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Gruppendynamik

So lernen Teams ihr Potenzial besser nutzen

Das Training für Psychologische Sicherheit soll im Berufsalltag intensivere Zusammenarbeit ermöglichen.
45 Teams sammeln Erfahrung im Pilotprojekt.

Beim Training für Psychologische Sicherheit lernen Teammitglieder, dass sie sich bedenkenlos mit Fragen, Kommentaren und Fehlern zu Wort melden können. Bild: zvg

Daniela Deck

Wer kennt es nicht: Der Langweiler monopolisiert die Teamsitzung mit Plattitüden. Oder: Die Besserwisserin setzt zur gefürchteten Tirade an. So oder so tendieren die übrigen Teammitglieder dazu, den Kopf auf Durchzug zu stellen, bis die Querschläger sich ausgetobt haben. So geht nicht nur Arbeitszeit verloren, sondern auch gute Ideen verhallen ungehört oder werden gar nicht erst ausgesprochen. Hinzu kommt: Versäumnisse und Fehler werden unter den Tisch gewischt und wiederholen sich. Leider gehören solche Teamkonstellationen in vielen Firmen zur Normalität.

Abhilfe schaffen will ein Innosuisse-Projekt mit dem Training Psychologischer Sicherheit in Teams. Jedes Teammitglied soll dabei erstens lernen, seine Meinung ehrlich zu äussern, ohne Sanktionen (Verachtung, Spott, Widerspruch…) befürchten zu müssen. Zweitens verteilt sich die Redezeit aller Teammitglieder allmählich gleichmässig, da die Hinterbänkler ermutigt werden, den Mund aufzutun und die Vielredner lernen, sich zugunsten der anderen zurückzunehmen. Drittens können Fehler im Umfeld gegenseitigen Vertrauens ungescheut angesprochen und umso schneller ausgebügelt werden.

 

Jede Woche eine kurze Übung


Für das Training zur Psychologischen Sicherheit arbeitet das Departement Technik und Informatik der Berner Fachhochschule (BFH) mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Partnern aus der Wirtschaft zusammen. Für die BFH zeichnet im Projektteam Ina Goller, Innovationsmanagement-Professorin und Leiterin des Studiengangs EMBA Innovation, verantwortlich. Ihre Fachgebiete Psychologie und Maschinenbau geben ihr eine umfassende Perspektive auf die Problematik der Gruppendynamik in Arbeitsteams.

Einleitend sagt sie: «Meine Wirtschafts-Erfahrung hat mich gelehrt, dass eine Verbesserung von sozialen Kompetenzen die Innovation steigern kann.» Es ist ein Thema, dem sie bereits ihre Doktorarbeit gewidmet hat. Gestützt auf diese Erfahrung und auf Grundlagenforschungen der Harvard-Professorin Amy Edmondson hat das fünfköpfige Projektteam eine Serie von Kurzübungen für Teams entwickelt.

Erprobt wird die Aufgabenserie von 45 Teams mit je fünf bis 16 Mitgliedern. Folgende Arbeitgeber beteiligen sich am Pilotprojekt: Swisscom, Post, SBB, Mobiliar, Digitec-Galaxus, Switch und crb. Goller erklärt: «Wir wollen verschiedene Branchen abdecken. Neben den grossen Bundesbetrieben sind wir froh, eine Versicherung, einen Online-Händler, eine IT-Firma und eine Firma in der Bau- und Immobilienbranche an Bord zu haben.» Eine einzige Voraussetzung mussten die Teams für die Teilnahme erfüllen: Sie müssen über Entscheidungskompetenz verfügen; ausschliesslich ausführende Einheiten, zum Beispiel am Fliessband, wurden nicht berücksichtigt.

 

Am Anfang ein Anstupser


Jede Woche erhält jedes Mitglied der Pilotteams, inklusive Teamleiter, eine kurz gefasste Aufgabe per Mail. Der sogenannte Nudge (Anstupser) beansprucht eine Viertelstunde Arbeitszeit. Der darin formulierte Appell soll im Berufsalltag geübt werden. Das Projekt dauert 24 Wochen, wobei die Teams zwischen Mai und November 2020 gestaffelt begonnen haben.

