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La Heutte

Strom aus der Region, für die Region

Drei kleine Wasserkraftwerke besitzt der Gartenbauer Heinz Peter. In den Kraftwerken produziert er Elektrizität, wie sie in Zukunft vermehrt gefragt sein wird. Die Besichtigung der Kraftwerke hingegen ist eine Reise in die Vergangenheit.

Stauklappen in der Schüss: Als der Bau fast fertig war, zerstörte ein Hochwasser die Anlage. Bild: Carole Lauener

Lotti Teuscher

Heinz Peter aus La Heutte strahlt, wenn er sagt: «Das ist mein Baby!» Das Baby ist aus Eisen, mehrere Tonnen schwer und wurde im Jahr 1928 geboren. Es brummt und schluckt 100 Liter Wasser pro Sekunde. Die Escher-Wyss-Turbine verstaubte jahrelang in einem Schopf in Norddeutschland, bis Heinz Peter sie via Internet entdeckt hat. Jetzt produziert sie in La Heutte in einem kleinen Wasserkraftwerk Strom.

Gartenbauer Heinz Peter besitzt drei solcher Babys.

Das Wasser bringt der Bach Pichoux, ein kleines Gewässer, das immer wieder austrocknet und deshalb als ökologisch wertlos gilt, weil darin keine Fischpopulation überleben kann. 70 Meter Gefälle weist der Bach zwischen dem Waldrand, an dem er gestaut wird, und der Turbine auf, das Gefälle sorgt für genügend Druck, um die schwere Turbine anzutreiben.

 

Wasser vom Grenchenberg

Der Pichoux ist ein verstecktes Rinnsal, nicht einmal alle Bewohner von La Heutte wissen, dass es den Bach gibt. Was schade ist, denn wer dem Bachlauf folgt, trifft auf ein Staubecken aus dem 17. Jahrhundert. Gebaut wurde es zum Schutz von La Heutte, weil der Pichoux nach schweren Gewittern mit zerstörerischer Gewalt ins Dorf donnerte. Wer dem Bachlauf noch weiter nach oben folgt, steht vor einem Wasserfall. Gespeist wird der Pichoux von einer Quelle, die dem Grenchenberg entspringt.

Jahrelang wurde die Wasserkraft nicht mehr genutzt, nachdem die frühere Eigentümerin, die Stadt Moutier, das Kraftwerk wegen Unrentabilität aufgegeben hatte. Seit drei Jahren nun treibt der Pichoux Heinz Peters Turbine an. «I ha Freud wiene Moore», sagt der Besitzer der drei Wasserkraftwerke.

Ein Jahr lang hat Heinz Peter die Menge gemessen, um sicher zu sein, dass der Bach genügend Wasser führt. Danach hat er die Mitarbeiter seines Gartenbau-Unternehmens in einen Schweisskurs geschickt, gemeinsam haben sie die Turbine zusammengesetzt und zum Laufen gebracht. «Es ist irrsinnig, was meine Mitarbeiter in den letzten Jahren geleistet haben», sagt der Gartenbauer. Denn sie haben noch ein weiteres Kraftwerk zum Laufen gebracht, La Cerne II in der Schüss, doch davon später. Gut 100 Wasserkraftwerke säumten einst die Schüss, sie waren es, die die Industrialisierung des Berner Juras möglich gemacht hatten. In einigen Gemeinden im St. Immer-Tal gab es längst Strom, als in Biel in der Nacht noch die Gasfunzeln brannten.

Sein erstes Kraftwerk hat Heinz Peter vor zwölf Jahren wieder in Betrieb gesetzt, La Cerne I. Ein Kraftwerk mit einer Geschichte, die mindestens bis anno 1693 zurückreicht. Damals erhielt «Abraham Bendicht, des Jungen von Hütten» einen Lehnbrief vom Bischof von Basel, der ihm das Wasserrecht übertrug. Der «Junge von Hütten» (heute La Heutte, abgeleitet von der Kalkhütte, die einst im Dorf stand) betrieb mit dem Wasser eine Mühle. Den originalen Lehnbrief hat Heinz Peter an die Wand im Innern des Cerne I gehängt.

Danach nutzte ein Uhrenfabrikant das Kraftwerk. Das Gebäude dahinter ist exakt 7,5 Meter breit, so wie alle damaligen Uhrenfabriken. Hinter jedem Fenster stand ein Etabli, auf dem die Uhrmacher an der Urania Watch arbeiteten. Im Innern des Kraftwerks hat Heinz Peter ein kleines Privatmuseum eingerichtet. Da hängt zum Beispiel eine Anleitung aus früheren Zeiten, wie mit Arbeitern umzugehen ist, die einen Stromschlag erlitten hatten: «Wenn einer nach einem Stromschlag am Boden liegt, soll man ihn mit einer Feder an der Nase kitzeln. Wenn er sich nicht bewegt, ist er ernsthaft verletzt», steht da geschrieben.

 

Geheimnis der Nagelschuhe

Der seltsamste Besitz von Heinz Peter liegt in einer Ecke: Rund 20 sorgfältig gearbeitete Nagelschuhe; wie alt sie sind, weiss er nicht. Winzige Kinderschuhe, mit vielen Nägeln in den dicken Ledersohlen, angeordnet zu einem Muster. Elegante Damenstiefeletten, sorgfältig genähte Herrenschuhe. Heinz Peter hat sie innerhalb von zwölf Jahren aus dem Rechen vor dem Wehr gefischt.

