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Berufsbildung

Nicht nur das Schulzeugnis zählt

Die Swatch Group erhält morgen den «Grossen Preis der Berufsbildung». Sie setzt sich vorbildlich für gut ausgebildete Fachkräfte ein. Ein Augenschein mit Ausbildungsleiter Reto Kohli.

Reto Kohli (stehend), Ausbildungsleiter der Swatch Group, begutachtet die Arbeit von Uhrmacherlehrling Lukas Hafner. Carole Lauener

Tobias Graden

Lukas Hafners Augen blicken konzentriert hinter der Schutzbrille auf die Achse, die vor ihm in einer kleinen Drehbank eingespannt ist. In der Hand hält Hafner eine Feile, mit ihr bearbeitet er das Stück. «Der letzte Zehntel wird von Hand bearbeitet», erklärt der angehende Uhrmacher-Praktiker im zweiten Lehrjahr, «die Oberfläche wird so schöner.» Satinieren lautet der Fachbegriff für diese Oberflächenbehandlung, «das ist sozusagen eins weniger als Polieren».

Reto Kohli lächelt ob der salopp formulierten Definition des Arbeitsschrittes. Inhaltlich korrekt ist sie allemal, und Hafner macht wie die anderen Lernenden um ihn herum einen zweifellos motivierten Eindruck.

«Dringend nötig»

Hafner satiniert im zweiten Stock in der Lehrwerkstätte der Uhrwerkherstellerin ETA SA in Grenchen, er ist einer von rund 450 Lernenden in der Swatch Group. Kohli ist der Ausbildungsleiter des Uhrenkonzerns. Dass die Swatch Group vorbildlich ausbildet, trägt ihr morgen den «Grossen Preis der Berufsbildung» ein, den nationalen Anerkennungspreis der Hans-Huber-Stiftung (HHS) und des Swiss Venture Clubs. HHS-Präsident Christian Fiechter nennt zwei Hauptgründe für diese Auszeichnung: «Die Swatch Group setzt sich seit vielen Jahren vorbildlich und nachhaltig für gut ausgebildete Fachkräfte ein. Das hat die Uhrenindustrie dringend nötig, und davon profitieren auch andere Wirtschaftszweige.»

Der grosse Fachkräftebedarf in der Uhrenbranche ist Folge der weltweit gestiegenen Nachfrage nach Schweizer Uhren. Die Zahl der Arbeitnehmer in der Branche ist denn auch markant gestiegen, um rund 20 000 in den letzten 13 Jahren (Stand Ende 2013), wie der Arbeitgeberverband der Schweizerischen Uhrenindustrie in seiner letzten Personalerhebung festhielt.

Entsprechend ist auch bei der Swatch Group nicht nur die Zahl der Mitarbeiter, sondern auch der Lernenden deutlich gestiegen. Laut Reto Kohli sind es alleine dieses Jahr 50 mehr als 2013, gegenüber 2011 beträgt die Zunahme 130 Lernende. «Die Tendenz ist klar», sagt Kohli, «aber wir sind noch nicht ganz dort, wo wir sein wollen.»

Die Richtigen finden

Die eigentlichen Uhrmacher machen aber «nur» 20 Prozent der Lernenden in der Swatch Group aus, «und in diesem Bereich sind wir auch gut aufgestellt», sagt Kohli. 44 Prozent der Lernenden entfallen auf den Bereich Teilefertigung, es sind also Produktions-, Mikro- und Polymechaniker. Gesucht seien zurzeit vor allem auch Lernende, die den Beruf des Oberflächenbeschichters ergreifen wollen – weil dieser bislang als «Galvaniker» bezeichnet wurde, muss er unter den Lehrstellensuchenden erst wieder richtig bekannt gemacht werden. Oder die Detailhandelsfachleute: Weil die Swatch Group zunehmend die Verkaufsstellen selber betreibt, benötigt sie dafür auch qualifizierten Berufsnachwuchs – zumal die Produkte, wie Kohli betont, kompetente Kommunikation für den Verkauf benötigten.

Die Herausforderung besteht aber laut Kohli nicht allein darin, möglichst viele Lernende zu finden, sondern die richtigen – und das sind nicht zwingend immer jene Jugendlichen mit den besten Schulzeugnissen. «Wichtiger als die Sechser im Zeugnis ist die Motivation für den Beruf und die Lehre», sagt Reto Kohli.

Wer diese mitbringt, hat auch eher den Biss, die Anforderungen der Lehre zu bestehen – Kohli hat durchaus schon erlebt, dass Lernende mit guten schulischen Voraussetzungen die Lehre nach zwei Jahren abgebrochen haben.

Es ist denn auch ein wichtiges Kriterium für die Preisvergabe, dass Angestellte mit nichtakademischem Hintergrund im Unternehmen Karriere machen können. Bei der Swatch Group ist dies der Fall. Pierre-André Bühler zum Beispiel führt die ETA, ist Konzernleitungsmitglied und hat selber mit einer Mechanikerlehre seine Laufbahn gestartet. Damit ist er in der Führungsriege nicht allein: Mehr als die Hälfte der Konzernleitung der Swatch Group hat eine Lehre absolviert.

Kohli betont einen weiteren Aspekt: «Für Innovation braucht es nicht nur Ingenieure, sondern auch ‹normale› Berufsleute mit grosser Erfahrung.» Und schliesslich erfolge die Wertschöpfung bei den gut ausgebildeten Berufsleuten: «Sie ermöglichen die Produktion in der Schweiz.»

Aufenthalt in Hongkong

Dass der Swatch Group die Lernenden wichtig sind, zeigt sich auch an der Tatsache, dass sich Konzernchef Nick Hayek jedes Jahr Zeit nimmt, die Lernenden des ersten Ausbildungsjahres im einwöchigen Lehrlingslager zu besuchen und mit ihnen zu reden. «Hayek ist präsent, er will wissen, was in den Lehren passiert», bestätigt Kohli.

27 Lehrberufe bietet der Konzern zur Ausbildung an, gelehrt wird in insgesamt 31 Firmen. An mehreren Standorten unterhält die Gruppe Lehrwerkstätten wie in der ETA in Grenchen. Und manche Lernende werden schon früh für das internationale Umfeld ihrer Branche sensibilisiert: Dieses Jahr startete ein Pilotprojekt, das einer Uhrmacherin und einem Uhrmacher im vierten Lehrjahr einen dreimonatigen Aufenthalt in Hongkong ermöglichte – das Austauschprogramm soll ausgebaut werden.

Lukas Hafner hat unterdessen die Bearbeitung der Achse fast abgeschlossen. Ihn muss Kohli nicht mehr vom Ausbildungsweg der Berufslehre überzeugen. Hafner dürfte aber froh sein, ist er heute ein Lernender und nicht vor 25 Jahren, als es noch gang und gäbe war, die Einsteiger erst mal wochenlang am gleichen Stück feilen zu lassen. Reto Kohli beteuert: «Diese Zeiten sind vorbei.»

 

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