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Arbeitswelt

Wenn Homeoffice zum Frust wird

Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden kann auf Dauer auf das Gemüt schlagen. «Vor allem wenn das Homeoffice aus Zwang erfolgt», sagt die Bieler Arbeitspsychologin Anna Huwiler.

Copyright: Mattia Coda / Bieler Tagblatt

Manuela Schnyder

Isolation, Frust und Bewegungsmangel: Das Homeoffice ist für viele Menschen momentan auch eine Belastung. Der soziale Kontakt mit den Arbeitskollegen, die körperliche Bewegung beim Pendeln oder das gewohnte Arbeitsumfeld im Büro scheinen viele zu vermissen. So fällt einigen langsam förmlich die Decke auf den Kopf und sie fühlen sich zuhause isoliert. Ist Homeoffice, was die mentale Verfassung und die Gesundheit anbelangt, überhaupt eine sinnvolle Arbeitsweise? «Ja, unter bestimmten Bedingungen», sagt dazu die Bieler Arbeitspsychologin Anna Huwiler. Man müsse hier aber klar zwischen Homeoffice, das man wählen kann, und dem Zwang unterscheiden, sagt sie.

Dass in der momentan Situation Menschen im Homeoffice trotz der zusätzlichen Freiheiten gestresst sind, liegt laut der Expertin auch daran, dass die geeignete Arbeitsumgebung zuhause nicht vorhanden ist: So hätten sich viele sehr plötzlich und unter Stress neu organisieren müssen. Bei manchen seien etwa auch die Kinder zuhause oder der adäquate Arbeitsraum und die nötige Arbeitseinrichtung fehle. Und auch das Extreme scheint vielen auf das Gemüt zu schlagen, dass also gleich alle Arbeitstage zuhause stattfinden. «Deshalb dürfte es auch in Zukunft sinnvoll sein, einen Teil der Arbeit im gemeinsamen Büro zu erledigen», sagt die Inhaberin der Beratungsfirma Huwiler-HRD GmbH.

 

Sich richtig organisieren

Ein gewisses Mass an Homeoffice ist aber laut der Expertin durchaus zu unterstützen, zumal flexiblere Arbeitszeiten, die gewonnene Zeit beim Arbeitsweg, die Ruhe in den eigenen vier Wänden und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sich sehr wohl auch positiv auf die Zufriedenheit auswirken kann. Damit aber Homeoffice gut funktioniert, braucht es eine gehörige Portion Selbstdisziplin: «Man sollte unbedingt eine Arbeitsroutine aufbauen und diese auch konsequent von der Freizeit trennen, um Erschöpfungserscheinungen und Frustration zu vermeiden», betont sie. So ist das Arbeiten vom Sofa im Wohnzimmer nicht gerade der ideale Arbeitsplatz: Wenn möglich sollte es ein Zimmer sein, das ausschliesslich zum Arbeiten dient, empfiehlt die Expertin. Das helfe, die Arbeit von der Freizeit zu trennen und abzuschalten. Denn wenn man dann dieses Arbeitszimmer während Pausen oder am Feierabend verlasse, löse man sich auch mental besser von der Arbeit. Zudem sollte man auch nicht im Pyjama oder im Trainer arbeiten. Man müsse ja nicht gleich einen Anzug anziehen, sagt Huwiler. Aber vielleicht Business Casual, denn auch das helfe, sich besser in einen Arbeitsmodus zu versetzen.

Ein wichtiger Aspekt ist laut Huwiler die Kommunikation: Die Distanz zur gemeinsamen Arbeitswelt im Unternehmen könne ein Gefühl von Isolation auslösen, erklärt sie. Zum Beispiel weil das persönliche und spontane Gespräch mit den Kollegen und den Vorgesetzten wegfalle oder weil man physischen Sitzungen nicht beisitzt. So kann man Erfolge oder Probleme im Arbeitsalltag nicht mehr so gut mit anderen teilen und man kriegt viel weniger mit, was aktuell im Unternehmen diskutiert wird, welche Anlässe stattfinden oder mit was sich die Kollegen gerade beschäftigen. Und wer nicht oft im Büro sei, könne auch schnell als Aussenseiter wahrgenommen werden, sowohl von der Person selber wie auch von den anderen.

Grundlegend für Homeoffice-Mitarbeiter ist deshalb, sich intensiver auszutauschen: Es helfe beispielsweise, auch mal spontan einen Kollegen anzurufen anstatt nur in den Chat zu schreiben oder eine Mail zumachen. Und auch Sitzungsprotokolle, regelmässige Gruppenmeetings oder punktuelle Firmenevents seien für Homeoffice-Mitarbeiter vergleichsweise wichtiger. So sollte der Kommunikationsfluss und der Kontakt möglichst hoch gehalten werden, damit sich auch die Leute zuhause dazugehörig fühlen.

 

Vertrauen schenken

Aber nicht nur die Mitarbeiter im Homeoffice sind gefordert, sich ideale Rahmenbedingungen schaffen, auch die Vorgesetzten und die Geschäftsleitung müssen klare Regeln für das Homeoffice schaffen: Dazu gehörten etwa Präsenzzeiten, telefonische Erreichbarkeit, Abgabetermine und virtuelle Meetings. Dabei ist eine gelebte Vertrauenskultur eine absolute Voraussetzung, betont Huwiler. Und es sei ja ein schönes Zeichen, dass das vielerorts auch vorhanden ist. Trotzdem gibt es vereinzelt auch Firmen, die ihre Angestellten per Software überwachen: «Eine toxische Massnahme», wie Huwiler findet. Das wirke sich demotivierend aus und sei oft ein Zeichen von Misstrauen.

Kontrolliert werden müssten die vereinbarten Ziele und Aufgaben, nicht aber der Weg dorthin. So sollen Mitarbeiter, wenn möglich, dann arbeiten dürfen, wenn sie am produktivsten sind. Ob sie frühmorgens beginnen oder lieber in den Abend hinein arbeiten, sollten Angestellte selber entscheiden dürfen. So können die Mitarbeiter auch individuell Ruhephasen einlegen oder sich Zeit nehmen, um Sport zu treiben. Eine kurze Joggingrunde sei nicht nur für die Gesundheit gut, viele bauten damit auch Frust im Arbeitsalltag ab oder könnten kurz durchlüften, um dann wieder produktiver zu arbeiten, sagt Huwiler. «Wenn die Ergebnisse stimmen und die Mitarbeitenden regelmässig über die vereinbarten Arbeitsschritte kommunizieren, ist kein Mikromanagement nötig und sicher auch kein verstecktes Ausspionieren.»

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