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Uhrenbranche

Lächeln und mahnende Worte

Der neue Gesamtarbeitsvertrag für die Uhreninindustrie bringt soziale Verbesserungen für die Angestellten, aber auch mehr Flexibilität für die Firmen. Er wird sich bald in schwieriger Zeit bewähren müssen.

Feierlicher Moment: Vania Alleva (Präsidentin der Unia, links) und Elisabeth Zölch (Präsident der Convention Patronale) unterzeichnen den GAV.  copyright: keystone

Tobias Graden


Er war mit Jean-Jacques Rousseau befreundet und ermöglichte die Erstausgabe von dessen Schriften. Er baute aber auch ein schönes Herrenhaus in Neuenburg: Das Hôtel DuPeyrou trägt darum auch heute noch den Namen von Pierre-Alexandre DuPeyrou, der von 1729 bis 1794 lebte. Das Gebäude ist eines der repräsentivsten der Stadt, es dient darum auch offiziellen Repräsentationszwecken.
Das Hôtel DuPeyrou hat aber auch für die Uhrenbranche eminente symbolische Bedeutung. Seit 1937 wurde hier jeder Gesamtarbeitsvertrag zwischen den Sozialpartner unterzeichnet, mit dem gestrigen Akt erfolgte dies bislang 15 mal. Alleine dies zeigt die Wichtigkeit, die dem Arbeitsfrieden in der Branche beigemessen wird.

Kritische Töne
Die letzten beiden Male, Ende 2006 und Ende 2011, waren die Bedingungen für die Industrie allerdings ganz andere als heute. Diese Vertragsunterzeichnungen fielen in Phasen des Aufschwungs, die Krisen standen erst bevor. Jetzt dagegen sieht sich die Uhrenindustrie mit einer Absatzkrise grösseren Ausmasses konfrontiert, ein Exportrückgang im zweistelligen Prozentbereich für 2016 ist gut möglich, zuletzt gab es im Vallée de Joux Demonstrationen gegen die angekündigten Entlassungen bei Herstellern der Richemont-Gruppe.
Die Unterzeichnung des neuen GAV war denn auch nicht frei von kritischen Untertönen. Beide Seiten liessen nicht unerwähnt, dass die Verhandlungen bisweilen «schwierig» gewesen seien. Sie dauerten zehn Sitzungen à sieben bis acht Stunden, verteilt über elf Monate. Das ist länger als letztes Mal, aber auch nicht exorbitant lang. Insgesamt wurden 43 Forderungen verhandelt, wovon 17 umgesetzt wurden. Elisabeth Zölch, Präsidentin des Arbeitgeberverbands der Uhrenindustrie (Convention Patronale, CP), redete schliesslich der Gewerkschaft ins Gewissen:«Wir sind uns bewusst, dass es die Aufgabe der Gewerkschaft ist, die Interessen der Arbeitnehmenden zu verteidigen. Das rechtfertigt aber nicht alles.»Zum Beispiel? «Es rechtfertigt nicht, am Nachmittag einen Sozialplan zu bekämpfen, der noch am Vormittag gutgeheissen wurde, und es rechtfertigt auch nicht die Drohung, die Zivilgerichte anzurufen, wenn im GAVandere Verfahren vorgesehen sind.»
Pierluigi Fedele, Verantwortlicher für die Uhrenindustrie bei der Unia, verhehlte nicht, dass die Sozialpartnerschaft im derzeit schwierigen Umfeld auch mal Spannungen ausgesetzt sein könnte:«Wir sind loyal zum Sozialpartner, aber manchmal hart und widerständig.»Und: «Die neue Vertragsfassung wird sich ab Anfang des nächsten Jahres mit den Gegebenheiten vor Ort messen müssen.»

«Weder Sieger noch Verlierer»
Mit dem Verhandlungsergebnis zeigen sich aber beide Seiten zufrieden. Die Uhrenbranche gehe mit gutem Beispiel voran, betonte Fedele, und Zölch sagte, der Arbeitgeberverband sei «glücklich und zufrieden». Der neue Gesamtarbeitvertrag bringt Verbesserungen für beide Seiten (siehe Infoboxen). Im Grunde ist es so, dass Arbeitnehmer von sozialen Verbesserungen profitieren, die Betriebe von höherer Flexibilität, etwa was die maximal zulässige Dauer von befristeten Arbeitsverträgen betrifft. Elisabeth Zölch sagte denn auch, dass es «weder Sieger noch Verlierer» gebe: «Es gibt ganz einfach zwei Partner, die fair miteinander diskutiert haben.» In der gemeinsamen Medienmittelung der Sozialpartner heisst es: «Gewerkschaft und Arbeitgeber haben mit dem neuen GAV in einer Periode, in die Branche starken Turbulenzen unterworfen ist, einen modernen Vertragstext vorgelegt, der auf einem ausgewogenen Kompromiss zwischen sozialen Fortschritten und der Bewahrung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen beruht.»

Nicht allgemeinverbindlich
Dem neuen Gesamtarbeitsvertrag unterstehen 85 Prozent der Arbeitsverhältnisse und etwa 70 Prozent der Betriebe der Branche. Er ist nicht allgemeinverbindlich, was seitens der Gewerkschaft bedauert wird. François Matile, Sekretär der CP, erinnerte dagegen daran, dass im Baugewerbe viele Arbeitskonflikte ausgetragen würden, obwohl ein allgemeinverbindlicher GAV gelten würde. Der GAVfür die Uhrenbranche tritt am 1. Januar in Kraft und gilt für fünf Jahre.

 

 

Verbesserungen für Arbeitnehmer (Auswahl):
- Erhöung des Arbeitgeberbeitrags an die Krankenkassenprämien
- Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs von fünf auf zehn Tage ab dem 2. Kind
- Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs auf 18 Wochen, die zu 100 Prozent bezahlt werden
- Unterstellung des GAV unter Anhang 1 des GAV Personalverleih; die Bedingungen bezüglich Lohn und Arbeitszeiten sind für festangestellte und temporäre Arbeitnehmer gleich

 

Verbesserungenfür Betriebe (Auswahl):
- Erhöhung der Maximaldauer von befristeten Arbeitsverträgen von 12 auf 24 Monate
- Änderung der Dauer des Kündigungsschutzes bei Krankheit oder Unfall im ersten Dienstjahr
- Einsatz des Bandbreitenmodells in wirtschaftlich schlechten Zeiten und Möglichkeit für die Arbeitnehmer, fehlende Arbeitsstunden unter der Woche oder auch am Samstag nachzuholen
- Präzision zu den Mindestlöhnen, die als Grenze zwischen dem, was missbräuchlich und erlaubt ist, definiert werden

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