Die Reise im Wasser hat die Schuhe zerschlissen, ansonsten sind sie in sehr gutem Zustand. Sie haben keine Löcher in den Sohlen und auch nicht im Oberleder. Aber sie bergen Geheimnisse: Wie alt sind diese Nagelschuhe? Woher kommen sie? Wie haben sie die Zeit überdauert, ohne zu verrotten? Nur eines scheint sicher zu sein: Schuhe von so guter Qualität hätte niemand weggeworfen zu einer Zeit, als Armut herrschte.*

Mittelpunkt von La Cerne I ist indes das zweite Baby von Heinz Peter. Die Turbine sirrt, angetrieben von einem grünen Flachriemen. Es ist eine Francis-Schachtturbine, erfunden im Jahr 1849 in den USA von Ingenieur James B. Francis, es ist eine verbesserte Wasserturbine. Ein Metallzaun umgibt das Ungetüm, es zu berühren kann einem den Arm ausreissen, es steckt gefährlich viel Kraft in der tiptop gewarteten Maschine. 1200 Liter Wasser fliessen pro Sekunde durch die Turbine.

Der Generator stammt aus dem Jahr 1900. Verbunden ist er mit einer modernen Steuerungsmaschine; eine Verbindung von alt und Hightech, die effizient ist.

Und dennoch: Heinz Peter betreibt Wasserkraftwerke, die als unrentabel galten. Geht die Rechnung wirklich auf? Bevor ein Kraftwerk in Betrieb genommen wird, müssen zahlreiche Daten gesammelt werden; es braucht die Einigung mit den Grundeigentümern, durch deren Grundstücke der Bach fliesst. Und es muss Überzeugungsarbeit geleistet, es müssen Gutachten eingefordert werden, um ökologische Bedenken zu entkräften. Hinzu kommen die Investitionen, um das Kraftwerk in Betrieb zu nehmen.

Rentiert ein Kraftwerk trotzdem? «Schon», sagt Heinz Peter, «sonst hätte ich das nicht gemacht.»

Seit rund sechs Jahren garantiert der Bund eine kostendeckende Einspeisevergütung für erneuerbare Energien. Ziel ist, nachhaltige Energie finanziell zu fördern, damit deren Anteil zunimmt. «Dies erlaubt mir, eine Kosten-Nutzen-Rechnung zu erstellen» sagt Heinz Peter. Nach einem nassen Jahr schreibt er bessere Zahlen als nach einem trockenen, aber dies gleicht sich im Laufe der Zeit aus.

Allerdings überlegt sich Bundesrätin Doris Leuthard, künftig nur noch Kraftwerke zu unterstützen, die mindestens 300 Kilowattstunden produzieren; das kleinste Kraftwerk von Heinz Peter hat gerade Mal eine Leistung von 40 Kilowattstunden. Dennoch seien seine Kraftwerke ein wichtiger Beitrag zur Ökologie der Region: «Der Strom, den ich in La Heutte produziere, wird auch vom Dorf genutzt.» Also ohne lange Leitungen.

200 Meter vor dem Kraftwerk La Cerne I befindet sich La Cerne II, verbunden durch einen Kanal, der oberirdisch verläuft und mit Teerpappe abgedeckt ist. Das Wasser drückt durch die Abdeckung des Verbindungskanals, es stehen Sanierungsarbeiten an.

Nein, La Cerne habe nichts mit dem Cern in Genf zu tun, hier werde keine Kernforschung betrieben, sagt Heinz Peter und lacht. Cerne sei ein altes Wort für Schlaufe; hier habe der Schüsslauf eine Kurve gemacht.

 

Zahnkiller Mühlestein

An das Kraftwerk gelehnt ist ein Mühlestein aus dem Jahr 1693; Heinz Peter hat das tonnenschwere Ungetüm aus dem Wasser gefischt und restauriert. Der Mühlestein ist aus gelbem Jurakalk, der weicher ist als Granit, wie er üblicherweise zur Herstellung von Mühlesteinen benutzt wurde. Das Mehl aus der Mühle von La Heutte war mit Abrieb durchsetzt, was den Bewohnern des Berner Juras schlechte Zähne bescherte. La Cerne II produziert seit dieser Woche Strom, zuvor haben Heinz Peter und seine Mannschaft gewaltige Arbeit geleistet.

Oberhalb des Werks haben sie riesige Stauklappen eingebaut; eine Sisyphusarbeit mit schwerem Gerät. Als die Bauten fast fertig waren, kam im letzten Sommer ein Hochwasser und verwüstete die Baustelle. Jetzt ist der Kanal, durch den das Wasser in La Cerne II fliesst, doppelt so breit; bis 5000 Liter Wasser können den Kanal pro Sekunde passieren.

Bei Hochwasser werden die Stauklappen geöffnet. Dann fliessen 65 000 Liter Wasser pro Sekunde ab.

 

«Mein Turbineli»

Im schlichten Häuschen des Kraftwerks steht das dritte Baby, sechseinhalb Tonnen schwer. Heinz Peter nennt es «mein Turbineli». Es ist erneut eine Francis-Turbine, bis vor vier Jahren hat sie in einem Emmentaler Kleinkraftwerk Strom produziert. Sie war bereits im Alteisen, als ein Ingenieur Heinz Peter angerufen und gesagt hat: «Du, da steht eine Turbine, die zu dir passt.» Als er sie sah, habe er fast Augenwasser bekommen, sagt der Gartenbauer.

Auch hier ergänzt Hightech die alte Maschine. Eine grosse Erleichterung für den Gartenbauer bedeutet die Steuerungsanlage des Rechens, ergänzt durch eine Webkamera: Wenn es Probleme gibt, muss er nun nicht mehr seine Ferien unterbrechen. Er kann die Reinigungsanlage aus der Ferne steuern.

* Wer Informationen zu den Nagelschuhen hat, kann diese mailen an lteuscher@bielertagblatt.ch oder seine Telefonnummer mit dem Stichwort «Nagelschuhe» hinterlassen: 032 321 91 90.

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