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Affolter Technologies SA

Shanghai statt Malleray

Jordane Neukomm aus Sornetan hat gerade seine Ausbildung zum Polymechaniker abgeschlossen. Als Belohnung für seine hervorragenden Leistungen darf der junge Mann ein zweimonatiges Praktikum in China absolvieren.

Jordane Neukomm ist einer von vier jungen «Auserwählten», die zur Weiterbildung nach China geschickt werden. Bruno Payrard

Philippe Oudot/pl

Kaum aus der Lehre und schon in der grossen weiten Welt: Der 20-jährige Jordane Neukomm aus dem bernjurassischen Sornetan hat soeben den Fähigkeitsausweis als Polymechaniker mit Fachrichtung Décolletage erworben. Seine Ausbildung beim Maschinenhersteller Affolter Technologies SA in Malleray hat er mit einem hervorragenden Abschluss gekrönt.

Als Belohnung für seinen Fleiss darf Neukomm nun ein zweimonatiges Praktikum in China absolvieren. Vor zehn Tagen bestieg er in Genf gemeinsam mit drei anderen jungen Auserwählten die Maschine der Air China nach Peking. Dann ging es weiter nach Shanghai, wo das eigentliche Abenteuer begann.

Gegen überholtes Bild

Die drei Schweizer Studierenden und der erwähnte Lehrabgänger aus dem Berner Jura wurden im Rahmen des Wettbewerbs ICL-Cup (siehe Zweittext rechts) aus 257 Kandidierenden für den Aufenthalt in der chinesischen Wirtschaftsmetropole auserwählt.

Vor der Abreise hatte der Lehrbetrieb im Beisein von Jordane Neukomm die regionalen Medien nach Malleray geladen, um über das Projekt zu berichten.

Unter den Referenten befanden sich Nicolas de Toledo, Veranstalter der Praktikumsaufenthalte in China, sowie Dominique Lauener, Verwaltungsratspräsident des Mikrotechnik- und Präzisionsteileherstellers LX Precision Shanghai. Diese Firma mit Schweizer Wurzeln wird Neukomm während seiner Zeit in Asien betreuen.

Nicolas Curty, Geschäftsführer von Affolter Management – der Führungs- und Verwaltungssparte der gleichnamigen Firmengruppe – schilderte die Vorgeschichte: Im vergangenen Jahr hatte er im Swiss Center in Shanghai vom ICL-Cup erfahren. Die Organisation suchte noch Partner. «Als Ausbildungsbetrieb mit Schwerpunkt auf technischen Berufen waren wir spontan an einer solchen Partnerschaft interessiert», so Curty.

Der Verantwortliche von Affolter Management sieht in diesen Berufspraktika eine gute Gelegenheit, die technischen Berufe besser bekannt zu machen. «Das überholte Bild des Fabrikarbeiters mit dreckigen Fingern muss endlich aus den Köpfen des Publikums verschwinden», sagte Curty. Hierfür müssten die Berufe der Spitzenindustrie ins rechte Licht gerückt werden, «denn ihnen gehört die Zukunft». Gerade im Jurabogen entfalle eine von zwei Arbeitsstellen auf den Hightech-Sektor, und dessen Produkte würden in die ganze Welt exportiert, so der Geschäftsführer. Um dieses Kapital zu erhalten, müssten die Unternehmer die Ausbildung junger Menschen mit Nachdruck fördern. «Genau aus diesem Grund engagieren wir uns für die Praktika in China, denn diese zeigen den jungen Berufsleuten interessante Perspektiven auf», so Curty.

Angst vor dem Unbekannten

Klar freute sich Jordane Neukomm anfangs auf die grosse Reise in das ferne Land, aber als der Termin näher rückte, beschlich ihn ein unbehagliches Gefühl, eine Angst vor dem Unbekannten. Dann aber hätten ihm Arbeitgeber und Freunde Mut gemacht: «Diese Chance bekommst Du nur ein Mal im Leben», sagten sie. Zudem habe ihn ein junger Schweizer, welcher bereits bei LX Precision in Shanghai arbeitet, ermuntert, den Schritt zu wagen, erklärte Neukomm an der Medienorientierung.

Der junge Mann hat während der Lehre die Berufsmatura erworben und ist mittlerweile überzeugt, dass ihm der China-Aufenthalt viele Türen für seine berufliche Laufbahn öffnen wird. Heute weiss er noch nicht so genau, wohin die Reise geht: «Vielleicht werde ich eine weiterführende Ausbildung an einer technischen Hochschule machen, aber im Moment ist alles noch offen.»

