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Sozialdemokratische Partei

Welche Wirtschaft darf’s denn sein?

Gewerkschafter und Nationalrat Corrado Pardini geisselt den «Raubtierkapitalismus» und fordert mehr Gewinnanteil und Mitsprache für die Mitarbeiter. Der ehemalige Stadtpräsident und Ständerat Hans Stöckli dagegen will mit Unternehmern zusammen Lösungen suchen und spricht sich gegen Arbeitszeitverkürzung aus – ein Streitgespräch über die wirtschaftspolitische Positionierung der SP.

Corrado Pardini (links) und Hans Stöckli (weniger links) diskutieren über die Wirtschaftspolitik der SP.

Interview: Tobias Graden


Hans Stöckli, biedern Sie sich Aktionären an, wollen Sie die öffentlich Hand arm sparen und betreiben Sie neoliberale Politik, um sich den Ständeratssitz zu sichern? Das stand so im offenen Brief von Corrado Pardini.
Hans Stöckli: Ich habe mich nicht angesprochen gefühlt. Meine Aufgabe als bernischer SP-Ständerat ist es, die Interessen das Kantons zu vertreten. Und diese umfassen die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Corrado Pardini, Sie haben den offenen Brief vor dem Zukunftsparteitag der SP verschickt. Ist das die Art, wie die SP Diskussionen austrägt?
Corrado Pardini: Der offene Brief richtete sich an die Partei, die ich zu einem engagierten Auftritt in allen aktuellen sozialen Fragen aufgefordert habe. Wir brauchen jetzt Antworten auf Sorgen, die die Menschen umtreiben. Es ist wichtig, dass wir diese Diskussionen austragen. Es ist auch gut, dass wir im Ständerat verschiedene Ausrichtungen der SP vertreten haben.

Herr Stöckli, ist der offene Brief nicht schlechter Stil?
Stöckli: Ich habe ihn gar nicht erhalten.
Pardini: Ich habe diesen ihm auch nicht zugestellt, denn ich spreche nicht ihn an.
Stöckli: Ich kann jedenfalls sagen, dass ich den Brief so nicht geschrieben hätte (lacht).

Sie sind durchaus dem rechten Flügel der Partei zuzurechnen.
Stöckli: Ich habe die Mindestlohn-Initiative unterstützt, weil sie zu höheren Löhnen beigetragen hat. Ich habe die AHV-Plus-Initiative unterstützt, weil sie dazu beigetragen hat, dass die Altersreform 2020 realisiert werden kann. Ich bekämpfe die USR III, weil sie für Städte existenzielle Steuereinbussen bringt. In solchen Punkten habe ich keine Differenzen mit Corrado Pardini.
Pardini: Das Beispiel von Hans Stöckli zeigt ja gerade, dass man auch mit solchen Positionen in den Ständerat gewählt wird und entsprechende Politik betreiben kann.
Stöckli: Es ist aber wichtig, dass auch Leute, die mit sozialliberalem Gedankengut politisieren, in unserer Partei Platz haben. Ich fühle mich diesen Leuten nah. Ich stehe für eine Sozialdemokratie, die mit den Unternehmern zusammen Fortschritte erzielen will.
Pardini: Unsere Partei muss sehr breit aufgestellt sein. Man kann mir als Vertreter des gewerkschaftlichen Flügels innerhalb der SP sicher nicht vorwerfen, ich sei utopisch oder nicht realitätsnah, wenn ich doch als Gewerkschafter immer wieder Gesamtarbeitsverträge mit Unternehmern unterzeichne.

Nationalrat Matthias Aebischer hat mit Blick auf das Positionspapier gesagt, statt Flügelkämpfe auszutragen, solle die SP besser wieder klare Botschaften in einfachen Worten an die Wähler richten. Vergisst die Partei ihre Wählerschaft?
Pardini: Durchaus. Ich mache dem Papier den Vorwurf, dass es die realen Probleme der Menschen zu wenig aufnimmt und zu wenig Antworten liefert auf Fragen, die unter den Nägeln brennen. Es fehlen Themen wie der Umgang mit der Digitalisierung, mit älteren Arbeitslosen, mit Ausgesteuerten, mit nicht existenzsichernden Renten. Die SP darf sich nicht auf Wolkenschieberei beschränken, sondern sie muss handfeste Lösungen bieten. Unsere Ideen müssen den direkten Weg an die Stammtische finden.
Stöckli: Die SP schafft es derzeit nicht immer, mit einfachen, klaren Botschaften die Menschen zu erreichen. Die Welt ist aber auch sehr komplex geworden. Wie will man in einem Satz erklären, dass sich durch die Digitalisierung zahlreiche Arbeitsplätze unglaublich schnell verändern? Das kritisiere ich auch an dem Papier: Diesem Thema ist bloss ein winziger Abschnitt gewidmet.

