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Freihandelsabkommen

"Wer die Lage vor Ort kennt, ist kritisch"

In Indonesien fehle der politische Wille für eine Wende zur Nachhaltigkeit, dasgt Johanna Michel vom Bruno-Manser-Fonds. Das Abkommen mit der Schweiz bringe keine Besserung, im Gegenteil.

Ein Landstrich in der indonesischen Provinz Riau, der für eine Plantage vorbereitet wird. Bild. Keystone

Interview: Tobias Graden


Johanna Michel, im Freihandelsabkommen mit Indonesien, über das wir am 7. März abstimmen, sind erstmals Nachhaltigkeitskriterien als Bedingung für Zollsenkungen von Palmöl festgeschrieben. Darüber müsste sich der Bruno-Manser-Fonds doch freuen?
Johanna Michel: Das würden wir, wenn es auch wirklich ein nachhaltiges Freihandelsabkommen wäre. Das Problem aber ist, dass die Nachhaltigkeitskriterien auf dem privaten RSPO-Standard («Roundtable on Sustainable Palm Oil», Anm. d. Red.) basieren, der bekannt dafür ist, dass er eben Nachhaltigkeit nicht garantieren kann. Es gibt in Indonesien schlicht keine Nachhaltigkeit in der Palmölproduktion.

Es gibt aber durchaus bis weit in die SP Zustimmung zum Abkommen, auch Swissaid oder der WWF sind dafür. Liegen diese Akteure denn alle falsch?
Die SP hat dann doch die Nein-Parole ergriffen. Zudem: Die meisten Umweltorganisationen in der Schweiz sind dagegen. Nur: Wer RSPO-Mitglied ist, darf gar nicht öffentlich Kritik daran üben, so ist die Policy des RSPO. Grundsätzlich ist es aber so, dass insbesondere jene dem Abkommen kritisch gegenüberstehen, welche die Situation vor Ort kennen.

Von Befürwortern wird das Abkommen mit seinem Fokus auf Nachhaltigkeit und fairen Handel als Vorbild für künftige Handelsabkommen präsentiert. Taugt es aus Ihrer Sicht nicht dafür?
Das Nachhaltigkeitskapitel, das Arbeitsrechte und Umweltstandards festlegt, ist nichts Neues. Es sind weiterhin keine Sanktionen vorgesehen, wenn gegen diese Standards verstossen wird. Neu ist einzig, dass diese Standards mit einem Produkt verknüpft werden, dem Palmöl. Es wäre toll, wenn diese Standards griffig wären, aber das ist bei RSPO eben nicht der Fall.

Was ist das Problem mit RSPO?
Man sieht praktisch keinen Unterschied zwischen RSPO- und herkömmlichen Plantagen. Eine letztjährige Studie hat ergeben, dass der Anteil an ehemaligen Regenwaldflächen bei RSPO-zertifizierten Plantagen gleich hoch ist wie bei jenen, die nicht zertifiziert sind. Wir sehen es auch in der Praxis: Wir treffen bei zertifizierten Plantagen die gleichen Probleme an wie anderswo: Arbeiterrechte werden nicht eingehalten, es werden giftige Pestizide verwendet, die lokale Bevölkerung wird nicht konsultiert, es gibt dieselben Landrechtskonflikte. Auch RSPO-Plantagen sind riesige Monokulturen, die nicht im Einklang mit dem Regenwald bestehen. Schliesslich: Es gibt keine unabhängigen Kontrollen und keinen funktionierenden Sanktionsmechanismus.

Markus Allemann von Swissaid sagt, seit 2018 sei das Label glaubwürdiger geworden – es herrsche Transparenz und es gebe unabhängige Kontrollen.
Ich streite nicht ab, dass die Richtlinien ambitiöser geworden sind. Es ist aber beispielsweise weiterhin erlaubt, Plantagen, die auf Torfmooren entstanden sind, weiter zu betreiben, und zwar bis ins Jahr 2058. Dabei sind trockengelegte Torfmoore ein Grund für Brände im Regenwald, die dazu führen, dass Indonesien einer der grössten CO2-Verursacher weltweit ist. Wir sehen nicht, wie der Standard dieses Problem angehen soll. Das Problem sind aber in erster Linie nicht die Standards, sondern die mangelnden Kontrollen und Sanktionen.