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Mit Berufspraktikum Interesse für China wecken

Integrate Chinese Life (ICL) ist ein Veranstalter von Praktikums- und Studienenthalten in China. Geschäftsführer Nicolas de Toledo verfügt selbst über eine breite China-Erfahrung, denn seit dem 19. Lebensjahr hatte er dort mehrere Jahre gelebt und deshalb beherrscht er auch die chinesische Sprache. Gemeinsam mit mehreren Partnern lancierte de Toledo dieses Jahr den ICL-Cup. Es handelt sich dabei um einen Wettbewerb für junge Schweizer Studierende. Den Preisträgern winkt ein Stipendium für einen zweimonatigen Aufenthalt im Land des wichtigen Handelspartners in Fernost. «Mit dem ICL-Cup wollen wir das Interesse für China bei der Schweizer Jugend wecken. Ausserdem erhalten die jungen Menschen Gelegenheit, neben dem Erwerb beruflicher Kenntnisse das Land zu entdecken», so der Organisator der China-Aufenthalte.

257 junge Menschen hatten sich für diesen ersten ICL-Cup beworben. Sie stammen vorwiegend aus der Romandie. Zu Anfang richtete sich der Wettbewerb nur an Studierende, später wurden auch Lehrlinge angesprochen.

Das chinesische Berufsbildungssystem erlebe derzeit einen tiefgreifenden Umbruch, erklärte Nicolas de Toledo an der Medienkonferenz: «China lehnt sich nun an das Schweizer Modell der dualen Berufsbildung an.» Deshalb sei es nur folgerichtig gewesen, auch Lehrlinge am ICL-Cup zu beteiligen. Zu diesem Zweck wurden von ICL Ausbildungsbetriebe als Partner verpflichtet. Am nächsten ICL-Cup möchte der Veranstalter 15 Praktikumsaufenthalte in China anbieten.

Bei der Ausschreibung des ICL-Cups hatten die Verantwortlichen keine besonderen Auswahlkriterien festgelegt, wie de Toledo erklärte: «Unsere Wahl stützt sich vor allem auf die Beurteilung der Motivation der Kandidierenden, aber auch auf deren Wissbegier sowie deren Bereitschaft, sich auf ein Experiment einzulassen.»

Zur Vierergruppe gehören neben Jordane Neukomm die folgenden drei Studierenden: Meghan Golinucci, Hochschule für Engineering und Management des Kantons Waadt; Anne-Lise Déquenne, Fakultät für Betriebs- und Volkswirtschaft der Universität Lausanne und Philippe Nasr, Universität Genf.

In Shanghai werden die Schweizer in verschiedenen Unternehmen arbeiten, abends treffen sie sich in derselben Unterkunft. Vor Ort wird ihnen der Besuch kultureller Anlässe angeboten, an denen sie mit den Einwohnern Kontakte knüpfen können. Zudem sollen sie Kurse besuchen, um ein wenig Chinesisch zu lernen – eine Vorstellung, die Jordane Neukomm einen Seufzer entlockt: «Ich habe ein kleines Lernprogramm auf meinen PC heruntergeladen und danach sofort gemerkt: Diese Sprache ist schrecklich kompliziert.» pho/pl

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Shanghai – das «New York Asiens»

Das Unternehmen LX Precision wurde 2001 in Shanghai als Niederlassung des renommierten Mikrotechnik- und Drehteileherstellers Lauener & Cie SA in Boudry gegründet.

LX Precision beschäftigt 200 Mitarbeitende – «199 Chinesen und einen Schweizer», so der Verwaltungsratspräsident Dominique Lauener gegenüber den Medienvertretern.

Praktikant Jordane Neukomm werde sich zu Anfang ein wenig fremd in der neuen Umgebung vorkommen, ist Lauener überzeugt, «aber in unseren Werkstätten wird er sich sofort heimisch fühlen, denn dort gelten praktisch die gleichen Standards wie in den Unternehmen des Jurabogens». Bei LX Precision sind 120 Maschinen im Einsatz. Die meisten davon stammen vom Hersteller Tornos in Moutier, beim Rest handelt es sich um asiatische Fabrikate, wie Lauener erklärt.

Dominique Lauener ist sich sicher: Das Praktikum in Shanghai wird für Jordane Neukomm zur unvergesslichen Erfahrung werden und ihm neue Horizonte erschliessen. Shanghai sei nämlich eine sehr kosmopolitische Stadt. Deshalb werde sie auch «New York Asiens» genannt.

Was viele nicht wissen: Die Metropole im Osten des Reichs der Mitte war schon immer ihrer Zeit voraus. «Bereits im Jahr 1931 gab es in Shanghai mehr Autos als in New York» erklärte Lauener. pho/pl

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