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Haustiere

Landet der Coronahund im Heim?

Noch nie wurden so viele Haustiere gekauft wie während der Pandemie. Doch manch einer könnte jetzt des neuen Begleiters überdrüssig werden, fürchten Tierliebhaber aus der Region.

Die Seedorfer Hundeerzieherin Jenny Willi hat momentan alle Hände voll zu tun. Bild: Anne-Camille Vaucher
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Manuela Schnyder

Sich um einen Hund zu kümmern, das geht im Homeoffice viel besser als im Büro. Spazieren gehen, Streicheleinheiten oder Trainings und Pflegezeit lassen sich zwischen der Arbeit zuhause leichter organisieren. Zudem tut das Gassigehen auch der eigenen Gesundheit gut. Und nicht nur das: «Vielen Menschen fehlte zudem der soziale Austausch. Sie fühlten sich zuhause alleine und suchten Gesellschaft und eine Beschäftigung», erklärt etwa Conny Willi von der Labrador-Zucht «Traumhund.jetzt» in Seedorf.

Bis zu zehn Anfragen hätten sie im letzten Jahr wöchentlich per Mail oder Telefon beantwortet. Die Anfragen seien damit regelrecht explodiert und die Warteliste reiche bereits bis ins Jahr 2025. Erst mit den jüngsten Lockerungen und der Aufhebung der Homeoffice-Pflicht ist die Mailbox nicht mehr ganz so voll. Auch das Tierheim Rosel in Brügg konnte angesichts der vielen Anfragen längst nicht mehr alle Tierwünsche bedienen: «Wir haben sehr stark gemerkt, dass die Leute mehr freie Zeit haben», sagt Alexandra Spring. Insgesamt rund 50 Prozent mehr Anfragen verzeichnete das Heim für Hunde und andere Tiere im letzten Jahr.

Sehr viele Spontankäufe

Die Tierheime hatten insgesamt noch nie so wenig Tierbestände wie während der Pandemie. Zwar waren auch Hasen, Meerschweinchen oder beispielsweise Fische beliebter in der Coronazeit als in anderen Jahren. Es waren aber vor allem Hunde und Katzen, die im letzten Jahr deutlich häufiger ein neues Zuhause gefunden haben (siehe Infobox). Gemäss der nationalen Tierdatenbank Amicus wurden in der Schweiz fast 12 000 Hunde neu registriert, mehr als doppelt so viel wie im Vorcoronajahr. Bis Ende Juni sind bereits wieder knapp 6700 neu registrierte Vierbeiner dazu gekommen: «Wir finden das nicht gut», sagt dazu Conny Willi. Das könne einige Züchter dazu verleiten, ihre Hündinnen zu oft zu «decken». In Seedorf wird die Hündin nämlich nur bei jeder zweiten Läufigkeit gedeckt, also anstatt alle 10, alle 20 Monate, damit sich die Hündin nach der Geburt auch genügend erholen kann. «Wir werden das jetzt nicht ändern, trotz der hohen Nachfrage», betont die Tierliebhaberin.

Sorgen machen den Anbietern vor allem die vielen Menschen, die sich kurzerhand für einen Hundekauf entschlossen haben: «Wir hatten teilweise Anfragen von Leuten, die wollten am liebsten schon am nächsten Tag einen Labrador. Wir haben die Hunde aber nicht im Gefrierfach», sagt die Züchterin. Das Problem dabei ist nicht nur, dass landesweit für die gewünschten Rassen gar nicht so viele Welpen zur Auswahl stehen, sondern auch, dass sich die Leute zu wenig über 
die Hundehaltung informieren: «Welche Art Hund passt zu mir? Was mache ich, wenn ich wieder ins Büro muss? Wohin gebe ich den Hund, wenn ich in die Ferien will? Auf diese Fragen hatten einige keine Antwort», sagt sie. So braucht beispielsweise ein Jagdhund viel mehr Bewegung und Erziehungsarbeit als andere Rassen, weshalb ein solcher Hund für weniger aktive Menschen nicht geeignet ist: «Zudem braucht ein Welpe gerade im ersten Jahr viel Aufmerksamkeit und Betreuung, das darf man nicht unterschätzen», sagt Conny Willi.