Das Positionspapier geht davon aus, dass der Kapitalismus mehr Probleme schafft als löst. Sehen Sie das auch so?
Stöckli: Ich bin ein Befürworter des Marktes als Ordnungssystem. Die Eigentumsverhältnisse spielen natürlich eine grosse Rolle. Wir haben aber zum Glück nicht mehr ein reines kapitalistisches System, ein grosser Teil der wichtigen Faktoren des Wirtschaftslebens sind durch die öffentliche Hand bestimmt – in der Energie, der Bildung, der Infrastruktur, im Gesundheitswesen. Ich will den Kapitalismus nicht überwinden, ihn aber zu einer sozialen Marktwirtschaft zähmen.
Pardini: Für mich muss sich die Wirtschaft in den Dienst der Menschen stellen. Wir erleben zurzeit aber das Gegenteil. Das internationale finanzkapitalistische System kümmert sich weder um reale Menschen noch um reale Märkte. Gigantische Fonds und transnationale Konstrukte und treiben die Weltwirtschaft an und beeinflussen mit ihren kurzfristigen Entscheidungen die Konjunktur. Diese Strukturen sind auf maximale Rendite ausgerichtet und entziehen der produktiven realen Wirtschaft immer mehr Substanz. Um Ihre Frage zu beantworten: Der Kapitalismus schafft vor allem Probleme und er kümmert sich nicht um das Wohl der Menschen.
Und das gelingt durch mehr Mitsprache im Betrieb, wie dies das Positionspapier fordert?
Pardini: Nicht nur. Wichtiger ist, was diese Mitsprache erreichen will. Da lässt das Papier einiges offen.
Stöckli: Einen Teil der Kritik am System kann ich nachvollziehen. Aber die Massnahmen, die nun gefordert werden, treffen eben gerade nicht nur die internationalen Multis, sondern auch unsere kleinen und mittleren Betriebe. Warum sollen diese Einschränkungen unterworfen werden?
Pardini: Die Mitsprache von Mitarbeitern ist keine Einschränkung per se. Gerade in KMU erfolgt diese sowieso.
Stöckli: Wer mitentscheidet, muss auch Mitverantwortung tragen. Solange die Eigentumsverhältnisse über die Verantwortung entscheiden, ist es recht schwierig, diese zu teilen.
Pardini: Die Mitarbeiter tragen ja heute schon Mitverantwortung. Wenn es schlecht läuft, stehen sie auf der Strasse.
Stöckli: Sie verlieren zwar bedauerlicherweise ihre Stelle, aber nicht ihre Investitionen oder ihr Vermögen.

Das Positionspapier fordert auch die Gewinnverteilung in den Unternehmen an die Arbeitnehmer im Kollektiv. So wird doch die Basis für Investitionen geschmälert.
Pardini: Ein Teil des Gewinns muss natürlich in die Weiterentwicklung und Innovation fliessen. Ein Teil an die Kreditgeber, und ein Teil an die Arbeitnehmer. Diese Aufteilung hat auch lange gut funktioniert. Mit dem Raubtierkapitalismus aber bleibt den Mitarbeitern fast nichts mehr, und es ist vorgekommen, dass gute Unternehmen geplündert wurden, obwohl eine gute Substanz vorhanden war.

Die Schweiz ist ein Hochlohnland, die SP-Vorschläge verteuern die Lohnkosten zusätzlich.
Stöckli: Vorschläge in diese Richtung sind immer problematisch. Es werden jene gestraft, welche den Mehrwert heute schon gut verteilen.
Pardini: Du findest es doch wohl nicht gut, dass eine UBS 5000 Leute entlässt und gleichzeitig die Chefetage Boni absahnt?
Stöckli: Nein. Aber unternehmerische Entscheide lassen sich nicht durch die Gesetzgebung regulieren.
Pardini: Zum Hochlohnland Schweiz geistern ohnehin Irrmeinungen herum. Gerade die hohen Löhne stützen die Inlandnachfrage, und diese hat uns glimpflich durch die letzten Krisen gebracht.