Die wöchentlichen Aufgaben sind unterschiedlich. Sie gehen von der Sprachkultur bis zur Selbsterkenntnis. Ein Beispiel für Ersteres ist die Aufforderung, das antagonistische Wort «aber» durch das neutrale «und» zu ersetzen, also anstelle von «Ja, aber» «Ja, und» zu sagen. Ein Beispiel für Letzteres ist die Aufforderung, sieben Tage lang darüber nachzudenken, von wem man sich in welchen Situationen den Mund verbieten lässt.

Während des halbjährigen Projekts wird mittels Fragebogen alle zwei Monate Zwischenbilanz gezogen. Eine weitere Befragung ein halbes Jahr nach Abschluss soll zeigen, welche Effekte im Teamalltag erhalten geblieben sind.

Zur Versuchsanordnung gehört ferner eine Kontrollgruppe aus 15 Teams der beteiligten Arbeitgeber. Diese Teams kommen nicht in den Genuss der Übungen, sondern füllen nur die Fragebogen zur Teamentwicklung aus. So erhält die Projektleitung einen Vergleich, um Veränderungen durch betriebliche Umgebungsfaktoren und spontane Veränderungen bei den Versuchsteams identifizieren und ausschliessen zu können.

 

Unangenehme Ehrlichkeit

Die Annahme, dass die Teams von den Übungen profitieren, scheint sich bereits zu bestätigen. «Natürlich machen nicht alle die Übungen gleich gewissenhaft», ist sich Goller bewusst. «Doch die bisherigen Feedbacks deuten darauf hin, dass die Psychologische Sicherheit teamintern tatsächlich wächst. Damit werden die Diskussionen intensiver und zeitweise durchaus auch hitziger.»

Bei dieser Gelegenheit stellt die Professorin klar, dass Psychologische Sicherheit nichts mit einer Kuschelatmosphäre zu tun hat, bei der alle nett zueinander sind. «Ehrlichkeit kann ganz schön schmerzhaft sein. Ein Verhalten, das viele stört, aber niemand bislang angesprochen hat, scheint selbstverständlich. Wenn dann jemand dazu offen Feedback gibt, kommt dies für die Betroffenen wie aus heiterem Himmel und fühlt sich meist sehr hart an.»

Übrigens spielt auch die physische Umgebung für die Psychologische Sicherheit eine Rolle. Die Teams bleiben mit den Aufgaben im vertrauten Umfeld, statt auswärts im Seminarraum zu üben. Darin sieht Goller Zukunftspotenzial: «Der Einbau in den Arbeitsalltag ist gemäss meiner Erfahrung nachhaltiger als rein externe Weiterbildungen.»

 

Nutzen für alle

Im Sommer werden die gesammelten Ergebnisse ausgewertet und das Konzept an die Erkenntnisse angepasst. Als Open Source-Projekt soll das Training zur Psychologischen Sicherheit nicht nur den Projektpartnern zur Verfügung gestellt werden, sondern der breiten Öffentlichkeit. Im Idealfall geht die Lösung nächsten Herbst online.

Wünschenswert wäre, dass der manuelle Mailversand nach der Pilotphase moderneren Methoden Platz macht. Für die wöchentlichen Übungen bietet sich nach dem Aufbau einer eigenen Webseite beispielsweise eine App mit automatischem Versand von Push-Nachrichten an. Goller sagt: «Mein Traum ist, dass dereinst jedes Team mit Entscheidungskompetenz das Training für Psychologische Sicherheit absolvieren und von den praktischen Übungen profitieren kann.»

Um den Bedarf der Wirtschaft für das Training Psychologischer Sicherheit abschätzen zu können, ist sie froh, wenn interessierte Arbeitgeber sich bereits jetzt bei der Projektleitung melden. 

Dieser Artikel ist eine Co-Produktion des Departements Technik und Informatik der Berner Fachhochschule BFH und des "Bieler Tagblatt". Die BFH ist als Partnerin in die Themenplanung involviert. Die redaktionelle Hoheit liegt bei der Redaktion. Die Seite erscheint einmal pro Monat im "Bieler Tagblatt" und im "Journal du Jura".

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