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Reisebranche

Regen treibt die Leute ans Meer

Weil die Schweiz von Dauerregen geplagt ist, werden die regionalen Reisebüros von spontanen Reiselustigen überrannt. «Wir erwarten ein starkes Sommergeschäft», sagt eine Sprecherin.

Deutlich angenehmer als die nasse Schweiz: Viele Bielerinnen und Seeländer buchen kurzfristig Badeferien am Mittelmeer. Bild: Keystone

Manuela Schnyder

Regen, Regen und nochmals Regen. Die letzten Tage und Wochen wurde die Schweiz mehrfach von Unwettern und sintflutartigen Regengüssen heimgesucht. Der Juli präsentiert sich bislang ebenso nass. Gleichzeitig stehen bei vielen Bielerinnen und Seeländern die Ferien vor der Tür. In den Schweizer Bergen wandern oder am See campieren zu gehen, stellt man sich so aber eher ungemütlich vor: «Wir haben in den letzten drei Wochen viele kurzfristige Anfragen, die auf das schlechte Wetter zurückzuführen sind, insbesondere von jungen Paaren und Familien mit Kindern», sagt Simone Berchtold, Leiterin der Kuoni-Filiale in Biel.

Beliebt sind vor allem Strandferien auf den griechischen Inseln wie Kreta, Kos oder Rhodos, den Balearen wie Mallorca und in Italien, wie Berchtold ausführt. Sowohl Flug- und Autoreisen als auch Zugreisen seien im Vorjahresvergleich stark gestiegen. Auch bei anderen Reisebüros werden die Angestellten derzeit von vielen kurzentschlossenen Regenflüchtigen überströmt: «Wir haben momentan einen Buchungsboom», sagt Bianca Gähweiler von Hotelplan. Sei das Wetter trüb und nass, steige auch die Lust nach Ferien im Ausland.

Wie die Reiseexperten erklären, liegt der aktuelle Strandferienboom aber nicht nur am Dauerregen: «Viele sind seit über einem Jahr nicht mehr in die Ferien gereist. Der Nachholbedarf ist enorm», sagt Constanze Andrianello von Tui.

Vergleich mit normalem Jahr

Angesichts der besseren epidemiologischen Lage und der steigenden Zahl an geimpften und genesenen Personen ist die Hemmschwelle für Auslandreisen im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Gleichzeitig haben viele Länder vor allem in Europa ihre Einreisebestimmungen gelockert: «Viele beliebte Reiseziele sind nun wieder zugänglich», sagt Constanze Andrianello von Tui. Neben den Pauschalarrangements mit Fokus auf Erholung sowie Sonne und Meer auf den Inseln rund um Griechenland und Spanien seien etwa auch Ferien mit dem Auto oder Camper in die nahe gelegenen Länder Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich und Kroatien momentan sehr beliebt.

«Wir erwarten ein kurzfristiges, aber starkes Sommergeschäft», freut sich die Tui-Sprecherin. Und nicht nur die Aussicht lässt ein solches erwarten. Bei Tui zählt die erste Junihälfte zu den buchungsstärksten Phasen seit Beginn der Pandemie. An einzelnen Tagen hätten die Buchungseingänge sogar ein Niveau vergleichbar zu einer Hochbuchungsphase im Jahr vor der Pandemie erreicht. Ähnlich beschreibt Hotelplan die Lage: Beim Reiseanbieter haben seit Anfang Juni knapp 50 Prozent mehr Personen ihre Ferien im erweiterten Mittelmeerraum gebucht im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019. «Unsere Kundinnen und Kunden haben aber auch unabhängig vom Wetter grosse Lust ins Ausland zu reisen, denn viele von ihnen haben die letzten eineinhalb Jahre ausschliesslich in der Schweiz verbracht», betont auch Gähweiler die grosse Nachfrage nach Sonne, Strand und Meer.

Trotz des Ansturms bei den Badeferien dürfte das Gesamtgeschäft der Reisebüros unterdurchschnittlich bleiben: «Die Reiselust der Kundinnen und Kunden ist spürbar gross. Das Vor-Corona-Niveau in diesem Sommer zu erreichen, ist aber nicht realistisch», relativiert etwa Simone Berchtold von Kuoni. Der Grund: Viele Langstreckendestinationen sind noch immer geschlossen und Hotels dürfen teilweise noch nicht voll ausgelastet werden.

Lukrative Fernreisen fehlen

So bleiben nach wie vor etliche Regionen der Welt unzugänglich: «Viele beliebte Reiseziele wie Australien, Neuseeland oder asiatische Länder sowie die USA und Kanada können auch weiterhin nicht bereist werden», sagt Renate Aeschlimann von Globetrotter in Biel. Der Spezialist für Reisen in entferntere Regionen der Welt rechnet daher auch in diesem Jahr mit 70 Prozent weniger Umsatz als in normalen Jahren. Man habe zwar einige Buchungen beispielsweise nach Afrika, wie kürzlich eine Badeferienbuchung auf Sansibar oder eine Reise nach Namibia, sagt sie. Auch europäische Destinationen oder einige süd- und mittelamerikanische Länder wie Costa Rica, Panama oder Mexiko könnten gebucht werden. «Viele Kundinnen und Kunden warten jedoch die Lockerungen für ihre Wunschdestination ab.»

Walter Kunz vom Schweizer Reiseverband (SRV) relativiert ebenfalls: «Badeferien sind ein Tiefpreisgeschäft. Die für die Reisebüros lukrativen Fernreisen unter anderem in die USA oder Kanada fehlen weiterhin.» Wie der SRV-Geschäftsführer erklärt, ist die Branche von tiefen Margen geprägt. So habe ein durchschnittliches Reisebüro 3,4 Mitarbeiter und mache pro Mitarbeiterin rund eine Million Franken Umsatz im Jahr, also 3,4 Millionen. «Reisebüros verbuchen zwar hohe Umsätze, aber einen kleinen Gewinn», erklärt er weiter. So weist ein Reisebüro typischerweise eine Netto-Umsatzrendite, also ein Verhältnis von Gewinn zum Umsatz, von einem Prozent aus. Dem Reisebürounternehmen bleiben unter dem Strich 34 000 Franken Gewinn. «Buchungen für Strandferien in den Mittelmeerraum helfen natürlich dem Geschäft. Es braucht aber eine weitere Normalisierung auch bei Fernreisen. Ich bin froh, wenn wir dieses Jahr 50 Prozent der normalen Umsätze erreichen.»

Eine Chance für die Reisebüros sieht Kunz aber im Wirrwarr an unterschiedlichen und volatilen Einreisebestimmungen der verschiedenen Länder: «Die Leute haben einen grossen Informationsbedarf. Man weiss nicht so genau, was man wo benötigt, um einreisen zu können. Am Flughafen in Zürich sind im letzten Monat Hunderte Reisende gestrandet, weil sie nicht die entsprechenden Dokumenten dabei hatten», sagt Kunz. Man sei daher momentan besser bedient, über ein Reisebüro zu buchen als auf eigene Faust.

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