Sie sind hier

Abo

Uhrenbranche

Von leeren Fabriken zum vollen Erfolg

Morgen strahlt SRF den Dok-Film zur Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie seit der Krise der 70er-Jahre aus. Der Fokus liegt auf den beteiligten Banken – manche Themen und Figuren kommen dagegen gar nicht vor.

Peter Gross war als Vertreter der Bankgesellschaft eine der treibenden Kräfte der Fusion. zvg/SRF

Tobias Graden

Zwei alte Männer spazieren einem Feldweg entlang, in idyllischer Landschaft hoch über einem See, und sie tauschen Nettigkeiten aus: Es ist dieser Eindruck, der nach dem Dok-Film «Vogel friss oder stirb. Die Schweizer Uhrenindustrie: Protokoll einer Rettung» von Hansjürg Zumstein haften bleibt. Der Film widmet sich der Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie seit den 70er-Jahren, er untersucht die Frage, wer für die Rettung der Branche verantwortlich war, und er lässt diese die beiden spazierenden Männer beantworten: Walter Frehner, Vertreter des Bankvereins beim einen Uhrenkonzern Asuag; und Peter Gross, Delegierter der Bankgesellschaft, der beim anderen Konglomerat, der SSIH, das Sagen hatte.

Bilder des Kriechgangs
Rekapitulation in aller Kürze: Ende der 70er-, anfangs der 80er-Jahre lag die hiesige Uhrenindustrie am Boden. Was gemeinhin vereinfachend als «Quarzkrise» bezeichnet wird, hatte tatsächlich mehrere Ursachen, wie jüngere Forschungsergebnisse zeigen (das BTberichtete) – diese breitet der Film kompakt und verständlich aus. Er zeigt den Kriechgang der Branche in eindrücklichen Bildern leerer Fabrikhallen und ausgestorbener Strassenzüge, und er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen.
Schliesslich war klar: Ohne Hilfe würde die SSIH konkurs gehen, und auch die Asuag brauchte eine Neukapitalisierung. Unter der Führung der Banken – also unter Gross und Frehner – wurde schliesslich der Plan zur Fusion der beiden Konzerne zur SMH (der späteren Swatch Group) entwickelt und vollzogen.

Hayek, harsch
Während in der breiten Öffentlichkeit wohl nach wie vor Nicolas G. Hayek als «Retter der Uhrenindustrie» gelten dürfte (was so verknappt nicht zutrifft), legt «Vogel friss oder stirb» den Fokus auf die Banken (der Titel entstammt übrigens einer Notiz des damaligen Direktors des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Jean-Pierre Bonny). Diesen sei die «grösste und erfolgreichste Industrierettungsaktion in der Geschichte der Schweiz» zu verdanken, wie es im Film der Wirtschaftshistoriker Pierre-Yves Donzé bilanziert.
Das ist ein korrekter Befund – allerdings ist er nicht neu. Der kritische Betrachter kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, der Film diene nicht zuletzt dem späten Lob für die beteiligten Bankiers, nachdem sich Patron Hayek mit den Jahren zunehmend kritisch über die Banken als solche geäussert hatte.
Natürlich kommt auch Hayek selber vor, der mit grossem Wohlwollen der Banken zur Kontrolle über den Konzern kam. Jene Archivszenen, die ihn an Sitzungen im harschen Umgang mit Mitarbeitern zeigen, gehören zu den interessantesten des Films. Und dass er nicht nur ein gewiefter Verkäufer, Marketingmensch und Geschichtenerzähler war, sondern auch ein Patron, dem die hiesige industrielle Produktion und die Arbeitsplatzsicherheit am Herzen lag, lässt Zumstein den Swatch-Miterfinder Jacques Müller dankbar erwähnen. Umso pikanter, dass das SRF nur am Genfer Uhrensalon aktuelles Uhren-Bildmaterial aufnahm: An diesem sind die Konkurrenzmarken der Swatch Group versammelt, mithin solche, die immer wieder mal Ziel der Kritik von Hayek senior und junior waren, weil sie nach deren Ansicht statt in die Industrie lieber ins Marketing investierten.

