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Wirtschaft

Überholt von der Binnenwirtschaft

Der Anteil der Exportindustrie an der Volkswirtschaft nimmt leicht ab, dafür boomt die Binnenwirtschaft. Nicht nur dies ist ein Phänomen, das stutzig macht.

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Lotti Teuscher

Letztes Jahr waren die Konjunkturprognosen für 2012 mager ausgefallen, doch dies hat sich geändert: Die Konjunkturforschungsstelle BAK Basel geht von einem Wachsum von 1,5 Prozent aus. Dies allerdings nicht, weil sich die Aussichten gebessert haben, sondern weil das Wachstum in den Wintermonaten stärker war als erwartet (siehe Infobox). Ähnlich positiv soll sich das Bruttoinlandprodukt (BIP) auch im kommenden Jahr entwickeln.

Grund für diesen Verlauf: Der Binnenmarkt wächst stark. Dies dank der Zuwanderung und dem historisch tiefen Zins- und Inflationsniveau. Auch die tiefe Arbeitslosigkeit und die gesunden Staatsfinanzen sind laut dem BAK Basel Indikatoren dafür, dass es der Schweiz deutlich besser geht als noch im März erwartet.

Doch etwas macht stutzig: Bislang trugen die Exportindustrie und die Binnenwirtschaft je die Hälfte zum BIP bei. Der Exportindustrie geht es - mit Ausnahme der Uhrenbranche - im Gegensatz zum Binnenmarkt nicht gut. Wird somit künftig der Export weniger zum BIP-Wachsum beitragen als der Binnenmarkt?

Im Moment ist dies in der Tat so, doch Boris Zürcher, neuer Chefökonom am BAK Basel, geht nicht von einem langfristigen Trend aus. Derzeit lahmt die Weltwirtschaft, und der chronisch schwache Euro schmälert Margen und Aufträge aus der EU, der wichtigsten Exportregion der Schweiz. «Obwohl nun der Binnenmarkt stärker wächst, bleibt die Schweiz ein stark exportorientiertes Land», sagt Zürcher. «Die Verschiebung ist deshalb nur kurzfristig.»

Die Lage der Exportindustrie im Kanton Bern sei derzeit recht stabil, sagt Adrian Haas, Direktor des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern. Allerdings nur deshalb, weil die Nationalbank den Kurs von 1.20 Franken stützt: «Als es im letzten August zur Parität zwischen Euro und Franken kam, haben alle geschlottert.»

Weniger Wachstum

Im Gegensatz zu Zürcher hat Haas den Eindruck, dass der Beitrag der Exportindustrie am BIP grundsätzlich leicht abnimmt: «Es gibt eine leichte Tendenz hin zu weniger Wachstum in der Exportbranche.» Unklar sei zudem, wie lange die Uhrenindustrie einen Jahresrekord nach dem anderen schreibe. «Ob der Binnenmarkt dann einen Rückgang der Exporte ausgleichen kann, ist fraglich», so Haas. Denn sobald die Industrie schwächelt, sind auch die Konsumenten verunsichert und konsumieren weniger.

Samuel Estoppey, Vize-Präsident des Handels- und Industrievereins Biel-Seeland, spürt in seinem auf Beschichtungen spezialisierten Betrieb nichts von den aktuellen Problemen. Dies, obwohl 25 Prozent der Produkte der Estoppey Reber SA direkt ins Ausland verkauft werden und weitere 60 Prozent via Kunden über die Grenzen gelangen. «Wer qualitativ hochstehende Nischenprodukte herstellt, kann auch heute gut überleben», so das Fazit des Firmeninhabers.

150 Personen beschäftigt Estoppey in seiner Fabrik in Aegerten; derzeit werden zusätzliche, hochqualifizierte Fachkräfte rekrutiert. Der Unternehmer zieht Personen aus dem Inland vor: «Denn mein Betrieb ist zweisprachig, und die meisten Bieler sprechen beide Sprachen.»

So wie die Estoppey Reber SA sind viele exportorientierte Unternehmen gut ins aktuelle Jahr gestartet. Die zweite Jahreshälfte dürfte allerdings schwieriger werden, etliche Unternehmen aus dem Seeland und dem Berner Jura planen für den Herbst Kurzarbeit (es stand im BT).

