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Wochenkommentar

Welchen Trump werden wir sehen?

Nachdem die ersten grossen Reaktionswellen zu Donald Trumps Wahl etwas abgeflacht sind ist es Zeit für einen genauen Blick. Wirtschaftsredaktor Tobias Graden nimmt den nächsten US-Präsidenten im Wochenkommentar unter die Lupe.

Bild: Keystone

Die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA hat auch hierzulande heftige Reaktionen hervorgerufen, bis zum breit zur Schau gestellten und in den sozialen Medien dokumentierten Entsetzen. Viele Menschen wechselten ihre Profilbilder in den Netzwerken. Manche ersetzten sie durch Kraftausdrücke, andere durch Sujets der Freiheitsstatue, die ihr Gesicht in den Händen vergräbt, wieder andere verkündeten gar: «Je suis USA». Dies in Anlehnung an die Terroranschläge islamistischer Extremisten in Paris, die Todesopfer gefordert hatten. Das zeigt: Ein kühlerer, nüchterner und auch weniger arroganter, respektvollerer Blick aus Mitteleuropa auf die Wahl tut Not. Immerhin ist der Machtwechsel in den USA – bei aller berechtigten Kritik am Wahlsystem, den vielen äusserst problematischen Aussagen Trumps im Wahlkampf und seinem hemmungslosen Populismus – auf demokratischem Wege zustande gekommen.

Es ist auch herablassend und undemokratisch, alle Trump-Wähler als ewigdumme Losertypen abzutun. Vielmehr dürfte gerade eine solche Haltung dazu beitragen, dass sich Menschen abgehängt fühlen und so eine reaktionäre Haltung einnehmen. Ihre Realität muss anerkannt, ihre Sichtweisen müssen beachtet werden. Sie sollen eine Stimme haben, die gehört wird, und ihre Argumente sollen diskutiert werden. Offene Diskurse sind dazu dienlicher als Rede- und Denkver-bote. Das bedeutet natürlich nicht, dass dumpfem Hass Tür und Tor geöffnet werden soll. Im Gegenteil: Es gilt zu verhindern, dass es überhaupt zu diesem kommt.

In der Schweiz bestehen durch das System der halb-direkten Demokratie gute Voraussetzungen dafür. Mit den zahlreichen Mitteln der Artikulation und Teilhabe auf allen Ebenen und dem hohen Stellenwert der Machtteilung und Integration aller politischen Kräfte ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sich Unzufriedenheiten frühzeitig im politischen Prozess äussern und sich keine unerkannte frustrierte Masse bildet, die auf einmal urplötzlich ein als verkrustet empfundenes System sprengen will.

Die grosse Frage ist nun, ob der Trump im Amt derselbe sein wird wie der Trump im Wahlkampf. Seine ersten Äusserungen deuten nicht darauf hin. Es wäre ihm auch schwerlich möglich, alle gemachten Versprechen einzuhalten. Ein gigantisches Infrastrukturprogramm zur Arbeitsplatzbeschaffung bei gleichzeitiger Steuersenkung und stabilem Finanzhaushalt: Das geht gar nicht, es wäre eine wirtschaftspolitische alchemistische Zauberformel. Es ist kaum möglich, dass Trump als Geschäftsmann das nicht selber weiss. Besser, er würde sich auch hier ein bisschen vom Schweizer Beispiel in-spirieren lassen. Auch wenn die Gegebenheiten nur bedingt vergleichbar sind, zeigt dieses doch, wie eine Volkswirtschaft offen und dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und gleichzeitig kompetitiv sein und Wohlstand schaffen kann. Dazu braucht es aber nicht protektionistische Mauern, sondern grosse Investitionen in die Bildung, die auch nachhaltiger wirken.

In solchen Dingen wird sich zeigen, wer dieser Präsident Trump ist und worum es ihm wirklich geht. Ob ihm tatsächlich das Wohl jener am Herzen liegt, die ihm in der Hoffnung auf Erneuerung ihre Stimme gegeben haben. Oder ob er tatsächlich der unverfrorene Demagoge mit mangelhaftem Respekt für die Demokratie ist, als der er sich im Wahlkampf präsentiert hat. Denn dann würde die Welt tatsächlich ungemütlicher werden.

E-Mail: tgraden@bielertagblatt.ch

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