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Schreinereigewerbe

Wenn ein GAV sich selbst torpediert

Weil sich Schreinermeisterverband und Gewerkschaft um einen Artikel streiten, gilt für die Branche kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mehr. Die regionalen Vertreter beziehen Stellung.

Schreinerinnen und Schreiner sollen sich gestaffelt und früher pensionieren lassen können. Die Unia kopplelt das an den GAV. Bild: Keystone

Manuela Schnyder

Will eine Schreinermeisterin oder ein Schreinermeister in diesem Jahr eine neue Arbeitskraft anstellen, könnte sie oder er im Arbeitsvertrag nur noch 20 anstatt 23 Ferientage festhalten, einen tieferen Lohn ansetzen, den 13. Monatslohn streichen oder die Wochenstunden erhöhen, falls der ohnehin schon grosse Fachkräftemangel dies erlauben würde. Denn die rund 30 000 Angestellten der Branche stehen seit Jahresbeginn nicht mehr unter dem Schutz eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV). Der Schreinermeisterverband (VSSM) hatte am 17. November ein bereits ausgehandeltes Vertragspaket auf der Zielgeraden scheitern lassen. Seither herrscht Funkstille: «Ich denke nicht, dass wir in diesem Jahr mit den Sozialpartnern nochmals das Gespräch suchen», sagt dazu Martin Schafer, Geschäftsführer des VSSM Sektion Kanton Bern.

Derweil will die Gewerkschaft Unia mit mehreren Aktionen gegen den vertragslosen Zustand mobil machen. Der Knackpunkt beim Streit um neue Arbeitsbedingungen ist Artikel 62 des bisher gültigen GAV. Dieser besagt, dass sich die Vertragspartner vornehmen, gemeinsam einen Entwurf für ein vorzeitiges Frühpensionierungsmodell auszuarbeiten. Dies wird nun offenbar unterschiedlich interpretiert.

 

Basis lehnt Vorschlag ab

So haben die Delegierten des Schreinermeisterverbandes und der Gewerkschaften zwar ein sogenanntes Vorruhestandsmodell (VRM) ausgearbeitet. Dieses sieht vor, dass die Beschäftigten ab dem 60. Alterjahrs ihre Arbeit reduzieren und ab dem 63. Altersjahr in die Frühpension gehen können, finanziert von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit je 0.9 Lohnprozenten. Für die Mehrheit der Schreinermeisterinnen und Schreinermeister war das Modell letztlich aber «zu wenig durchdacht», wie Martin Schafer erklärt. Und das, obwohl die Delegierten des Verbands das Modell mitgetragen haben: «Die Arbeitnehmer können das eingezahlte Geld dann nicht mitnehmen, wenn sie die Branche wechseln, zum Beispiel in den Verkauf, und das machen im Schnitt 6 von 10 Schreinern bis zum 40. Altersjahr. Das Modell ist so nicht mehr zeitgemäss», erklärt Schafer. Eine Rolle gespielt hat aber auch die Coronakrise: «Jetzt sieht die Auftragslage noch gut aus. Wir wissen aber nicht, was auf die Branche zukommt, wenn Geschäfte und Restaurants wegen fehlendem Geld nicht mehr in Umbauten, in ihr Inventar oder Einrichtungen investieren können.»

Für den Verband kommt ein solches Modell also auch zu früh, während die Gewerkschaft die ablehnende Haltung nicht verstehen kann: «Ein solches Modell kennt beispielsweise auch das Maler- und Gipsergewerbe. Es ist ein bereits erprobtes Modell, das mit 0.9 Lohnprozenten auf beiden Seiten vergleichsweise sehr günstig ist», sagt dazu Antonio Castro, Sektionsleiter Unia Biel-Seeland. Das sei ja nicht die Pensionskasse, es gehe hier nur um zwei Jahre, die finanziert werden müssten und die dann nicht mal alle nutzen würden, fährt er fort. Laut Castro müsste das Modell vor allem auch im Interesse der Schreinermeister sein, denn dann würden eben nicht mehr so viele Angestellte die Branche wechseln: «Wenn ich doch weiss, dass ich bereits mit 60 Jahren auf 80 Prozent und dann später auf 60 Prozent und weiter auf 40 Prozent reduzieren kann, bevor ich, wenn es etwa gesundheitlich nicht mehr geht, mich mit 63 Jahren pensionieren lassen kann, bleibe ich doch viel eher der Branche treu», sagt Castro.

 

Weiterbildung gefährdet

Die Fronten in der Diskussion um das frühzeitige Pensionierungsmodell sind also verhärtet. Und der besagte Artikel 62 des bisherigen GAV lässt Interpretationsspielraum. So findet der VSSM nicht, dass er sich dazu verpflichtet hat, bereits jetzt einer Lösung zustimmen zu müssen. «Beim Artikel 62 handelt es sich um eine Absichtserklärung, die beide Seiten dazu verpflichtet, einen Entwurf für ein solches Modell auszuarbeiten», sagt Schafer. Und dazu sei man auch weiterhin bereit, er sehe aber keinen Grund, weshalb man deshalb den GAV per se auslaufen lässt. Denn dieser werde von beiden Seiten mitgetragen.

Für den Schreinereimeisterverband ist der vertragslose Zustand ebenso ein Problem wie für die Arbeitnehmenden. Denn auch die künftigen Lernenden werden dabei tangiert. So zahlen laut Schafer die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen pro Monat 24 Franken für die Weiterbildungs- und Vollzugskosten ein, 60 Prozent davon fliesen in die Weiterbildung. «Ohne GAV müssen die Arbeitnehmer keine Vollzugs- und Weiterbildungskosten mehr bezahlen. So erhalten Interessierte, die sich zur Projektleiterin oder zum Schreinermeister weitbilden lassen wollen, bald auch keine finanzielle Unterstützung mehr», sagt Schafer. Der Verband hat schon Abmeldungen bei höheren Fachschulen beobachtet, etwa auch beim BWZ in Lyss. Er will dafür nun interne Fonds anzapfen, welche Gelder und wie viel dafür geäuffnet werden können, das ist noch in Ausarbeitung.

Derweil weist die Unia die Schuld an den gescheiterten Vertragsverhandlungen vehement von sich: «Dass ein in 17 Verhandlungsrunden von beiden Seiten ausgehandeltes Vertragspaket bei der Basis des Schreinermeisterverbands abgelehnt wird, das kann unmöglich unser Fehler sein. Die Unia hat zugestimmt», sagt Antonio Castro. Es sei Auftrag der Delegierten des VSSM gewesen, die Basis bei der Erarbeitung des Vorruhestandsmodells mit einzubeziehen. So ist die Unia überzeugt, dass die Ausgestaltung des Modells und entsprechend auch die Finanzierung von vielen Schreinermeisterinnen und Schreinermeistern unterstützt würden, wenn sie bessere Kenntnis davon hätten: «Wir fordern den VSSM auf, seine Mitglieder besser zu informieren und nochmals über das ganze Verhandlungspaket abzustimmen.» Erst dann sei man wieder zu Gesprächen bereit.

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