Würden durch eine von der SP geprägte Wirtschaftspolitik Firmen abwandern?
Stöckli: Das Papier wird niemals Mehrheitsmeinung sein und wird darum auch nie umgesetzt werden. Die SP muss sich überlegen, wie sie die Wünsche und Sorgen der Menschen besser aufnehmen und mit so gestiegener Akzeptanz ihre Position verstärken kann. Im Ständerat hat sich so die Lage verändert: Unsere politische Konkurrenz kann nur noch dann gegen uns entscheiden, wenn sie ganz geschlossen ist.
Pardini: Das Positionspapier ist ja nicht Gesetzesvorlage. Es gehört zur DNA der Sozialdemokratie, sich zu überlegen, was an den herrschenden Verhältnissen denn zu ändern sei. Ich warne davor…
Stöckli: ...aber Corrado…
Pardini: Lass mich den Satz fertig machen. Ich warne davor, dass wir aus opportunistischen Gründen…
Stöckli: …nein, nein, nein…
Pardini: …sämtliches Denken an Übermorgen unterlassen. Gerade Junge können wir so für die SP gewinnen.
Stöckli: Die Suche nach neuen Wegen ist ja nicht auf die Schweiz beschränkt. Die Sozialdemokratie hat das 20. Jahrhundert geprägt. Leider hat sie es verpasst, Kraft nicht nur in die Gestaltung der Gegenwart zu stecken, sondern auch in jene der Zukunft. An dem Papier stört mich, dass es nun das 21. Jahrhundert mit Rezepten aus dem 19. Jahrhundert gestalten will.
Pardini: Der neoliberale Weg der Sozialdemokratie hat in England zur faktischen Auflösung der Sozialdemokratie geführt, in Deutschland ins Offside und in Italien zu Auflösungserscheinungen. Die SP Schweiz dagegen ist im europäischen Vergleich sehr links positioniert und schafft es dennoch, stabil zu politisieren.

Eine Forderung im Positionspapier sind Arbeitszeitverkürzungen. Man sieht am Beispiel Frankreichs, wohin das führt – selbst der sozialistische Präsidentschaftskandidat Manuel Valls will diese teils rückgängig machen.
Pardini: Wir werden durch die Digitalisierung riesige Umwälzungen erleben und müssen uns überlegen, wie wir die Arbeit und den Mehrwert gerecht verteilen können. Das ist zentral. Die dümmste Arbeitszeitverkürzung ist jene auf null – wenn die Leute entlassen werden. In diesem Spannungsfeld ist die Diskussion um die Arbeitszeit zu führen.
Stöckli: Die Idee, über eine Kürzung der Arbeitszeit sei die Wirtschaftskraft zu verbessern, ist eine Illusion. Wenn die Arbeitszeit um 25 Prozent gekürzt wird, steigen die Lohnkosten um 60 Prozent. Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wird so nicht gesteigert, eher der Druck, günstigere Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen.
Pardini: Es geht doch gar nicht mehr um Arbeitskräfte. Wir sehen einen gewaltigen Produktivitätsanstieg durch die Automatisierung und Digitalisierung. Und dieser muss verteilt werden. Und durch die Arbeitszeitverkürzung im 20. Jahrhundert hat sich die ganze Freizeitgesellschaft entwickelt, die auch zu einer Erhöhung der Wirtschaftskraft geführt hat.

Das Papier fordert auch eine «am Gemeinwohl orientierte Nationalbank». Spricht da was dagegen?
Stöckli: Ich hielte es nicht für klug, die Politik der SNB zu demokratisieren, ihre operativen Entscheide politisch fällen zu lassen.
Pardini (schüttelt den Kopf): Das Nationalbankgesetz schreibt vor, woran sich die SNB zu orientieren hat: Preisstabilität, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das Allgemeinwohl der Gesellschaft. Es ist nichts als legitim, wenn wir einfordern, dass sich das SNB-Direktoriumam Gesetz orientiert. Es findet zum Beispiel derzeit keine Debatte über die Auswirkungen der Negativzinsen im Parlament statt.
Stöckli: Soll denn der Entscheid über Marktinvestitionen im Parlament gefällt werden?
Pardini: Natürlich nicht. Aber ich möchte, dass das Parlament darüber debattiert.
Stöckli: Debattieren ohne zu entscheiden tu ich nicht so gerne.
Pardini: Aber Hans! Kritisierst Du etwa Wirtschaftsminister Schneider-Ammann?
Stöckli: Natürlich. Er ist mir gegenüber verantwortlich.
Pardini: Eben. Faktisch aber bestimmt Thomas Jordan die Wirtschaftspolitik unseres Landes, er ist Schattenwirtschaftsminister. Er sollte sich ihm stellen müssen. Die SNB kann ja gleichwohl unabhängig entscheiden.

Das Positionspapier ist schliesslich hochkant angenommen worden.
Stöckli: Ich habe es abgelehnt.

Fühlen Sie sich noch in der SP daheim?
Stöckli: Ich bin aus Überzeugung Sozialdemokrat geworden. Und ich werde auch als Sozialdemokrat sterben. Es sind noch nicht alle Chancen vertan. Es folgt nun die Ausarbeitung des Wirtschaftskonzepts der SP, da werden wir versuchen, Anpassungen einzubringen. In vielen anderen Bereichen stehe ich überzeugt zu den Positionen der Partei und bin auch zuvorderst mit dabei.