Auch Alexandra Spring vom Tierheim Rosel sagt: «Wir haben oft gemerkt, dass die Leute eher spontan einen Hund wollen, sich aber noch gar nicht viele Gedanken darüber gemacht haben, was das dann bedeutet. Einigen mussten wir daher absagen», erzählt die Tierpflegerin.

Hundeschulen gut besucht

So braucht ein Hund sowohl die nötige Aufmerksamkeit als auch finanzielle Ressourcen für Futter, Tierbedarf oder medizinische Betreuung: «Eine Operation kostet schnell mal 1500 Franken oder mehr», erklärt Spring. Die Unterhaltskosten sind dabei um einiges höher als der Anschaffungspreis. So kostet ein geimpfter, gechippter, kastrierter und entwurmter Hund im Tierheim rund 600 Franken, eine Katze um die 250 Franken.

Wenn die Leute beim Tierheim oder bei der Züchterin abgewiesen werden, suchen sie oft auf Plattformen wie anibis.ch oder tutti.ch nach einem Hund oder einer Katze, deren Anbieter typischerweise weniger Fragen stellen. «Es würde mich nicht wundern, wenn in den Heimen bald wieder mehr solche Coronatiere abgegeben werden», sagt dazu Conny Willi.

Auf diesen Internetportalen werden übrigens auch Welpen aus sogenannten Qualzuchten angeboten, die in der Schweiz verboten sind. Waren es früher Möpse oder Bulldoggen mit ihren zu kurzen Nasen, die dem Tier gerade bei diesen Temperaturen das Atmen erschweren, sind laut Spring heute die sogenannten American Bullys im Trend. Das sind die breitbeinigen, extrem muskulösen Hunde, die es von pocketsize, also Taschengrösse, bis zu 50 Kilo schweren grösseren Exemplaren zu kaufen gibt: «Die sind so muskulös herangezüchtet, dass die Gelenke die Muskelmasse kaum mehr tragen können, weshalb sie sehr anfällig auf Hüftprobleme und Kreuzbandrisse sind. Das muss dann oft teuer operiert werden», erklärt Spring.

Nicht alle spontan gekauften Hunde dürften im Tierheim landen: «Es gibt durchaus Leute, die zwar die Hundehaltung unterschätzt haben, sich aber im Nachhinein sehr bemühen und dafür auch viel Geld in die Hand nehmen.» Das kann beispielsweise Tochter Jenny bestätigen, die als Hundeerzieherin in der gleichnamigen Seedorfer Hundeschule unterrichtet: «Wir haben sowohl in den Vierergruppen mehr Kunden wie insbesondere auch bei den teureren Einzelstunden», erklärt sie. Problematisch sei nämlich auch gewesen, dass die Hundeschule während der Lockdowns schliessen musste und die vielen gekauften Welpen keine professionelle Erziehung geniessen konnten.

Den landesweiten Hundeboom spürten nicht zuletzt auch die Verkäufer von Tierfutter und Tierzubehör: Der Umsatz sei im letzten Jahr überdurchschnittlich gewachsen, sagt beispielsweise Eveline Stocker von Fressnapf Schweiz, ohne dabei konkrete Zahlen nennen zu wollen. Stark gewachsen ist dabei vor allem der Onlinehandel, wie die Sprecherin sagt. Und auch sie betont: «Wir können nur hoffen und an den Verstand appellieren, dass diejenigen, die sich in der Coronazeit Haustiere angeschafft haben, sich auch weiterhin um das Wohlwollen des eigenen Tiers kümmern.»

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