Und Ernst Thomke?
Interessant ist also nicht nur, was in Zumsteins Film vorkommt, sondern auch, was darin nicht vorkommt. Die Kontroverse von 2016, die der letzte Asuag-Direktor Peter Renggli mit der Aussage provozierte, die Asuag sei für die Fusion absichtlich schlechtgerechnet worden, wird im Film nicht erwähnt (das BT berichtete ausführlich über diese Diskussion). Zumstein geht darauf aber auf der SRF-Website ein und kommt zum Schluss, für Rengglis These fehlten die Belege.
Stärker ins Gewicht fiel beim Publikum an der Vorpremiere vom Montagabend im vollbesetzten Kino Rex in Grenchen die komplette Absenz eines bestimmten Namens: Ernst Thomke. Autorin Bettina Hahnloser («Der Uhrenpatron und das Ende einer Ära») holte sich in der Podiumsdiskussion Szenenapplaus, als sie dessen Verdienste hervorhob: Er war es, der die Fusion der zahlreichen Unternehmen zur Uhrwerk-Gigantin ETA vollzog, unter ihm wurde die Swatch entwickelt, und als die Fusion von Asuag und SSIH zur SMH vollzogen war, brachte er noch die Omega wieder auf Vordermann.
Dass Thomke in Zumsteins Film fehlt, mag eine gewisse Logik haben. Einerseits hat sich Thomke selber weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und äussert sich kaum mehr zu den damaligen Geschehnissen. Anderseits passt der Sanierer schlecht zum Fokus auf die Bankenvertreter: Dass Peter Gross und Ernst Thomke einander spinnefeind sind, daraus haben die beiden nie ein Geheimnis gemacht. Nicht zuletzt habe er halt kürzen müssen, verteidigte sich Filmemacher Zumstein an der Vorpremiere. Dies wäre allerdings auch bei den zwar gewohnt leidenschaftlich vorgetragenen, aber sattsam bekannten Elogen Jean-Claude Bivers über den Zauber der mechanischen Uhr denkbar gewesen.

Lob und Tadel
Jedenfalls: Gerade in der Region Grenchen dürfte SRF mit dem Film nicht punkten. Bettina Hahnloser hält ihn denn auch für eine verpasste Gelegenheit: «Ich bedaure, dass der Film nicht die Chance ergriffen hat, gewisse Dinge klarzustellen», sagt sie. Noch immer herrsche in der Schweizer Bevölkerung die Meinung vor, Nicolas Hayek habe die Swatch lanciert. Allein: «Dem ist nicht so. Die Entwicklung wurde ab 1979 von Ernst Thomke, dem damaligen Generaldirektor der ETA, gepusht, seine technische Equipe machte die Uhr möglich», so Hahnloser, «die Swatch wurde also Jahre vor dem Eintritt Hayeks in das Uhrenbusiness mit Erfolg lanciert. Im Film wird Ernst Thomke – notabene der Mann mit den höchsten Verdiensten in der Reorganisations- und Sanierungsphase – mit keinem Wort erwähnt. Einmal mehr.»
Der Historiker Bruno Bohlhalter, der mit dem Buch «Unruh. Die schweizerische Uhrenindustrie und ihre Krisen im 20. Jahrhundert» die Forschungsergebnisse seiner Dissertation zum Thema einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich machte, fällt ein positiveres Urteil. «Der Film ist gelungen», teilt er mit, «sein Inhalt entspricht weitestgehend den Ergebnissen meiner wirtschaftshistorischen Forschungen, besonders auch, was den Wandel der schweizerischen Uhrenindustrie zur reinen Luxusgüterindustrie in jüngster Zeit betrifft.» Der Film zeige vor allem auf, dass es bei der Sanierung der SSIH und der Asuag durch die Banken im Jahre 1983 um die grösste und erfolgreichste Industrierettungsaktion in der Schweiz im 20. Jahrhundert gegangen sei, so Bohlhalter: «Und dies mit rein inländischem Kapital und ohne jegliche staatliche Hilfe.»

Info: Ausstrahlung Donnerstagabend, 20.05 Uhr, SRF 1.
 

Stichwörter: Uhrenbranche, Swatch, Hayek, Asuag, SIHH

Nachrichten zu Wirtschaft »