumaschinen?

Jean-Marc Probst: (überlegt) Ich fühle eine Art Stolz, wenn ich die Baumaschinen auf Baustellen antreffe. Man ist auf der Autobahn, es kommt eine Baustelle, alle schimpfen, weil es Stau gibt, doch wenn ich vorbeifahre und die Walzen sehe, die wir vor einigen Jahren verkauft haben, und die sind am Arbeiten, dann freut mich das.

Je mehr Maschinen Sie draussen sehen, desto besser geht’s der Schweiz.

Auch mir (lacht). Wenn ich im Ausland erfahren will, wie die Konjunktur läuft, zähle ich auf dem Weg vom Flughafen ins Stadtzentrum die Kräne und Baumaschinen. Hat es viele, läuft in dem Land alles rund, der Staat und die Privaten investieren. Kam man vor einigen Jahren in Madrid an, sah man hunderte Kräne. Drei Jahre später: keine mehr.

Sie sind im Familienunternehmen Ihrem Vater gefolgt. War das für Sie von Anfang an klar?

Eigentlich ja, denn mein Vater hat mich, als ich 17 war, vor einer grossen Investition die Frage gestellt, ob ich dereinst sein Nachfolger werden wolle. Ich habe Ja gesagt. Das habe ich später immer als Verantwortung betrachtet, ich habe Maschineningenieur studiert und bin in die Firma eingestiegen. In der Zwischenzeit hatte ich einige Ideen, was ich anderes tun könnte (lacht).
 

Was denn?

Journalist, Fotograf, Reporter, zur Filmbranche hätte ich auch einen Draht gehabt. Ich bin aber der eingeschlagenen Linie treu geblieben.
Die Probst-Maveg ist ein Handelsunternehmen, das viel im Euroraum einkauft. Der vergangene 15. Januar dürfte für Sie ein Tag der Erleichterung gewesen sein.
Das war bislang mit Abstand der schlechteste Tag meiner Karriere. Innert Minuten hat unser Lager 17 Prozent an Wert verloren, fast vier Millionen Franken. Ich habe aber gedacht: Wir haben so etwas schon mal weggesteckt. 2011 sank der Euro in kurzer Zeit von 1.40 auf 1.20 Franken. Jetzt, nach ein paar Monaten, stelle ich fest, dass es deutlich schwieriger ist als 2011.

Warum?

Es gibt mehr Unsicherheit in der ganzen Wirtschaft. Es ist nicht nur die Währung, es sind auch andere Faktoren, zum Beispiel: Wie kriegt unsere Regierung die Abstimmung vom 9. Februar 2014 geregelt? Wenn ein Unternehmer eine Investition von mehreren hunderttausend Franken tätigen will, überlegt er: Wie sieht es aus für meine Firma in einigen Jahren? Wenn er zu viele Unsicherheiten sieht, verschiebt er den Investitionsentscheid. Und das ist passiert: Vom 15. Januar bis Mitte März haben wir praktisch nichts mehr verkauft.
 

Sie können aber auch günstiger einkaufen. Hebt das die negativen Folgen nicht auf?

Nicht sofort. In der Baumaschinenbranche sind die Margen definiert durch die Wettbewerbssituation. Wenn ich ein Produkt für 100 Franken kaufe und ich verkaufe es mit zehn Prozent Marge, habe ich zehn Franken, um meine Kosten zu decken. Wenn ich jetzt das selbe Produkt für 80 Franken einkaufe, und ich habe zehn Prozent Marge, bleiben mir für die gleichen Kosten nur noch 8 Franken. Die Marge kann ich nicht einfach erhöhen. Das heisst, 20 Prozent Marge sind verschwunden, ich muss sie mit Sparmassnahmen ausgleichen.

Sie könnten Personal reduzieren.

Das kommt nicht infrage. Wir haben gut ausgebildete Leute, dieses Know-how will ich nicht verlieren. Wir müssen mittelfristig eben besser arbeiten.

Es ist ein halbes Jahr vergangen seit dem 15. Januar. Hat sich die Situation eingependelt?

Noch nicht. Es ist ein zweiter Effekt hinzugekommen, den ich nicht erwartet habe. Die Leute vergleichen viel stärker die Preise der Produkte mit jenen im Ausland.

Das ist nicht neu.

Es hat sich aber deutlich verstärkt. Jeder Kunde schaut: Was würde eine Maschine, die ich für 100000 verkaufe, im Ausland kosten? Das Problem dabei: Man vergleicht Äpfel mit Birnen. Im Ausland beträgt die Garantie für Baumaschinen nur zwölf Monate, wir geben drei Jahre. Oder die Kunden in der Schweiz wollen Fahrersitze mit Heizung. Dieses «Swiss-finish» kostet eben.

Das müssen die Kunden doch merken.

Schon, aber wir müssen es ihnen beibringen, es braucht viel mehr Information. Die Kunden nutzen die Preisunterschiede in den Verhandlungen mit uns.

