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Frauenstreik

Obwohl Frau will, steht Biel nicht still

Gewerkschaften rufen Frauen auf, am 14. Juni ihre Arbeit niederzulegen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Biels Alltagsbetrieb wird deshalb allerdings kaum tangiert.

Frauen zeigen das Feminismus-Zeichen an der kollektiven Aktion im März im Bieler Volkshaus. Bild: Keystone
  • Dossier

Manuela Schnyder

Am 14. Juni ist es soweit: Schweizweit werden Frauen mit Plakaten durch die Strassen ziehen, um für mehr Lohn, Respekt und Zeit zu demonstrieren. Sie wollen damit unter anderem zeigen, dass «ohne die sichtbare und unsichtbare Arbeit der Frauen nichts mehr läuft». So heisst es auf der Webseite der Gewerkschaften für den Frauenstreik am 14. Juni 2019. In der Realität dürfte der Frauenstreik aber kaum relevant auf die Wirtschaft durchschlagen.

«Unsere Mitarbeiterinnen dürfen selbstverständlich an der Kundgebung teilnehmen, sofern sie dies in ihrer freien Zeit tun, das heisst in Absprache mit den Vorrgesetzten einen Ferientag beziehen oder ausserhalb ihrer Arbeitszeit teilnehmen», sagt etwa Mediensprecherin  Andrea Bauer von der Migros Genossenschaft Aare und ergänzt: Priorität habe in jedem Fall die Sicherstellung der Kundenbedürfnisse. Die Teilnahme werde ermöglicht, sofern der Normalbetrieb im Betrieb aufrechterhalten bleibt.

Solange der Betrieb läuft
Nicht nur bei der Migros gelten diese Vorgaben. Auch bei Coop, Manor, Loeb oder dem Kiosk-Betreiber Valora heisst es, eine Teilnahme sei möglich, werde aber als Freizeit deklariert und müsse mit dem Vorgesetzten abgesprochen werden, damit keine personellen Engpässe entstünden. Dass die Detailhändler nicht der gesamten weiblichen Belegschaft den Tag zum Streik freigeben, liegt auf der Hand. Mit einem Anteil von 60 bis 90 Prozent in den Bieler Filialen würde der komplette Verzicht auf die weiblichen Arbeitskräfte den Geschäftsbetrieb lahmlegen. Und nicht nur dort. Bei den Reisebüros beispielsweise ist der Frauenanteil noch höher. In den Bieler Geschäften von Globetrotter und des Reiseanbieters TUI wären die Beratungstische am 14. Juni komplett verwaist, denn dort liegt der Frauenanteil bei 100 Prozent, weshalb ihre Mitarbeiterinnen wohl kaum mitstreiken werden: «Die Filial- und Abteilungsleiter entscheiden, ob eine eventuelle Abwesenheit aufgrund der Einsatzplanung möglich ist», sagt  Globetrotter-Mediensprecherin  Sandra Studer. Für alle Mitarbeitende sei es aber selbstverständlich, dass der Service am Kunden an diesem Tag wie gewohnt sichergestellt werde.

Für die Swisscom sind die für den 14. Juni geplanten Veranstaltungen derweil schon gar nicht als Streik zu werten, wie Mediensprecherin Sabrina Hubacher schreibt. Man gehe davon aus, dass die Mitarbeitenden ihre Teilnahme an Aktionen am Frauenstreiktag mit ihren Vorgesetzten abstimmten. Auch auf den üblichen Busverkehr müssen die Bieler nicht verzichten. Die Aufrechterhaltung des regulären Betriebs werde auch am 14. Juni Priorität haben, sagt Mediensprecherin Tina Valentina von den Bieler Verkehrsbetrieben. Konkret können die Mitarbeiterinnen die Teilnahme am Streik bis am 29. Mai bei den Vorgesetzten anmelden.  Die Geschäftsleitung behalte sich aber das Recht vor, bei Bedarf die Anwesenheit bestimmter Mitarbeitender zu diesem Zeitpunkt einzufordern.  

Besonders kritisch wäre ein geschlossener Frauenstreik im Gesundheitswesen. Mit einem Frauenanteil von mehr als 75 Prozent könnte das Spitalzentrum in Biel nämlich  die medizinische Versorgung nicht mehr garantieren. So dürfen auch dort nur diejenigen Pflegerinnen, Chirurginnen oder Sanitäterinnen am nationalen Aktiontag teilnehmen, die nicht im Einsatzplan eingetragen sind, wie Kommunikationschefin Marie-Pierre Fauchère sagt.

In der Finanzbranche wie etwa bei der UBS, Credit Suisse, der Mobiliar oder bei der Axa müssen die Mitarbeiterinnen ebenfalls einen Ferientag opfern oder Überstunden kompensieren, wollen sie sich mit den Streikenden solidarisieren. Allerdings scheint das Interesse daran gar nicht mal so gross: Bisher hätten keine Mitarbeiterinnen signalisiert, am Frauenstreik teilnehmen zu wollen, sagt etwa Mediensprecher Jürg Thalmann von der Mobiliar.   

Es drohen Sanktionen
Auch wenn die Unternehmen den Forderungen der Frauen allesamt grosse Bedeutung beimessen, in dem sie auf andere Massnahmen hinweisen wie etwa interne Kontrollstellen oder eigene Aktionen an diesem Tag planen wie etwa im Spitalzentrum, wo Ärztinnen zu Themen wie Karrierechancen oder Frauengesundheit sensisbilisieren, wäre die komplette Absenz der weiblichen Angestellten für viele Betriebe nicht tragbar. So werden Frauen auch am 14. Juni für einen reibungslosen Arbeitstag in Biel sorgen, ob sie wollen oder nicht. Denn in den Tarifverträgen gilt generell eine so genannte Friedenspflicht, die Kampfmassnahmen wie Streiks untersagt. Darauf verweisen praktisch alle angefragten Unternehmen. Zum Beispiel auch der Arbeitgeberverband der Uhrenindustrie, der die Handhabung am Frauenstreiktag für die Uhrenhersteller wie Swatch Group kommuniziert. Man habe die Unternehmen daran erinnert, dass ein Streik illegal wäre, sagt Generalsekretär François Matile. Arbeitnehmerinnen, die teilnehmen, dürften sanktioniert werden.

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Arbeitspflichtwird verletzt
Wer am Frauenstreik teilnimmt, der verletzt die Arbeitspflicht. Das sagt Rechtsprofessor Thomas Geiser von der Universität St. Gallen und erklärt: Der Frauenstreik sei kein Streik im Rechtssinne, unter anderem deshalb nicht, weil es nicht um einen Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrags geht. Somit sei die Arbeitgeberin für diese Zeit nicht verpflichtet, einen Lohn zu bezahlen. Die Vertragsverletzung sei allerdings kaum genügend schwer, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. msd

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