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Krebsmedikamente

Roches Dominanz droht zu enden

Dank der US-Tochter Genentech dominierte der Basler Pharmariese jahrelang das Geschäft mit Mitteln gegen Krebs. Nun verliert der Konzern in seiner Paradedisziplin spürbar an Boden.

Bisher führend in der Immunonkologie: Ein Produktionsbetrieb der Roche in Kaiseraugst. Bild: Keystone
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Holger Alich

Diese Woche ist eine Revolution in der Behandlung von Krebs mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Der Japaner Tasuku Honjo von der Universität in Kyoto und der US-Forscher James Allison von der Uni Houston haben als Erste entdeckt, wie man die Bremsen des Immunsystems des Menschen löst, damit es Krebszellen angreift.

Seit 2011 gibt es erste Medikamente, die auf diesem neuen Ansatz beruhen, der von Experten als Immunonkologie bezeichnet wird. Seitdem ist in der Pharmabranche ein Wettrennen in Gang, wer als Erster für möglichst viele Krebsarten neue Medikamente mit diesem Ansatz auf den Markt bringt. Aus Sicht der Schweiz ist das Ergebnis bisher ernüchternd. Weder Roche noch Novartis zählen zu den führenden Adressen in der Immunonkologie. Das ist besonders bitter für Roche, denn der Basler Pharmariese gilt bisher als die Referenz in Sachen Krebstherapien. Roches weltweite Dominanz im Krebsgeschäft neigt sich nun dem Ende zu.

 

Marktanteil sinkt deutlich
Das zeigt eine Analyse des Datenspezialisten Evaluate Pharma, der die Schätzungen von Analysten zusammenträgt. 2017 hatte Roche mit seinen Bestsellern Herceptin, Avastin und Mabthera noch drei der weltweit fünf umsatzstärksten Krebsmittel. Laut den Daten von Evaluate wird Roches Brustkrebsmittel Perjeta mit geschätzten 4,4 Milliarden Dollar im Jahr 2022 nur noch auf Platz sieben der umsatzstärksten Krebsmittel weltweit sein. Das Immunonkologie-Präparat Keytruda vom US-Konzern Merck & Co. wird dagegen dreimal so viel Umsatz zugetraut.

Da Roche viele Krebsmittel im Portfolio hat, bleibt der Konzern zwar Nummer eins im Krebsgeschäft. Doch der Marktanteil dürfte laut den Daten von Evaluate Pharma dramatisch sinken: von zuletzt 26 Prozent auf weniger als 10 Prozent.

«Roches Dominanz im Krebsgeschäft ist spätestens 2020 vorbei», meint Michael Nawrath, Pharmaspezialist der Zürcher Kantonalbank. «In der Immunonkologie hinkt Roches Wirkstoff Tecentriq der Konkurrenz von Merck und Bristol Myers hinterher und wird auch den Rückstand nicht mehr aufholen», glaubt er.

Roche-Chef Schwan sieht den Zug noch nicht abgefahren. «Ohne Zweifel hat Keytruda einen starken Start, vor allem bei der Behandlung von Lungenkrebs», sagte er vor Kurzem der US-Nachrichtenagentur Bloomberg, «aber das Feld entwickelt sich, und wir wollen ganz klar ein führender Spieler sein.» Laut Roche hat der Konzern derzeit 20 Immunonkologie-Präparate in der Pipeline.

Im Krebsgeschäft hat Roche derzeit zwei Herausforderungen zu meistern: Bis 2020 verlieren die drei Top-Krebsmedikamente Avastin, Herceptin und Mabthera ihren Patentschutz in den USA und Europa. In Europa hat Mabthera bereits Konkurrenz von biotechnischen Nachahmermitteln, sogenannten Biosimilars. Daher gingen in Europa 2017 die Absätze der Pharmasparte um zwei Prozent zurück.

Mit den drei Mitteln allein nahm Roche im vergangenen Jahr fast 20 Milliarden Franken ein – sprich, die drei Mittel sind bisher für fast die Hälfte des Pharmageschäfts von Roche verantwortlich. Bei der Behandlung von Krebs hat Roche aber bisher keine neuen Mittel auf den Markt gebracht, die diese Dominanz langfristig sichern. Das eigene Immunonkologie-Präparat Tecentriq hat bisher enttäuscht.

 

Rückläufige Umsätze erwartet
«Vor allem bei der wichtigen Indikation Lungenkrebs hat Tecentriq bisher nicht die Ergebnisse gezeigt, die man sich erhofft hat», sagt Stefan Schneider, Pharmaexperte der Bank Vontobel. So hatte Roche jüngst auf einer Fachkonferenz in Kanada Studienergebnisse von Tecentriq zur Behandlung von Lungenkrebs vorgestellt, die schlechter ausfielen als jene des Konkurrenzprodukts Keytruda von Merck & Co., das bereits im wichtigen US-Markt über eine vorläufige Zulassung verfügt. Will Roche hier aufholen, müsste Tecentriq eine bessere Wirksamkeit zeigen.

Roche selbst rechnet nicht damit, dass seine neuen Krebspräparate wie Tecentriq und Alecensa das Umsatzloch werden stopfen können, welche der Verlust des Patentschutzes von Avastin, Herceptin und Mabthera reissen wird. Konkret rechnet Roche laut einer Investorenpräsentation damit, dass bis 2022 durch Nachahmermedikamente dem Konzern Umsatz von rund 10 Milliarden Dollar verloren geht. Gut 40 Prozent soll mit Verkäufen neuer Krebsmittel wie Tecentriq und Alecensa aufgefangen werden.

Der überwiegende Teil der neuen Einnahmen stammt von Medikamenten in anderen Behandlungsfeldern wie dem Mittel gegen die Nervenkrankheit multiple Sklerose, Ocrevus, und dem Mittel für Patienten mit der Bluterkrankheit, Hemlibra. Sprich: Roche kann die Umsatzrückgänge durch Patentabläufe voraussichtlich ausgleichen. Die Gewichte verschieben sich aber weg vom Krebsgeschäft.

«Es stimmt, dass die Umsätze unserer Onkologieprodukte in den kommenden Jahren wegen Patentabläufen rückläufig sein werden. Dank unserer breiten Pipeline sind wir aber zuversichtlich, dass wir mittelfristig eine führende Rolle im Geschäft mit Krebsmitteln behalten werden», sagt Konzernsprecher Nicolas Dunant.

Vontobel-Experte Schneider kann der Gewichtverschiebung etwas Positives abgewinnen: «Unter dem Strich wird Roche weniger abhängig vom Krebsgeschäft, was ich für eine gute Entwicklung halte.»


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Übersicht

Die weltweit grössten Hersteller von Krebsmedikamenten

Umsatz von Krebsmitteln in Milliarden Dollar, Marktanteil in Prozent

Quelle: Evaluate Pharma

 

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Was ist eigentlich Immunonkologie

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