Wird Ihr Unternehmen in diesem Jahr rote Zahlen schreiben?

Unser Geschäftsjahr endet per Ende März. Wir hatten wenig Zeit, um zu reagieren. Wir haben zum ersten Mal in unserer Geschichte rote Zahlen schreiben müssen, wegen der Abschreibungen auf Lager, Mietmaschinen und Gebrauchtmaschinen. Wir haben ein solides Eigenkapital, ich schlafe ruhig, aber es ist keine schöne Zeit.

Die ganz grossen Probleme hat aber die Exportindustrie.

Das ist so. Ich bin auch Verwaltungsrat von Exportfirmen, ihre Probleme sind noch viel grösser. Sie müssen Leute entlassen und gewisse Arbeiten im Ausland machen lassen. Wenn der Mehrwert der Arbeit in der Schweiz zu klein ist, bleibt keine Alternative. So werden Arbeitsplätze gestrichen. Das spürt man heute noch nicht, aber das dritte und vierte Quartal werden schwierig sein.

Haben Sie denn Verständnis für den Entscheid der Nationalbank?

Ich habe begriffen, dass der Mindestkurs nicht weiter tragbar war. Es war effektiv die einzige Möglichkeit, und der Zeitpunkt ist dann nie der richtige.
 

Manche Unternehmer wollen die Löhne der Grenzgänger in Euro auszahlen, oder sie reden von Lohnsenkungen und erhöhen die Arbeitszeit. Was halten Sie davon?

Ich bin komplett gegen eine Reduktion der Löhne. Jeder Mitarbeiter hat seine Ausgaben, und diese sind nicht alle Euro-abhängig, etwa die Mieten oder die Krankenkasse. Es ist auch eine komplett blöde Idee, Löhne der Grenzgänger in Euro zu zahlen. Man kann aber verlangen, dass jeder Mitarbeiter mehr leistet. Wir haben gute Zeiten gehabt in der Schweiz, während weite Teile der Welt seit 2008 in einer schlechten Situation waren. Nun gilt es zu akzeptieren, dass wir etwas mehr leisten müssen.
 

Sie sind Präsident von Handel Schweiz, dieser Verband prangert oft die Gebührenbelastung an. Können Sie mir konkrete Beispiele nennen?

Der Staat will nicht unbedingt mehr Gebühren, aber er verschärft die Kontrollen. Gerade an der Vorstandssitzung diese Woche wurde mir berichtet, dass Grenzgänger mit Firmenfahrzeugen verstärkt kontrolliert werden. Der Arbeitnehmer muss seinen Arbeitsvertrag im Auto haben, er muss beweisen, dass er auf dem Arbeitsweg ist. Es sind Weisungen an die Firmen ergangen, wonach die Grenzgänger diese Autos nicht am Wochenende oder zum Einkaufen brauchen dürfen. Was bringt das? Wir kämpfen darum, die Bilateralen zu erhalten, die Regierung sagt es bei jeder Gelegenheit, und gleichzeitig wird Grenzgängern das Leben schwerer gemacht.
 

Gibt es Beispiele in Ihrem Unternehmen?

Da ist die ominöse Bio-Öl-Geschichte. In immer mehr Ausschreibungen wird verlangt, dass die Hydraulik von Baumaschinen mit biologisch abbaubarem Öl befüllt ist, das fünfmal mehr kostet. Doch wenn dieses Öl ausläuft, wird genau so wie bei normalem Öl die Erde ausgehoben, das hat mir die Feuerwehr bestätigt.
 

Es ist doch legitim, wenn die Schweiz höhere Standards durchsetzen will.

Eben nicht überall. Wir haben höhere Standards beim Lärm und bei sonstigen Emissionen, das ist auch gut so und basiert auf Gesetzen. Aber die Forderung nach Bio-Öl beispielsweise hat keinerlei rechtliche Grundlage, es sind die Behörden, die dies eigenmächtig verlangen.
 

Sie können doch dafür die Maschinen teurer verkaufen.

Gar nicht. Und in zehn Jahren wird die Maschine exportiert, doch in anderen Ländern gibt es unter Umständen dieses Bio-Öl gar nicht. Es gibt also null Mehrwert für den Unternehmer, und auch nicht für die Natur. Bei Partikelfiltern etwa ist das etwas anderes, die haben bessere Luft gebracht.
 

Sie sind auch in Frankreich unternehmerisch tätig – verglichen mit dort dürfte die Schweizer Bürokratie zurückhaltend sein.

Gewiss, sie ist hier viel kleiner und effizienter. Bloss: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht dem schlechten Beispiel folgen. Es ist darum auch sehr wichtig, dass wir am Milizprinzip festhalten, dass wir Politiker haben, die wissen, was ein Unternehmen ist, eine Baustelle, ein Spital, eine Schule. In Frankreich sind die Politiker Profis, sie haben den Draht zur Wirtschaft verloren.

