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Elektromobilität

Strom wird zum Standard

An der Seeländer E-Mobilitäts-Show in Lyss können Interessierte morgen E-Autos und andere Gefährte testen. Den Organisatoren geht es aber um mehr als die Fahrzeuge.

Daran mangelts noch: Ladeinfrastruktur für Elektroautos in privaten oder öffentlichen Tiefgaragen. Bild: Keystone

Tobias Graden

Zwei Fahrten brauchte es, und dann war er überzeugt. «Ich hätte das Auto sofort gekauft», sagt Thomas Hunziker. 2014 war das, der amerikanische Elektroautohersteller Tesla hatte sein Model S in der Schweiz eingeführt, Hunziker war begeistert. Doch der Luxuswagen passte nicht in sein Budget. 2016 kündigte Tesla dann das Model 3 an, einen Mittelklassewagen, Hunziker bestellte umgehend ein Exemplar vor. Mit zwei Jahren Wartezeit hatte er zu rechnen.

Es wurden dann drei Jahre, doch die Wartezeit nutzte der Lysser, um sich breit über die Elektromobilität zu informieren. Er las Studien, Fachartikel, interessierte sich für die Stromproduktion – und half mit, den Verein E-Mobilität Seeland zu gründen. Dieser organisiert morgen zum vierten Mal die Seeländer E-Mobilitäts-Show, kurz: Sems. An dieser werden zahlreiche E-Fahrzeuge ausgestellt, Besucherinnen und Besucher können diese auch ausprobieren, Fachkräfte stehen Red’ und Antwort.

Der Anfang des Durchbruchs

Es hat sich viel getan in diesen vier Jahren. Anfangs war das Interesse seitens der Garagen gering. «Als wir angefangen haben, herrschte unter den Autohändlern im Seeland grossteils die Meinung vor, Elektroautos seien ein temporärer Hype und vor allem etwas für Vermögende», sagt Hunziker.

2021 ist das komplett anders. «Wir stehen am Anfang des Durchbruchs des Elektroautos im Massenmarkt», sagt Luc Tschumper, stellvertretender Geschäftsführer beim Verband Swiss E-Mobility. «Die neuen Fahrzeuge sind alltagstauglich, es gibt eine breite Modellauswahl von zahlreichen Herstellern.»

Diese Entwicklung ist an der Sems sichtbar: Gegen 40 Aussteller machen morgen mit, über 80 Fahrzeuge sind ausgestellt, alleine mehr als 30 Autos stehen für Probefahrten zur Verfügung. Bei der Sems geht es aber nicht nur um sie, betont Hunziker: Auch zweirädrige Fahrzeuge wie E-Bikes oder E-Roller sind vertreten. Zwar liegen gerade letztere seit jüngster Zeit im Trend, doch auch hier hat die Entwicklung gerade erst begonnen, sagt Tschumper: «Mit einer Batterie und einem E-Motor lassen sich jegliche Fahrzeuge antreiben. So ergeben sich auch komplett neue Gestaltungsmöglichkeiten.»

Potenzial sieht Tschumper beispielsweise im Bereich «Shared Micro Cargo» – elektrische Kleinlastwagen, die über Sharing-Modelle zur Verfügung stehen. Gerade für die urbane Klientel könnten sie auch das Auto ersetzen.

Jahrzehnt der Wende

Dass sich der E-Antrieb auf den Schweizer Strassen durchsetzen wird, gilt mittlerweile als unbestritten. Über die gesamte Lebensdauer sind E-Autos heute schon wirtschaftlicher, wegen der Skaleneffekte wird in den nächsten Jahren der Anschaffungspreis weiter sinken. «Ab 2025 wird niemand, der die Kosten im Auge behält, mehr einen Verbrenner kaufen», sagt Thomas Hunziker überzeugt, «und ab 2030 wird sich das Strassenbild wesentlich geändert haben.»

Luc Tschumper sieht die Wende um das Jahr 2025: «Gegen Mitte des Jahrzehnts ist der Elektroantrieb wegen der sinkenden Batteriekosten die günstigste Art, ein Auto zu bauen.» Bei den Neuverkäufen rechnet er darum für 2025 mit einem Anteil von 40 bis 60 Prozent, darin sind allerdings noch Hybride enthalten. Diese Übergangstechnologie werde ab 2030 verschwinden, so Tschumper, und die rein elektrischen Fahrzeuge würden die klare Mehrheit bei den Neuzulassungen haben. Bis sich dies im Gesamtbestand niederschlägt, wird es allerdings noch ein paar Jahre länger dauern. Für 2021 ist laut Tschumper mit einem Neuwagen-Anteil von 20 Prozent zu rechnen, die Hälfte davon rein elektrisch.

Es braucht Ladestationen

Ein Selbstläufer ist die Entwicklung allerdings nicht. Noch mangelt es an Ladepunkten, insbesondere an den Start- und Zielorten – also zuhause und am Arbeitsplatz oder an öffentlichen Parkplätzen. «Wo das Auto lange steht, muss man es laden können», bringt es Hunziker auf den Punkt, «die technischen Lösungen dazu wären heute schon vorhanden.» Die Schweiz ist ein Land von Mietern: 58 Prozent der Bevölkerung wohnt in Mietwohnungen und kann darum nur höchst bedingt Einfluss nehmen auf die Bereitstellung von Ladeinfrastruktur. Auch Tschumper sieht diese Herausforderung, rechnet aber damit, dass bei Hauseigentümern zunehmend die Einsicht wachsen wird, dass Ladestationen künftig Standard sein werden, wie dies heutzutage eine Waschmaschine ist: «Sie haben ein Interesse daran, den Wert ihrer Liegenschaften langfristig zu erhalten.»

Die Sems ihrerseits widmet sich jetzt schon dieser Thematik, sie versteht sich nicht als reine Fahrzeugshow. Künftig dürften noch stärker Gesamtlösungen im Vordergrund stehen, prognostiziert Thomas Hunziker. Vorerst aber gehe es noch um die vier Elemente «schauen, informieren, diskutieren, ausprobieren». Einen Tesla kann man allerdings nicht fahren – obwohl das OK jedes Jahr wieder bei der US-Marke anklopft, verzichtet diese auch dieses Jahr auf eine Teilnahme an der Sems. «Eigentlich schade», findet Hunziker.

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