Die «Sozialliberalen» haben nun eine Plattform gegründet. Droht der SP die Spaltung?
Pardini: Dazu kommt es aus verschiedenen Gründen nicht. Die Initiatoren der Plattform streben höhere Ämter an, und das ist nur möglich, wenn sie in der Partei bleiben. In vieler Hinsicht sind Pascale Bruderer und Daniel Jositsch auch eine Bereicherung für die SP, auch wenn sie sich in dieser Debatte verrannt haben. Wenn durch die Plattform die SP aber für mehr Leute attraktiv wird, ist das ja gut.
Stöckli: Die Leute hinter der Plattform werden ihre Anliegen innerhalb der Partei einbringen. Es gibt sicher keine Spaltung.

Werden Sie der Plattform beitreten? Mit dem Gurten-Manifest haben Sie 2001 etwas Ähnliches getan.
Stöckli: Das werde ich entscheiden, wenn klar ist, welche Ziele und Inhalte sie verfolgt.

Gerade für den Ständerat, aber auch für die Exekutiven in Deutschschweizer Städten braucht die SP Akteure, die gegen die Mitte tendieren, um Wahlchancen zu haben. Das vorliegende Positionspapier schwächt deren Stellung.
Pardini: Nein. Doch was für die einzelnen Exponenten in Majorzwahlen gut ist, ist für die Partei Gift. Sie muss sich Proporzüberlegungen machen. Je klarer unsere Konturen sind, desto besser.

Bei Wahlen für Stadtparlamente zeigt sich, dass die junge Generation der Linken offenbar vermehrt auf Linksaussen-Positionen setzt. Droht moderaten Positionen innerhalb der SP der Nachwuchs auszugehen?
Stöckli: In jungen Jahren tendiert man eher zu extremen Ansichten. Man kann gespannt sein, wie sich diese Leute entwickeln werden. Cédric Wermuth ist ein gutes Beispiel: Er trägt heute mehr Verantwortung und findet zu Positionen, die nicht mehr so einseitig sind.

Kommentare

Biennensis

Seite 1: "Ein Juso-Antrag zur Abschaffung des Privateigentums war gleichentags erst nach wiederholter Abstimmung abgelehnt worden." Kommt dazu, dass Sie mich falsch interpretieren. Denn zwischen möchte und fordern besteht ein grosser Unterschied.


JUSO Bielingue

Nun ich gebe Ihnen in diesem Fall recht. Ihr vereinfachte Schlussfolgerung deshalb alle SP-Mitglieder in einen Topf zu werfen, erinnert mich aber stark an SVP-Sprech. Ich habe die Papierausgabe noch einmal durchgelesen und konnte immer noch keine Stelle finde, wo die JUSO die Abschaffung des Privateigentums gefordert hätte. Ich hoffe Sie können mir auf die Sprünge helfen.


Biennensis

@JUSO Bielingue: Kennen Sie die SP-Nationalrätin Margret Kiener-Nellen? Auch sie hat ein Steuerschlupfloch benutzt, um keine Einkommenssteuern zu zahlen – und dies, obwohl sie solche Schlupflöcher seit Jahren bekämpft. Frage: Bei 12 Millionen Franken Vermögen versteuert sie null Franken Einkommen. Wie geht das? Was die JUSO mit dem Artikel zu tun hat? Studieren Sie doch einmal den heutigen BT (Seite 1, 6 und 7) im Papierformat - damit Sie mir folgen können. Zu Ihrer Info: Ich kommentiere immer den kompletten BT-Artikel im Papierformat und nicht nur die Online-Kurzausgabe.


JUSO Bielingue

Dann zeigen Sie doch an einem Beispiel wo die Genossen Wasser predigen und Wein trinken Biennensis. Was die JUSO mit dem Artikel zu tun hat, müssten Sie mir auch genauer erklären. Im übrigen wollte die JUSO in ihrem Antrag Eigentum demokratisch zu denken. Dies hätte bedeutet, das Privateigentum an den Produktionsmitteln zugunsten einer demokratischen und gemeinwohlorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu transformieren. Ihre Zahnbürste dürfen Sie also getrost für sich behalten.


Biennensis

"Kapitalisten unter ihresgleichen": Wasser predigen und Wein trinken - genauso funktioniert die "soziale" Politik der Genossen! Und "nur so nebenbei" möchte die JUSO (die Zukunftshoffnung der SP) mit einem Antrag die Abschaffung des Privateigentums durchsetzen! Unglauwürdiger geht es wohl nimmer...


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