Handel Schweiz kämpft auch für Parallelimporte. Da sind sie in ihrer eigenen Partei, der FDP, nicht immer in der Mehrheit.

Allerdings. Doch ich bin überzeugt vom Freihandel. Die Ausnahme ist die Landwirtschaft. Ich halte das zwar auch für schlecht, akzeptiere es aber. Alle anderen Ausnahmen sollte man jedoch vermeiden. Das hilft, die Hochpreisinsel Schweiz zu bekämpfen.
 

Wie sehen Sie die Zukunft? Es gibt auch innerhalb der Wirtschaft Stimmen, welche die Bilateralen als nicht derart wichtig betrachten.

Ich bin ziemlich sicher, dass unsere Regierung dies lösen wird, und wir werden über das Resultat der Verhandlungen abstimmen. Man muss sehen: Verhandlungen sind ein Geben und Nehmen. Und wir haben schon einige Sachen an die EU verschenkt, etwa die Verkehrsverbindungen durch die Alpen. In anderen Dingen, etwa der konstitutionellen Gerichtsbarkeit, werden wir Konzessionen an die EU machen müssen. Grundsätzlich müssen wir alles daran setzen, die Bilateralen behalten zu können. Sie haben uns sehr viel gebracht, das muss man einfach sehen. Jeder, der im Handel aktiv ist, hat ein Interesse daran, denn im Prinzip stellen sie ein Freihandelsabkommen dar.

Sie sind seit diesem Jahr auch Honorarkonsul von Deutschland in Genf. Was sind Ihre Aufgaben?

Das ist eine Ehre, aber auch eine Pflicht. Ich habe ein Büro in Genf eröffnet und drei Mitarbeiterinnen eingestellt. In den Kantonen Genf, Waadt und Wallis leben 40000 Deutsche, das Büro kümmert sich um administrative Angelegenheiten: Passanträge, Beglaubigungen, Bestätigungen für Diplome...
 

Sie persönlich drücken den Stempel auf die Dokumente?

Die Beglaubigungen muss ich persönlich unterschreiben. Jede zweite Woche bin ich einen Tag lang in Genf für diese Geschäfte. Die zweite Aufgabe ist die Pflege der Beziehungen zwischen diesen drei Kantonen und der Bundesrepublik Deutschland, in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft. Dies erfolgt auf drei Ebenen: wirtschaftlich, politisch, kulturell. Wir planen zum Beispiel Anlässe mit der deutschen und französischen Schule in Genf.
 

Wie wird man Honorarkonsul?

Man kriegt eine so genannte Exequatur: Deutschland stellt beim Bundesrat ein Gesuch um die Ernennung, der Bundesrat segnet dieses ab.
 

Ist das ein lukratives Amt?

Darum geht es nicht. Das Büro kriege ich von Deutschland zur Verfügung gestellt, die Löhne der Mitarbeiter zahle ich selber. Finanziert werden diese durch die Gebühren für die Dienstleistungen. Am Ende resultiert eine schwarze Null.

Sie haben auch eine Stiftung für «Le Petit Prince». Wie kommt das?

Ich besitze die grösste Sammlung von «Petit-Prince»-Büchern auf der Welt, es sind gegen 4000. Angefangen hat es auf einer Japanreise 1980, da habe ich das Buch in Japanisch gesehen und es gekauft. Das Ziel ist, die Botschaft des Kleinen Prinzen an Menschen zu bringen, die das Buch bislang nicht lesen konnten. «Le Petit Prince» hat keine religiöse Botschaft, vermittelt aber wichtige Werte. Jedes Jahr lassen wir das Buch in neue Sprachen übersetzen und verteilen die Bücher an die Schulen des entsprechenden Landes. Letztes Jahr haben wir unter anderem 5000 Bücher in Bhutan verteilt, derzeit sind wir daran, die Übersetzung in Kirundi abzuschliessen, das ist die Sprache von Burundi. Das ist mein kleiner Beitrag für eine bessere Welt.

Dieser Tage sind die Rechte für die Geschichte frei geworden, es wird eine Verfilmung in die Kinos kommen. Was halten Sie davon?

Business is business, das lässt sich nicht bremsen. Für mich ist «Le Petit Prince» ein Buch, fertig. Es geht um seine Botschaften. Der Kleine Prinz kann bei schweren Phasen im Leben helfen, er hilft, mit Abschieden umzugehen, wie die Rose des Prinzen.
 

Die kapitalistische Verwertungsmaschinerie wird den poetischen Zauber der Geschichte vernichten.

Das wäre sehr traurig.
 

Welches ist Ihre Lieblingsstelle in der Geschichte?

Die wichtigste Botschaft ist: Man ist verantwortlich für das, was man «zähmt». Man kann nicht mit jemanden in eine Beziehung treten, ohne sich auch verantwortlich zu fühlen. Das will ich auch im Unternehmen leben: Ich stelle Leute ein, dann trage ich auch Verantwortung.

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