Wie müsste eine Zertifizierung denn aussehen, damit Sie hinter ihr stehen könnten?
Sie müsste tatsächlich nachhaltige Lieferketten gewährleisten. Es müsste unabhängige Kontrollen geben und zu Ausschlüssen kommen, wenn jemand gegen die Auflagen verstösst.

Gleichwohl: Wird das Freihandelsabkommen angenommen, steigt der Importanteil an gemäss der Definition im Abkommen «nachhaltigen» Palmöl – das ist doch besser als nichts?
Der Anteil an RSPO-zertifiziertem Palmöl in der Schweiz kann kaum noch weiter steigen. Bei Coop beispielsweise sind bereits 99 Prozent der palmölhaltigen Produkte RSPO- oder Bio-zertifiziert. Daran ändert das Abkommen also praktisch nichts.

Bei einem Nein dürfte allerdings mehr Palmöl aus Malaysia importiert werden, das noch weniger nachhaltig ist.
Die Entwicklung zeigt: Immer mehr Palmöl kommt aus zollbefreiten Ländern, der Preis ist das entscheidende Kriterium. Darum ist der Anteil aus Malaysia seit ein paar Jahren rückläufig. Sobald aber ein Freihandelsabkommen mit Malaysia besteht, ist die Gefahr reell.

Darum ist es besser, gewisse Nachhaltigkeitskriterien 
festzuhalten als gar keine.
Grundsätzlich ja. Aber sie müssten auch wirklich einen Effekt haben.

Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Kritikpunkte am Abkommen?
Indonesische Organisationen teilen uns mit, dass etwa die Auflagen für die Landwirtschaft ein riesiges Problem sind für Kleinbauern. Die Bedingungen im Bereich geistiges Eigentum verunmöglichen ihnen den Tausch und Handel von Saatgut, sie werden abhängig von Grossunternehmen der Agroindustrie. Ein Problem ist auch der Abbau von Zöllen für Fisch: Importierter Fisch aus Norwegen konkurrenziert heute schon die 2,7 Millionen Fischer vor Ort. Auflagen zu Medikamenten verhindern zudem ein günstiges Angebot an Generika.

Indonesien will in den nächsten Jahren enorme Investitionen in seine Infrastruktur tätigen, das Land soll einen grossen Entwicklungsschritt tun. Da ist es aus Schweizer Sicht doch legitim, wirtschaftliche Chancen ergreifen zu wollen?
Wir sehen, in welche Richtung diese wirtschaftliche Entwicklung in Indonesien geht. Letzten Herbst ist ein Gesetzespaket verabschiedet worden mit dem Ziel, Investoren anzulocken – gleichzeitig werden Umweltstandards und Arbeitsrechte herabgesetzt. Zum Beispiel müssen pro Provinz nicht mehr 30 Prozent Regenwaldfläche garantiert werden, und die Unternehmenshaftung für Brände ist abgeschwächt worden. Das müsste auch in der Schweiz jene Mehrheit der Stimmbevölkerung aufrütteln, welche letztes Jahr die Konzernverantwortungsinitiative unterstützt hat.
Wie müsste denn ein Freihandelsabkommen mit Indonesien ausgestaltet sein, dass ihm der BMF zustimmen könnte?
Es müsste einen grundsätzlich positiven Effekt haben auf Umwelt und Mensch. Es müssten dazu nachhaltige Lieferketten in Indonesien etabliert werden.

Es ist wohl illusorisch für die nähere Zukunft, dass ein Handelsabkommen so gestaltet ist.
In Indonesien fehlt derzeit der politische Wille für eine solche Umsetzung. Das Land ist im Korruptionsindex auf Rang 102, hinter Brasilien oder Malaysia, die von Korruptionsskandalen erschüttert werden. Da müssen sich Schweizer Unternehmen überlegen, ob sie in einem solchen Umfeld überhaupt investieren wollen.

Palmöl ist in unzähligen Produkten enthalten. Was sollte ich als Konsument beachten?
Grundsätzlich ist es immer besser, lokale und frische Produkte zu kaufen – und den Konsum von palmölhaltigen Produkten einzuschränken.

Das geht bei Esswaren, in 
anderen Bereichen – etwa Seife – ist das schwieriger. Wie handhaben Sie das selber?
Bei Lebensmitteln achte ich darauf, was ich konsumiere – dank der Deklaration der Inhaltsstoffe lässt sich das auch überprüfen. Es ist ein Problem, dass eine solche Deklaration bei Kosmetikprodukten nicht vorgeschrieben ist. Das bemängeln wir immer wieder.

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