Lager auf Ende Jahr leeren

Laut Estoppey gibt es zwei Trends, welche die zweite Jahreshälfte schwieriger machen: Zum einen verlegen jetzt Schweizer Unternehmen wegen des zu starken Schweizer Frankens ihre Produktion ins Ausland. Nicht nur dadurch gehen Arbeitsplätze verloren. Zu Verlusten kommt es auch, weil die Unternehmen ihre Zulieferer im Ausland suchen. Zum anderen gibt es einen Trend, der bereits vor einigen Jahren eingesetzt hat: Zu Jahresbeginn füllen die Kunden ihre Lagerbestände auf, die Auftragsbücher der Hersteller füllen sich. Bis zum Jahresende wird nur noch begrenzt nachbestellt, damit die Lagerbestände die Bilanz nicht belasten. «Während der Sommerferien wird nichts bestellt, und danach gehen deutlich weniger Aufträge ein als im ersten Halbjahr», so Estoppey.

Problem Schuldenkrise

Einen weiteren Grund für das schlechtere Konjunkturklima nennt Ivo Zimmermann, Mediensprecher von Swissmem: «Gegen Ende des letzten Jahres beruhigte sich die Schuldenkrise in der EU. Doch nun hat der Wind gedreht und die Krise ist wieder aktuell.» Für die Schweizer Exportindustrie sind dies schlechte Vorzeichen: Im letzten Jahr gingen 63 Prozent aller Exporte der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie nach Gesamteuropa.

Dass sich die europäischen Kunden auf schlechtere Zeiten einstellen, zeigte sich bereits im ersten Quartal: Die Bestellungseingänge gingen um 18 Prozent zurück. Für Zimmermann sind dies keine guten Vorzeichen: «Übertriebener Optimismus ist nicht angebracht.»

Was allerdings auch nicht bedeutet, dass das zweite Halbjahr für die Industrie eine Katastrophe ist. Denn wie bereits seit Monaten sind verlässliche Prognosen kaum möglich. Weder im Schlechten noch im Guten, wie der wirtschaftliche Verlauf zu Beginn dieses Jahres zeigt.

 

Wachstum im ersten Quartal

Die meisten Konjunkturforschungsstellen haben ihre Prognosen für dieses Jahr korrigiert. Das Staatssekretariat für Wirtschaft geht von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus (zuvor: 0,8 Prozent).

Grund: Selbst wenn die Schweizer Volkswirtschaft für den Rest des Jahres stagniert, ist der Prognosewert von 1,4 Prozent bereits im März erreicht worden. Das Wachstum 2012 ist somit «unter Dach und Fach».

 

Entwicklung mit Fragezeichen

LT. Würde die Binnenwirtschaft nicht boomen, wäre das Bruttoinlandprodukt dieses Jahr kaum gewachsen. Doch wie nachhaltig ist das Wachstum im Inland? Zum einen basiert es auf dem sehr starken Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre. Jedes Jahr wandern so viele Leute in die Schweiz ein, wie St. Gallen Einwohner hat: 70 000 bis 80 000 Personen. Kann die Schweiz dieses Wachstum überhaupt verkraften? Ja, meint Boris Zürcher, Direktor der Konjunkturforschungsstelle BAK Basel: «In Manhatten wohnen auf viel kleinerem Raum gleich viele Menschen wie in der Schweiz.»

Die Frage ist allerdings auch: Zahlt sich die Einwanderung für die Schweiz aus? Ausländer beanspruchen überproportional häufig die Sozalwerke, wegen der Zuwanderung müssen die Infrastrukturen erweitert werden. Auch diesbezüglich geht laut Zürcher die Rechnung für die Schweiz auf: «Heute wandern überwiegend gut Qualifizierte aus der EU ein, welche die Sozialwerke nicht überproportional belasten und auch neue Stellen schaffen.»

Der zweite Grund für den Boom der Binnenwirtschaft sind die historisch tiefen Zinsen, die den Kauf von Wohneigentum fördern. HIV-Vizepräsident Samuel Estoppey beobachtet diese Entwicklung skeptisch: «Geld auf der Bank trägt kaum mehr Zinsen, und auch die Angst vor einer Inflation fördert den Konsum.» Diese beiden Faktoren führen zu einer tieferen Sparquote. Für Estoppey ist das starke Binnenwachstum deshalb teilweise «ungesund und begründet durch Angst».

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