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Online-Handel

Sind Schweizer Firmen zu träge?

Die Bieler E-Commerce-Firma Alpine Cabin hilft Schweizer KMU, ihre Produkte online nach China zu verkaufen. Doch bislang nutzen nur wenige Schweizer Firmen das Angebot.

Gründer Stefan Altorfer koordiniert die Arbeiten in China aus seinem Büro in Biel, wo auch ein Keyboard steht. Nach einem langen Arbeitstag spielt er darauf gerne Melodien nach Gehör. Bild: Matthias Käser

Manuela Schnyder

Das Wachstum im grenzüberschreitenden Online-Handel von und nach China ist gewaltig (siehe Infobox). Dabei kauft nicht nur die Welt günstige Waren auf chinesischen E-Commerce-Platformen wie Alibaba ein, sondern auch China importiert mehr und mehr Produkte aus dem Ausland – und zwar nicht nur Luxusmarken. Vor allem qualitativ hochstehende Lebensmittel, Kosmetika, Gesundheits- und Babyprodukte oder Elektronikartikel werden gemäss der chinesischen Marketingagentur Agency China online bestellt. Grund dafür sind teilweise Sicherheitsbedenken bei lokalen Produkten. Aber ganz allgemein sorgt die kaufkräftige Mittelschicht in China für eine stärkere Nachfrage nach ausländischer Ware.

Viel Rückenwind bekommt das Online-Shopping auch von der Regierung. So hat sie die Zölle und Beschränkungen für internationale Unternehmen, die auf chinesischen Einzelhandels-Plattformen ihre Produkte vermarkten wollen, gelockert. Zudem braucht es für den Vertrieb der Waren über die dortigen digitalen Verkaufskanäle keine physische Präsenz in China, also keine chinesische Geschäftslizenz und keine eigenen Lager. Insgesamt also die perfekte Gelegenheit für kleinere und mittlere Schweizer Firmen (KMU), ins dortige Online-Geschäft einzusteigen. Doch die KMU hadern mit dieser Idee, wie Stefan Altorfer von der Bieler E-Commerce-Firma Alpine Cabin Trading AG erklärt.

Der Brückenbauer
Trotz der attraktiven Marktbedingungen ist der Einstieg ins chinesische E-Commerce-Geschäft für Schweizer Firmen nicht ganz einfach. Dafür brauche es nicht nur Kenntnisse der Sprache, sondern auch der Marktstruktur und der sozialen Medien, erklärt E-Commerce-Experte Altorfer. Und genau hier will er mit seinem Startup die Unternehmer unterstützen, quasi als Brückenbauer. Ein siebenköpfiges Team vor Ort übernimmt für Schweizer Hersteller die Vermarktung auf den chinesischen Online-Verkaufsplattformen und sozialen Medien. Auch die Logistik und die Zollabfertigung wird von Alpine Cabin organisiert. Chinesen kaufen nämlich überwiegend mit dem Smartphone ein, wie Altorfer weiter erklärt. Die Apps WeChat und Weibo seien sehr beliebt. Auf WeChat etwa waren Ende 2017 mehr als 980 Millionen Nutzer aktiv. Es vereint verschiedene Funktionen wie Chatten, Shoppen und Bezahlen in einer Anwendung. Weibo dagegen ist ein Kurznachrichtendienst, auf dem auch Videos und Fotos veröffentlicht werden können, und auf dem sich chinesische Influencer tummeln, die Waren vermarkten. Auch E-Commerce-Plattformen wie Alibabas Tmall oder JD.com, vergleichbar mit Ebay und Amazon, werden stark genutzt. Daraus ergeben sich zahlreiche Marketing-Möglichkeiten, Produkte zu präsentieren. Alpine Cabin eigne sich damit besonders für Markenhersteller zum Testen des chinesischen Marktes, meint Altorfer, denn die Einstiegskosten und Risiken seien im Vergleich zum klassischen Marktaufbau via eine chinesische Agentur geringer. Dennoch nutzen das Angebot bislang nur wenige.

Produkte müssen passen
Altorfers Geschäftsidee entstand aus seiner früheren Tätigkeit als Strategie- und Innovationsverantwortlicher bei Swiss Post International. Gegründet wurde die Alpine Cabin Trading AG im Januar 2017. Fünf Monate später ging die Firma mit der Schirm-Marke Alpine Cabin, die zehn Schweizer Marken umfasst, auf den chinesischen Verkaufs-Portalen online. Heute sind es 12 Schweizer Markenanbieter, die mit Alpine Cabin zusammenarbeiten, wobei nicht alle Hersteller, welche zu Beginn dabei waren, es noch immer sind. Seit Kurzem arbeite sein Unternehmen auch mit Roland und Bimbosan zusammen, sagt Altorfer. Doch vielen Unternehmern fehle der Mut, die nötigen Investitionen zu tätigen, erklärt er sich den eher bescheidenen Kundenzuwachs. Aber auch nicht jedes Produkt sei für den chinesischen Markt geeignet.

Wichtig ist laut Altorfer vor allem ein klarer USP, also das Alleinstellungsmerkmal eines Produktes, das ein Bedürnis in Chinas Bevölkerung abdeckt. Die Firmen Roland und Bimbosan seien dabei gute Beispiele, da Nahrungsmittel und Babyprodukte angesichts der dortigen Umweltprobleme gefragt seien. Wird das Produkt den chinesischen Kunden dann via soziale Medien präsentiert, sind diese durchaus bereit, für ein ausländisches Produkt mehr zu bezahlen. Das Prädikat Swissness sei zwar hilfreich, genüge jedoch nicht, denn auch Deutschland, die USA oder Australien hätten einen guten Ruf. Und man dürfe sich nicht täuschen, in der chinesischen Mittelschicht gebe es noch viele Millionen Konsumenten, welche die Schweiz gar nicht kennen würden. Wenn das Produkt passe, seien die Erfolgschancen gross.

Aktuell schreibt das Startup, das von zwei Investoren finanziert wird, noch keine schwarzen Zahlen. «Wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen», sagt Altorfer. In China brauche man einen langen Atem, die Konkurrenz sei gross. Für den Markteintritt und -aufbau brauche es mindestens zwei bis drei Jahre.

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China kauft online
Chinas Online-Handel ist mit einem Anteil von 40 Prozent der grösste der Welt. Gemäss Agency China dürfte er in vier Jahren sogar ein Volumen von 1,8 Billionen US-Dollar überschreiten und wäre damit grösser als der US-Markt. Dabei bestellen die Chinesen zunehmend ausländische Ware. Zwischen Januar und Oktober 2018 kauften sie für 9,7 Milliarden US-Dollar im Ausland ein, 53,7 Prozent mehr als im Vorjahr. msd

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